Wer etwas zu sagen hat, sollte reden können. Christian Lindner kann ohne Zweifel reden. Jetzt meldete sich der FDP-Chef mit einer Rede im Bundestag eindrucksvoll zurück.
Es war zugegebenermaßen etwas stiller geworden um Christian Lindner. Nach dem Kommunikationsdesaster rund um die Regierungskrise in Thüringen beherrschte die Corona-Krise das Tagesgeschehen und die Öffentlichkeit. Regierung und Opposition übten sich in Einigkeit. Damit ist jetzt Schluss. Und die härtesten Attacken führte am Donnerstag der FDP-Chef selbst. Mit seinem Redebeitrag im Bundestag beendete er die „große Einmütigkeit in der Frage des Krisenmanagements“ und lieferte einen weiteren Beweis, dass er seine große Redekunst an neue Verhältnisse adaptieren kann.
Denn wo er früher zu Streitlust und Polemik neigte, nimmt sich der 41 Jahre Politiker heute zurück. Seine Rede wurde von Zwischenrufen aus den Reihen der Koalition, aber auch von Linken und Grünen begleitet. Aber er nahm sie ungerührt hin. Es gab Zeiten, in denen Lindner lustvoll zum Gegenangriff übergegangen wäre: Als herausragendes Beispiel kann seine bereits fünf Jahre zurückliegende „Wutrede“ im Düsseldorfer Landtag gelten, als er – der gescheiterte Gründer – zum Thema Gründung von Unternehmen sprach und von einem SPD-Abgeordneten persönlich attackiert wurde. Seine Geringschätzung für den politischen Gegner brach sich kurz und unbewusst in seiner Mimik Bahn. Dann schaltete er in den Angriffsmodus und zog den persönlichen Angriff sehr geschickt auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene: „Herr Kollege, mit mir können Sie das ja machen. Ich bin FDP-Vorsitzender, ich bin andere Anwürfe gewohnt. Aber welchen Eindruck macht so ein dümmlicher Zwischenruf wie Ihrer auf irgendeinen gründungswilligen jungen Menschen.“ Und er genoss die kleine Abwechslung am Ende sichtlich.
Inzwischen habe sich der Umgang im Plenum gewandelt: „Polemik wird auch vom Publikum nicht mehr im Übermaß geschätzt“, teilte Lindner im Rahmen eines Redner-Checks zum Jahreswechsel dem Tagesspiegel mit. Was daran läge, dass die großen Systemfragen sich nicht mehr zu stellen scheinen. Diese Erkenntnis hinderte ihn nicht, AfD-Co-Fraktionschef Alexander Gauland quasi im Vorbeigehen abzubügeln. Dabei war diese kleine Einleitung aus rhetorischer Sicht ein großer Schachzug. Direkt an den AFD-Mann gewandt betont er zum Beginn seiner Rede, dass der Gesundheitsschutz unzweifelhaft eine Aufgabe für die staatliche Verantwortungsgemeinschaft sei. Mit diesem Satz stellt er klar, wer Teil dieser Verantwortungsgemeinschaft ist, und wer nicht. Außerhalb dieser Verantwortungsgemeinschaft verortet er die AFD. Die FDP, die viele Einschränkungen der Grundrechte eben zum Gesundheitsschutz mitgetragen oder initiiert hat, ist dagegen Teil dieser Gemeinschaft. Indem er diese Trennlinie zieht, macht er unmissverständlich klar, dass alles Folgende, eben auch seine scharfen Angriffe auf die Kanzlerin an diesem Tag nur zum Wohl dieser Verantwortungsgemeinschaft passieren.
Stilistisch nutzt er inzwischen kürzere Sätze als früher, seine Stimmlage geht am Satzende deutlich nach unten. Durch das Absenken der Stimme verleiht er seinen Aussagen noch mehr Nachdruck und Glaubwürdigkeit. Er nutzt einen Effekt, den auch jeder Leser und jede Leserin für sich üben kann. Halten Sie Ihre Sätze kurz und sprechen Sie in Gedanken den Punkt am Ende des Satzes mit. Automatisch machen Sie dadurch auch eine kleine Pause und wirken sehr viel souveräner.
Was Lindners Rede zusätzlich auszeichnet und authentisch macht: In der Debatte ging es um grundsätzliche Freiheitsrechte – und um die wirtschaftlichen Folgen des Shut-downs. Freiheit und Wirtschaft. Das sind die großen Themen der FDP. Und damit ist Lindner endlich wieder zuhause. Rhetorik wirkt erst richtig, wenn man seine Zielgruppe genau kennt und diese zu 100 % bedient. Diese Fähigkeit ging Christian Lindner zuletzt ab. Mit diesem Beitrag meldete er sich eindrucksvoll zurück.
Autor: Michael Ehlers
Bilder: Depositphotos.com/360ber, Ehlers: Wosilat