Kabarettistin Lisa Eckhart eckt an, drückt Finger in Wunden und lächelt dabei charmant von der Bühne herab. Sie lässt sich in keine Schublade stecken, dafür steht sie zu gerne auf ihrem Podest. In unserem Interview spricht sie mit Verleger Julien Backhaus über die Ernsthaftigkeit hinter lustigen Statements und über ihr Buch »Boum«. Dabei offenbart sie, dass ihre kalkulierte Fassade nur vom Menschen Lisa Eckhart ablenkt.
Frau Eckhart, Sie wollten ja eigentlich Lehrerin werden, warum sind Sie es dann doch nicht geworden?
Ich habe festgestellt, ich brauche ein Publikum, das all seine Rechte auf psychische und körperliche Unversehrtheit an der Garderobe abgibt, und das ist bei Kindern leider nicht der Fall.
Sie wollten auch mal Schauspielerin werden und sind es dann aber nicht geworden – bewusst nicht?
Nein, talentfrei nicht. Das wurde mir an 20 Schauspielschulen bescheinigt, dass ich doch, wenn ich mich überhaupt der Welt aufdrängen muss, bitte nur hinter der Bühne schreiben, aber niemals auf die Bühne gehen soll. Sie hatten vollkommen recht, aber ich habe dennoch einen Schlupfwinkel gefunden, in dem ich mich ganz gut breitgemacht habe.
Sie waren viel unterwegs, mitunter an den schönsten Orten Europas – also Graz, Paris, London – und dann sind Sie ausgerechnet nach Berlin gezogen. Wie kommt man auf die Idee?
Ach, es hat mich eigentlich nur amüsiert, dass mir ein Erasmusjahr zugestanden wurde – der Österreicherin von Paris aus. Das hat mir natürlich viel Hass eingebracht bei den französischen Studenten. Sie haben aber letztlich eingesehen, dass es die Österreicherin vielleicht am nötigsten hätte, mal ordentlich Deutsch zu lernen. Deswegen konnte ich die Animositäten dann beiseitelegen.
Jetzt sind Sie in Leipzig, da gibt es sehr viele herzliche Menschen. Kommen Sie da gut zurecht?
Ja, wunderbar. Also, wir halten einander nicht für einen Fehler der Natur, sondern haben uns so allmählich herangetastet aneinander, Österreicher und Ostdeutsche. Und mittlerweile hege ich ja schon den Plan, eher in die Politik zu gehen und diese beiden Länder zu vereinen, weil ich finde, dass wir sehr viel gemeinsam haben.
Warum wurde es dann Kabarett? Das war sicher kein Zufall.
Das kann ich wirklich nicht sagen. Ich habe Texte auf der Bühne dargeboten und es war nicht beabsichtigt, dass die Leute lachen, sondern es kam womöglich zunächst aus Beklemmung, aus Angst. Ich weiß es nicht, was das für eine Reaktionsbildung war, aber da sie gelacht haben, hat man mich ins Kabarett verfrachtet und mir soll das nur recht sein.
Eines Ihrer Markenzeichen ist die Provokation. Hat sich das schon immer durch Ihr Leben gezogen?
Ich habe das persönlich nie so empfunden, ich reagiere auf Dinge, die ich als Provokation empfinde. Und ich meine, wenn wir in dieser Welt die Zeitung aufschlagen – also bei aller Liebe zum Narzissmus –, so provokant wie alles, was ich da lese, bin ich nicht. Ich gehe nur darauf ein, unterstreiche manche provokante Dinge in der Welt und führe sie noch mal auf der Bühne auf.
Also wird das falsch verstanden?
Es ist eine Interpretation, die aber in der Schule, ich würde sagen, die Note befriedigend erhalten sollte. Es ist die leichteste Interpretation.
Sie haben sich in einem Interview als Philanthrop geoutet, verhalten sich aber konträr, wollen eigentlich gar nichts mit Menschen zu tun haben. Wie geht das zusammen?
Nein, ich finde das nicht konträr, ich möchte mir diese Philanthropie unbedingt erhalten, deswegen gehe ich sehr auf Abstand zu Menschen und das ist gegenseitig gemeint. Ich möchte sie nicht mit meiner letztlich doch sterblichen Langweiligkeit belästigen, sie haben schon so wenig Idole, eines möchte ich ihnen noch lassen. Wenn es Gott und den Kaiser schon nicht mehr gibt, dann soll wenigstens die Eckhart noch auf ihrem Podest bleiben. Ich möchte aber auch nicht durch kleine Boshaftigkeiten der Menschen in meiner Philanthropie gestört werden. Das ist ein gegenseitiger Nichtangriffspakt, und der funktioniert bislang ganz gut. Ich gedenke nicht, ihn zu brechen.
Jetzt wollten viele dieser Menschen Sie aber »canceln«. Fällt es da manchmal nicht doch schwer, den Menschen so liebevoll entgegenzutreten?
Nein. Es fällt nicht schwer, weil gerade die, die dieses vermeintliche Canceln betreiben – ich nenne sie gar nicht mal meine Kritiker, sondern meine verwirrten Verehrer – teilweise mehr Zeit aufwenden, um sich meine Videos anzuschauen, Dinge von mir zu lesen, als meine ergebensten Verehrer. Und wie kann ich ihnen das noch zum Vorwurf machen, wenn sie den ganzen Tag mit mir ausfüllen?
Viele dieser Menschen gehören zur »Generation Snowflake«. Jetzt ist die Frage: Besteht tatsächlich die ganze junge Generation aus »Snowflakes« oder sind nur die Gestörten viel lauter als die anderen?
Ich glaube ja, man darf die Jungen wirklich nicht pauschal verurteilen. Ich habe immer wieder Menschen, von den Jüngsten angefangen bei zwölf, 13, bis Mitte 30, in meiner Show und ich muss feststellen, da gibt es schon noch Hoffnung. Also ja, es sind natürlich die Lauten, die man dann wahrnimmt, aber ich will mich dem nicht anschließen, dass die ganze Jugend verdorben sei durch die Tugend, das stimmt nicht.
Werden Sie versuchen, Ihre eigenen Kinder irgendwie in eine Richtung zu lenken oder dürfen die sowohl als auch werden, sowohl »Snowflake« als auch »Hardliner«?
Die dürfen alles – also mein Kind, ich beharre auf das Unikat. Ich wollte nie Kinder von der Stange, sondern nur dieses Einzelstück. Ich werde natürlich sanften Drill und Zucht und Ordnung ausüben. Aber letzten Endes hat er keinen vorgezeichneten Weg, außer den, mich zu lieben und zu ehren.
Das Thema Fußabdrücke passt dazu, Sie hinterlassen ja welche in der Kunstgeschichte. Gefällt Ihnen das oder nicht
Auf jeden Fall. Ich finde, dass viel zu viel Negatives überhaupt über den Begriff Fußabdruck gesagt wird. Wir haben ja diesen ökologischen Fußabdruck und seitdem wird das als dieses Stigma bezeichnet. Was gibt es Schöneres, als etwas seinen Stempel aufzudrücken? Ich glaube auch, wenn wir einen Sinn im Leben haben, dann ist es der, als gesamte Gattung Mensch uns dieser Welt aufzudrücken und nicht etwa dieses, was jetzt vor allem durch den Umweltschutz und auch sonst propagiert wird, dieses Bild »Wir verlassen die Welt, so wie wir sie vorgefunden haben«, was mich eher an eine Toilette erinnert, denn an die Erde. Das fände ich ein bisschen schade, evolutionär gesehen.
Jetzt müssen wir da gleichzeitig über den Tod sprechen und den mögen Sie nicht so. Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie eigentlich Angst vor dem Tod haben.
Ja, irrsinnige. Aber ich glaube, das ist normal, also mir kommt es so vor, dass die Menschen viel zu wenig an den Tod denken. Leute, die Bücher zweimal lesen – da denke ich schon, ihr habt die Sterblichkeit nicht ganz akzeptiert. Ihr habt nicht viel Zeit, komm, komm, komm! Es gibt noch viele Sachen zu erledigen und da bin ich erstaunt, wie sehr die Leute eigentlich immer Zeit verplempern, auch mit Hektik natürlich. Viele sind sehr gehetzt, immer dabei, etwas zu tun, aber im Grunde nicht dabei, etwas zu schaffen. Und das beseelt mich sehr, dieser Wunsch, etwas zu schaffen, was dann womöglich bleibt, auch wenn es natürlich ein frommer Wunsch ist, weil es nicht unbedingt eine gedächtnisstarke Zeit ist, in der wir leben.
Jetzt sind Sie natürlich aber auch eine Karrieresau, würden viele sagen, also immer »on the road«. Von ebendieser Hektik haben Sie wahrscheinlich viel in Ihrem Alltag, oder?
Nein, ich habe tatsächlich keine Hektik. Also, ich bin jetzt ausreichend erfolgreich und reich, dass ich keine Armbanduhr tragen muss. Das bedeutet, ich habe immer Menschen um mich herum, die den Satz sagen »Frau Eckhart, es ist Zeit«. Und das bedeutet für mich, ich habe keine Hektik, ich muss nie auf irgendeine Uhr blicken, ich muss nie überlegen, wo ich wann bin, ich werde sanft durch das Leben geschoben. Insofern kann ich wirklich mit Fug und Recht behaupten, ich bin dahingehend gelassen.
Nun gibt es viele Menschen, die diese Balance nicht schaffen, was würden Sie denen sagen?
Dass sie daran nicht verzweifeln sollen. Wir sind, glaube ich, immer entfremdete Wesen als Menschen, und irgendwo zerrissen und natürlich völlig verzweifelt auf der Suche nach irgendeinem Sinn. Man muss, glaube ich, sein Symptom umarmen, anstatt zu versuchen, dagegen anzukämpfen. Ich glaube, die meisten machen sich durch ihre Achtsamkeit viel unglücklicher, als sie es von Anfang eigentlich sind, wir sind ja nicht nur das Zeitalter der Neurosen, weil man sich verstellt. Sondern das Zeitalter der Depressionen, weil jeder verzweifelt versucht, er selbst zu sein und sich zu entfalten. Und das, glaube ich, macht notgedrungen unglücklich. Also, ein bisschen weniger versuchen glücklich zu sein, und dann ist man es plötzlich auch.
Man hat Ihnen den Stempel »Erfolg« aufgedrückt, wie haben Sie für sich selbst Erfolg definiert?
Vor allem durch das viele Reisen habe ich festgestellt und muss hier meinen Manager und Zen-Meister zitieren: »Erfolg ist, in jedem Hotel auf die Toilette gehen zu können.« Das ist ein weiser Spruch.
Die Grundlage des Plots Ihres Buches »Boum« erinnerte mich ein bisschen an Sie, aber ich weiß nicht, ob es was miteinander zu tun haben soll, mit der Studentin in Paris?
Es geht um zwei Dinge. Es geht zum einen um die Ohnmacht der Sprache. Im Moment wird ja viel über die Macht der Sprache gesprochen. Da ist nun aber eine eigentlich stumme Protagonistin, die in eine Welt geworfen wird, in der Sprache nichts zu sagen hat. Sie versteht die anderen nicht, kann sich selbst nicht ausdrücken und gerade dadurch reüssiert sie.
Weil sie eine Fremdsprache spricht oder weil sie irgendwie anders ist?
Sie spricht eine Fremdsprache und ist aber auch so ein bisschen anders.
Sie könnte ja auch eine Autistin sein.
Nein, das ist sie nachweislich nicht. Ich pathologisiere oder psychologisiere meine Figuren nicht und zum anderen geht es um Körper. Trotz all diesem – ich muss es Geschwätz von Body Positivity nennen – ist es doch, finde ich, eine sehr körperfeindliche Zeit und darum geht es in dem Buch um sehr körperbetonte Figuren: um Krüppel, um Huren, um Models – allesamt wirklich bedrohte Minderheiten in Frankreich. Gegen diese drei Gruppen werden dort auch immer Gesetze erlassen: Die Models dürfen nicht mehr mager sein – wo ich sage, es ist genauso ihr Recht –, die Bettler werden verbannt aus der Straße und Prostitution ist sowieso verboten in Frankreich in gewisser Hinsicht. Denen wollte ich auch ein kleines Denkmal errichten, diesen Figuren, die eben nicht durch geistige Arbeit bestehen, wie es jetzt ja in der digitalisierten Welt immer mehr der Fall ist, sondern die ihre Körper brauchen – und wie viel Verachtung diesen Menschen dafür entgegengebracht wird.
Aus: Erfolg Magazin 05/2022
Beitragsbild: Dominik Pfau