Der berühmteste Life Changer unserer Zeit sitzt mir auf seinem Stuhl gegenüber, starrt mich an und schweigt. Zwischen uns steht meine Frage im Raum, doch er beantwortet sie nicht. Mir wird es etwas mulmig. Merken die Leute um uns herum, dass sich hier gerade peinliche Stille einstellt? Ob ich ihn vielleicht beleidigt habe? Und wenn schon, da muss er durch. Ein Vorstandsvorsitzender muss solche Fragen abkönnen. Ich wiederhole sie: »Ihre neue Fabrik bei Berlin ist ausgelegt für eine Kapazität von einer halben Million Autos pro Jahr. Und das ist nur der Anfang. Anderthalb Millionen sollen es später einmal werden.« Er schweigt.
»Vergangenes Jahr aber haben Sie weltweit nur eine halbe Million Autos verkauft. Ihre neue Fabrik ist also bereits jetzt ausgelegt auf den kompletten Jahresabsatz.« Jetzt müsste er verstehen, worauf ich hinauswill. Doch er wirkt noch immer irritiert. Noch deutlicher also: »Schon die erste Produktionsstufe Ihrer neuen Fabrik deckt mit ihrer Kapazität die komplette derzeitige Nachfrage ab. Wenn sie ganz ausgebaut ist, wird sie die Nachfrage also um das Dreifache übersteigen. Und es ist nicht Ihre einzige Fabrik. Sie bauen oder betreiben fünf solcher Gigafactories. Das Werk in Shanghai wird zehnmal so groß wie das in Berlin. Sie sind der einzige internationale Autohersteller, der ein Werk in China ganz allein und ohne Joint-Venture-Partner betreiben darf. Also tragen auch allein Sie das Risiko. Dabei übertrifft Ihre Kapazität bei Weitem die Nachfrage. Wie wollen Sie jemals so viele Autos verkaufen? Raubt Ihnen das denn nicht den Schlaf? Jeder andere Automanager der Welt könnte bei dieser Vorstellung kein Auge mehr zumachen.«
Den Buchauszug »First Principle – wie Life Changer denken und an welches Grundgesetz sie glauben« von Christoph Keese und weitere spannende Artikel finden Sie in der brandneuen ERFOLG Magazin Ausgabe 04/2022 -> LINK
Bild: IMAGO / Political-Moments