Weg von der Verbissenheit und einfach mal Mensch sein
Eine gute Freundin von uns besuchte die CeBIT in Hannover und brachte von dort eine Reihe von Spruchkarten mit. Nachdem sie mir von ihren Eindrücken berichtet hatte, schauten wir auch auf die verschiedenen Karten. Schließlich sagte sie: „Such dir doch einige aus, die dir besonders gut gefallen.“ Das habe ich dann auch getan und meine Gedanken begannen zu surfen. Die erste Spruchkarte lautete: „Es lief alles nach Plan, nur der Plan war Scheiße!“ Als Controller in großen Unternehmen und als Unternehmer kenne ich solche Situationen nur zu gut. Wir machen uns einen Plan, also eine Vorstellung, wie es sein sollte. Unser Plan ist natürlich sorgfältig erarbeitet, logisch durchdacht. Das sind wir uns und unserem Verständnis von Professionalität schuldig. Und – fatalerweise je länger wir uns mit ihm beschäftigen, desto zwingender, desto erfolgversprechender erscheint unser Plan.
Doch dann kommt der spannende Moment: Plan und Realität treffen auf einander. Im ersten Golfkrieg 1990/91 gab es von dem damaligen Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte, dem amerikanischen General Norman Schwarzkopf, ein interessantes Zitat. Dieses Zitat entstand in einer der ersten Pressekonferenzen nach dem Sieg. General Schwarzkopf sagte sinngemäß: wir hatten einen guten Plan, aber der flog nach dem ersten Schuss sofort aus dem Fenster.
Ich glaube, dass dieses Phänomen nicht nur auf militärische Operationen zutrifft, sondern in vielen anderen Lebensbereichen seine Gültigkeit hat. Jeder Plan, auch wenn er noch so klug und ausgewogen erarbeitet wurde, ist letztlich Ausdruck unserer Sicht der Welt. Diese Sicht mag für uns stimmig sein, aber dies muss nicht zwingend auch auf den Rest der Welt zutreffen. So viele Faktoren können unsere Planung verhageln: Zufall, andere Denkweisen, Interessenskonflikte aber auch eigenes Unvermögen hebeln schnell die besten Pläne aus.
Der Satz „Es lief alles nach Plan, nur der Plan war Scheiße!“ ist also mehr als nur ein lustiger Kalauer. Er ist ein Aufruf an uns, uns nicht im eigenen Gedankenurwald zu verlaufen und das halte ich für besonders wichtig: Immer ein stückweit Demut, Respekt für andere Menschen, die Umstände und das Schicksal in unseren Plänen zu berücksichtigen.
Die zweite Spruchkarte hatte es auch in sich. Auf ihr kann man lesen: „Du kannst nicht jeden glücklich machen. Du bist halt kein Nutella-Glas!“. Als ich diese Worte las, musste ich herzlich lachen. Denn einerseits war ich früher ein „Nutella Junkie“ (was ich glücklicherweise inzwischen überwunden habe). Andererseits lebte ich lange nach dem Glaubenssatz, dass wenn ich mich um jeden und alles kümmere, dass ich dann Anerkennung und Liebe erhalten werde. Dass diese Strategie ins Chaos führte ist offensichtlich.
Genauso wie Nutella eine schädliche, überzuckerte Kalorienbombe ist, so ist verkrampftes Bemühen um Anerkennung um der Anerkennung willen beziehungsweise die Methode, Anerkennung durch Erfolg zu bekommen, auf Dauer nur schmerzhaft. Manchmal ist die Wahrheit einfach, plakativ und doch schwer umsetzbar. Merke: „Du bist halt kein Nutella-Glas!“
Ich denke, es kann nicht unser Ziel sein, möglichst viele Menschen glücklich zu machen, sondern wir sind aufgefordert, erst mal in Einklang mit uns selbst kommen, bevor wir uns um andere kümmern. Oberste Priorität sollte der Friede mit uns selbst sein, also in fröhlicher Weise trotzdem „Ja“ zu uns selbst sagen zu können!
Und schließlich war da noch ein dritter Spruch, der wohl aus einem Bewerbungsgespräch stammte: „Sie haben da eine Lücke im Lebenslauf.“ „Ja, war geil!“. Hier musste ich schmunzeln, denn unsere heutige Berufskultur erzwingt förmlich glatt geschliffene, perfekt getunte Lebensläufe. Der Bewerber als eierlegende Wollmilchsau – was für ein Irrsinn. Alle wissen, dass in Zeugnissen und Bewerbungen viel optimiert (um nicht zu sagen geschummelt) wird.
Bismarck, der Altmeister der Realpolitik, sagte einmal, dass nirgendwo mehr gelogen wird als vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd. Ich glaube, dieser Beobachtung kann man auch heute, mehr als 100 Jahre später, unbedenklich zustimmen. Übertragen auf die Lücken im Lebenslauf würde ich mir wünschen, dass wir eine Kultur entwickeln, in der Lücken und Brüche nicht automatisch als Ausdruck von Versagen und Schwäche verstanden werden, sondern auch als Chancen der persönlichen Weiterentwicklung, des Lernens, des Besserwerdens betrachtet werden.
Für mein Leben kann ich sagen, dass ich genau in diesen Lücken und Brüchen wesentlich geformt wurde. In den Krisen, den eher unansehnlichen Teilen meines Lebenslaufes, fand ich die wichtigsten Erkenntnisse, die lösungsorientierten, neuen Antworten. Ich weiß, dass diese Hoffnung ziemlich utopisch ist, aber das hindert mich nicht, sie trotzdem auszusprechen.
Besser noch, das Leben gewinnt durch überstandene Krisen in einer solch unvorhersehbaren Weise, dass es uns Mut und Zuversicht schenkt, gerade wenn Pläne scheitern und Nutella Gläser leer werden. Und dieser Mut und diese Zuversicht sind doch unsere eigentlichen Kraftquellen. Deshalb schließe ich mit meiner persönlichen Zusammenfassung der drei Spruchkarten:
„Sei kein Nutella Glas, stehe zu den kleinen Lücken in deinem Lebenslauf, lebe geil und wenn es mal nicht nach Plan läuft, so what!! Shit happens“. Denn, und auch diese Erkenntnis finde ich sehr beruhigend, schon Albert Einstein wusste: „Man muss die Welt nicht verstehen, es genügt sich darin zurechtzufinden.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben alles Gute.
Walter Kohl führt als Unternehmer mit seiner Frau einen deutschkoreanischen Zulieferer für die Automobilindustrie. 2011 veröffentlichte er den Bestseller „Leben oder gelebt werden“ und 2013 das Praxisbuch „Leben was du fühlst“. Seit 2011 ist er zudem als Referent und Coach tätig.
Bild: Walter Kohl