Im Interview verrät Schauspiel-Legende Heiner Lauterbach, wie er heute über seine ersten Jobs denkt, ob Fehler ein Muss sind und warum er mit fast 70 noch mal ein Unternehmen gegründet hat.
Herr Lauterbach, Sie haben nach einer Ausbildung zum Installateur mit der Schauspielerei angefangen. Das war damals nicht so normal wie vielleicht heute. Wie kam dieser Wechsel?
Das ging ziemlich parallel. Ich bin auf die Schauspielschule gegangen, wo ich am Wochenende und abends gefordert wurde. Ich habe das parallel zu meiner Lehre gemacht. Ich habe schon mit elf Jahren im Internat in Form von Schüleraufführungen Laienspiel betrieben und wollte damals schon Schauspieler werden.
Und familiär wurde das mitgetragen?
Mein Vater wollte natürlich, dass ich die Firma übernehme (Lauterbachs Vater betrieb mit seinem Bruder eine Installateurfirma, Anm. d. Red.) und dann fängt man das zumindest an und versucht das. Aber ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass ich kein Kaufmann bin und habe dann die Schauspielerei weiterverfolgt.
Ihre ersten Rollen waren spannend. War das damals aus der Ungeduld geboren, den Fuß in die Tür zu bekommen?
Welche Rollen meinen Sie?
Die berühmten Erotikfilme.
Die sind für Sie spannend? Interessant. Ich hatte jedenfalls zuvor schon Theater gespielt, synchronisiert und alles Mögliche gemacht. Wenn man jung ist, ist man wild, zügellos und klar, man muss irgendwie sein Geld verdienen. Und wie sagte der Pate so schön theatralisch: »Wie ein Mann sein Geld verdient, geht keinen etwas an.« In meinem ersten großen »Stern«-Interview habe ich das mal, nicht ahnend, dass das immer wieder angesprochen wird, thematisiert. Dabei hatte ich meist die Rollen bekommen, die was zu spielen, sprich zu reden, hatten, die anderen mussten, oder durften, wie man will, nur bumsen. Ich war mehr der Verklemmte, der kein Mädchen kriegt, der Introvertierte, der längere Texte bekam, weil ich’s eben konnte. Insofern musste ich mich kaum ausziehen. In cirka 20 Filmen danach habe ich mich deutlicher ausgezogen.
Im Anschluss sind Sie einer der bedeutendsten Schauspieler der jüngeren deutschen Geschichte geworden und mit Preisen überhäuft worden. Ich kann mir vorstellen, dass viele Agenten einem Schauspieler, der Großes vorhat, dazu raten, ganz genau aufzupassen, welche Rolle man annimmt. Wie war das bei Ihnen?
Es ist in der Tat so, dass sich das ein bisschen verändert hat. Es gab damals zwar auch ein paar Streber, die kein Interview unterhalb des »Stern«-Niveaus gegeben haben, aber alles in allem haben wir das schon lockerer gesehen als heute. Heute beobachte ich die jungen Kollegen, wie sie telefonieren, wie vernetzt sie sind und wie strukturiert sie ihre Karrieren aufbauen. Ich habe ja teilweise Filme angenommen, ohne das Buch vorher gelesen zu haben. Wenn da stand, dass der Film in Thailand gedreht wird, war ich dabei. Im Flieger habe ich dann meine Kollegen gefragt, worum es darin geht. Günther Maria Halmer war mal einer diesen Kollegen. Der sagte dann: »Ehrlich gesagt wollte ich dich das auch gerade fragen.« Er wollte wohl auch mal nach Thailand. Wir haben das lockerer gesehen damals.
Sie haben mal in einem Interview gesagt, es gebe Leute, die Glück haben, und es gebe Leute, die Pech haben. Glauben Sie, dass es Stellschrauben gibt, mit denen man sowohl das eine als auch das andere beeinflussen kann?
So intelligente Sachen habe ich schon gesagt? Ich habe es in einem meiner Bücher mal formuliert: Das Leben kann man mit einem Marathonlauf vergleichen. Wir alle müssen diesen Lauf beginnen, wir fangen ihn an mit der Geburt. Wir starten dabei mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. Manche laufen in tollen Nike Schuhen los, bei schönem Wetter und auf ebener Strecke. Andere müssen bei Regen anfangen, barfuß und bergauf. Das heißt aber nicht, dass der mit den Nikes vor dem anderen ankommt. Der sieht vielleicht ein schönes Restaurant, haut sich die Wampe voll und hat dann Seitenstechen, und der andere überholt ihn peu à peu. Das ist alles möglich. Der mit den Nikes hat natürlich einen wesentlich besseren Start gehabt, der hat Glück gehabt. Aber im Laufe dieses Laufes, sprich des Lebens, ist alles möglich. Das wollen wir ja auch auf unserer Internetplattform »Meet your Master« vermitteln. Man kann alles lernen im Leben, alles erreichen. Alles ist möglich. Das ist unsere Botschaft.
Sie haben eine Professur an der Medienhochschule. Diese Wissensvermittlung scheint Ihnen offensichtlich richtig am Herzen zu liegen. Wann fing das an?
Ich bin ja auch Regisseur hin und wieder, und wenn man diese Tendenz hat, ist das schon das erste Zeichen, dass man das, was man gerne tut, auch vermitteln möchte – in dem Fall an andere Schauspieler, später dann an junge Studenten. Dazu gehören zwei Sachen, ähnlich wie bei der Auswahl unserer Master (bei »Meet your Master«, Anm. d. Red.). Diese brauchen neben der schillernden Persönlichkeit die Leidenschaft, etwas vermitteln zu wollen, und die Fähigkeit dazu. Die braucht ein Professor und die braucht auch jeder Master bei uns. Es macht mir in der Tat Spaß, jungen oder auch älteren Gleichgesinnten, die noch nicht soweit sind, auf die Sprünge zu helfen und ihnen Tipps und Ratschläge zu geben. Ich wäre froh gewesen, wenn ich damals so jemanden an meiner Seite gehabt hätte, als ich angefangen habe zu drehen und bei Theaterengagements. So jemand hätte mir wahnsinnig viel helfen können. Ich habe so viele Fehler gemacht im Laufe meines Lebens.
Und das war nicht gut?
Unlängst sagte Doris Dörrie dasselbe: »Müssen wir nicht alle Fehler machen, Heiner?« An meinem ersten Drehtag mit 19 oder 20 Jahren hatte ich ein altes Auto und bin voll in die Einstellung reingefahren. Ich bin bis zur Klappe gefahren, bin ausgestiegen und habe gesagt: »Hallo, ich bin der Heiner Lauterbach.« Mich kannte natürlich keine Sau. Der Regisseur sagte: »Wer ist das? Tun Sie den weg.« Da bin ich schon unten durchgefallen, bevor ich überhaupt angefangen hatte. Und dann ging ich zum Regisseur und fragte: »Wo ist denn mein Wohnmobil?« Es gibt tausend Sachen, die du wissen musst, wenn du ans Filmset kommst. Frage nie den Regisseur, nie den ersten Regieassistenten, wenn, dann den zweiten oder besser noch den Set Aufnahmeleiter oder den Best Boy. Es gibt tausend Dinge, die es zu beachten gilt. Und ja, wir müssen Fehler machen. Aber man muss nicht unbedingt in jedes Fettnäpfchen trampeln.
»Meet your Master« haben Sie Ende 2019 zusammen mit Ihrer Frau gegründet. Dann kam die Coronapandemie und alles sollte plötzlich digital laufen – Schulunterricht zum Beispiel. War das eine ulkige Situation, weil Sie ja gerade eine digitale Lernplattform gegründet haben?
Ja, ich bin ein Sonntagskind. Aber es war ein zweischneidiges Schwert. In so einer Situation leben die Leute in einer Verunsicherung und geben weniger Geld aus, und sie müssen ja ein wenig Geld ausgeben, um diese Kurse zu erwerben. Ich glaube, dass der Wille und die Begeisterung für digitale Lernplattformen international ein großes Wachstum ermöglicht. In Deutschland hängen wir so ein bisschen hinterher, wie die Statistiken zeigen. Aber alles – wie auch andere Dinge, die aus Amerika kommen, zum Beispiel das Kaugummi – braucht zwar eine Weile, wird dann aber mit umso mehr Begeisterung hier aufgenommen. Ich schätze, so wird es auch im digitalen Lernbereich sein.
Wie lief diese Gründung von der Idee bis zur Umsetzung, was waren die großen Herausforderungen? Für Sie war das ja auch Neuland, oder?
Ich habe es noch nie gemacht. Ich bin kein Unternehmer. Meine Frau Viktoria hat mich überredet, das zu machen. Ich habe dann gesagt, wenn das einer in Deutschland machen sollte, dann wäre ich wahrscheinlich einer der geeignetsten. Ich kann die Qualität der Filme für die Kurse garantieren und ich habe ein großes Netzwerk an Filmleuten. Ich kenne außerdem sehr viele potenzielle Master wie Jonas Kaufmann oder Til Schweiger, die wir am Anfang dann auch genommen haben, persönlich. Hier ist es wie in allen anderen Bereichen: Den ersten zu finden, ist unglaublich schwierig. Und wenn man sie nicht persönlich kennt und sie einem vielleicht nicht ein bisschen verpflichtet sind, ist es unglaublich schwierig. Wenn man nicht über das Netzwerk verfügt und die Leute beim Film nicht kennt, um die Qualität der Filme sicherzustellen, würde ich es keinem empfehlen. Die zweite Schwierigkeit war, ein gutes Team zusammenzustellen. Wir haben gottseidank einen exzellenten Geschäftsführer gefunden, den wir persönlich mögen – was uns sehr wichtig ist, mit dem wir jetzt ein Team mit Marketing und Vertrieb aufbauen. Aktuell haben wir die erste, große Investorenrunde laufen und viele Interessenten. Und auch da muss es ja passen, sie müssen sowas wie strategische Partner sein, die uns idealerweise auch inhaltlich weiterbringen.
Sie produzieren das alles selbst und haben einen sehr hohen Qualitätsanspruch. Wenn man jetzt als Unternehmer alles selbst bezahlen muss und ins Risiko geht – ist das ein anderes Set-Gefühl?
Ich habe ja schon teilweise Filme produziert und der Til macht das zum Beispiel pausenlos, er ist ja sein eigener Regisseur und Produzent, auch vor Ort. Man muss das ganz klar voneinander trennen. Man muss im Vorfeld gut kalkulieren, dass alles in trockenen Tüchern liegt. Aber dann musst du das vergessen. Wenn der Drehtag losgeht, bist du einer von dem Team. Du bist im wahrsten Sinne des Wortes auch angestellt in der Firma, die dir selbst gehört. Du versuchst dieses Projekt fernab von Erbsenzählerei auf ein Maximum zu bringen.
Wie groß ist so ein Team vor Ort?
Am Set sind es rund 30 Mann und dann sind natürlich noch viele in der Nachbearbeitung, im Schnitt, Farbbestimmung, Mischung, Musik etc. Und am Ende der Kette sind Viktoria und ich, die abends im Bett liegen und sagen: »Moment mal, das müssen wir noch machen, und das, und das.« Wie viele freie Angestellte wir wirklich haben, das haben wir eigentlich noch nie wirklich verifiziert.
Das klingt unglaublich teuer. Ist es zu teuer?
Nein, Filme sind sehr teuer, aber wir sagen immer: Daran kann es nicht liegen, dann liegt es am Marketing oder am Vertrieb. Wir müssen so viel verkaufen, dass wir auf einen grünen Zweig kommen. Das Angebot auf YouTube ist zu groß und wir müssen uns deutlich davon absetzen und mindestens genauso gut sein wie »Masterclass« (das amerikanische Pendant, Anm. d. Red.), das ist unser Anspruch. Und den halten wir auch. Wir sind sogar in vielen Bereichen besser als »Masterclass«. Das hängt ein bisschen mit der Mentalität der deutschsprachigen Menschen zusammen. Die Amerikaner sind zwar Showmenschen, die gehen da ziemlich schnell rein, und das ist zu sehr glatt und fast zu perfekt. Die Deutschsprachigen kommen da ein bisschen ungelenker daher, aber dafür geben sie wesentlich tiefere Einblicke, wo der Amerikaner gleich zumacht. Da erfährst du nicht viel, eigentlich nur das, was du schon wusstest, weil du es in der Zeitung gelesen hast. Bei uns gehen sie mehr in die Tiefe, nehmen das ernst und versuchen wirklich, die Dinge zu vermitteln und die Leute schlauer zu machen. Filmisch sind wir sowieso auf einer Stufe mit »Masterclass«. Mindestens.
Die Themen sind breit gefächert, richten sich aber teilweise an eine exklusive Zielgruppe. Wenn ein Til Schweiger zum Beispiel darüber spricht, wie man einen Hollywood-Film macht, geht das ja nicht so viele etwas an. Ist der Empfänger dieses Kurses jemand, der wirklich einen Film produzieren möchte, oder einer, den das einfach nur interessiert?
Ich würde das differenzieren. Den Til kenne ich ja schon sehr lange, da kannte ihn noch kein Mensch, er hatte gerade in der Lindenstraße angefangen und seitdem sind wir befreundet. Mich hat damals schon sein exquisiter Filmgeschmack und sein Film-Know-how fasziniert. Der Til verrät sehr viel, das hat mit Hollywood-Qualität gar nichts zu tun, sondern er erzählt jungen Filmemachern, was sie tun müssen, um erfolgreich zu sein. Also erfolgreich in dem Sinne, dass du viel gesehen wirst. Ob du Geld verdienst, steht auf einem ganz anderen Blatt. Er sagt: »Wenn du ein sehr gutes Drehbuch hast, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Film produziert und erfolgreich wird, relativ hoch.« Das hört sich ganz einfach an, aber du musst dafür Sorge tragen, dieses sehr gute Drehbuch zu bekommen, und das ist eben nicht so einfach. Oder auch Nico Hoffmann, der erzählt wahnsinnig viele interessante Dinge über die Filme, die wir alle kennen. Köche gibt es wie Sand am Meer, Alfons Schubeck haben wir genommen, weil es keinen Koch auf der Welt gibt, der sich so mit den Lebensmitteln, Kräutern und Gewürzen auskennt. Der ist begnadet. Bei Jonas Kaufmann habe ich vorher an der Musikhochschule beobachtet, mit welcher Leidenschaft er den Studenten etwas erklärt. Es wirkt vielleicht alles ein bisschen wahllos ausgesucht, aber ich könnte jetzt jeden einzelnen Master auf diese Weise vertreten. Bei uns kriegst du einen Input, der dich über den Tellerrand hinwegsehen lässt.
Wie war das, mit Ihrer Frau Viktoria ein Unternehmen zu gründen und über all die Jahre die Geschäftsführung zu teilen?
Das machen wir im Leben ja auch. Viktoria führt ein strenges Regiment – in der Firma, wie auch zu Hause. Sie kompensiert es oft mit ihrer Herzlichkeit, aber sie weiß genau was sie will. Und ich sowieso. Am Ende sprechen wir über alles, auch über die Entscheidungen, die getroffen werden müssen und entscheiden das dann gemeinsam. Wir hoffen jetzt inständig, dass uns der Ingo (der neue Geschäftsführer, Anm. d. Red.) das in großen Teilen abnehmen kann.
Entscheidend ist natürlich auch, dass ein Produkt beim Kunden gut wirkt. Gibt es Kommentare, die Sie überrascht haben?
Wir haben unglaublich viele positive Kommentare, dass man sich fast gar nicht traut, die alle reinzustellen, weil die so aussehen, als hätten wir sie selber geschrieben. Eine paar schwarze Schafe gibt es da aus unserer Perspektive. Aber der Großteil der Bewertungen ist positiv, sehr positiv. Und das ist das Schöne, dass die Leute die Liebe und Leidenschaft, die wir da reinstecken, anerkennen.
Aus: Erfolg Magazin 06/2022 (gekürzt)
Beitragsbilder: Jens Hartmann