Als im Juli 2023 ein Erdbeben Seattle erschütterte, war der Auslöser schnell gefunden: Denn Taylor Swift hatte zu dieser Zeit im Football-Stadion Lumen Field ein Konzert gegeben – die ausgelassene Stimmung der Fans, der sogenannten »Swifties«, ließ die Seismografen ausschlagen.
Dass die 33-jährige Sängerin sogar im wörtlichen Sinne die Erde unter ihren Füßen erbeben ließ, taugt als Sinnbild dafür, wie viel Macht sie mittlerweile besitzt. Denn in ihrer fast 20 Jahre umfassenden Karriere ist Swift zu einer regelrechten Ikone avanciert, deren Bedeutung weltweit spürbar ist: Neben ihrer atemberaubenden Gesangskarriere hat sie sich als Regisseurin und Schauspielerin einen Namen gemacht – ihre Wirkung aber erstreckt sich auf weit mehr als das Showbusiness: Um im Jahr 2018 zur einflussreichsten Person auf Twitter gekürt zu werden, brauchte sie schließlich nur 13 Tweets und wenn sie heute ein Konzert gibt, sorgt ihre Präsenz allein für Konsumausgaben größer als das Bruttoinlandsprodukt vieler Bundesstaaten.
Geradezu unaufdringlich erscheint im Vergleich dazu Swifts Musik – diese jedoch zur Nebensache zu erklären, wäre zu kurz gegriffen: Allein in diesem Jahr war sie nicht nur mit vier Alben in den US-amerikanischen Top Ten vertreten, fast gleichzeitig toppte sie auch mit »Speak now«, die US-Billboard-Charts. Damit hat Swift mehr Nummer-Eins-Alben veröffentlicht, als jede andere Frau und quasi im Vorbeigehen einen Rekord gebrochen, für den sogar die Musiklegende Barbra Streisand 60 Jahre benötigte, um ihn überhaupt aufzustellen. Kein Wunder also, dass die Öffentlichkeit vom Phänomen Taylor Swift fasziniert ist. Doch wer ist die Person, die Fans und Kritiker gleichermaßen in den Bann zu ziehen vermag?
Alles für die Karriere!
Kaum, dass Taylor Alison Swift am 13. Dezember 1989 das Licht der Welt erblickt, scheint ihre musikalische Laufbahn auch schon vorherbestimmt, denn Namenspate des jungen Mädchens ist kein geringerer als Folkrock-Urgestein James Taylor. Die Lebenswege der beiden Bühnenpersönlichkeiten werden sich im Verlauf ihrer Karriere noch mehrmals kreuzen. Auch das musische Talent selbst scheint ihr in die Wiege gelegt – schließlich hatte ihre Großmutter Marjorie Finlay als Opernsängerin bereits Bühnen in Nord- und Südamerika erobert und war dabei sogar im Fernsehen aufgetreten. Für die junge Taylor Swift gilt sie als Vorbild; ihr wird sie später ein Lied auf dem Album »Evermore« widmen. »Ich hatte die magischste Kindheit, lief frei und ging überall hin, wo ich wollte«, erinnert sich der heutige Weltstar im Interview mit dem Magazin »Rolling Stone«.
Doch auch wenn die behütete Familie sicherlich den Weg für die berufliche Zukunft ihrer Tochter ebnete – dass Taylor Swift sich heute zur Spitze der A-Prominenz zählen kann, hat sie allein sich selbst zu verdanken. Denn schon von Kindesbeinen verfolgt sie das Ziel, mit ihrer Musik die Bühnen der Welt zu erobern. Und so lässt sich Swift ab dem Alter von neun Jahren zur Sängerin ausbilden; als Vorbilder dienen ihr damals Musikerinnen wie LeAnn Rimes und Shania Twain; Country-Größen also, welche die Brücke zur Pop-Musik zu schlagen wissen und von denen sich Swift vor allem zu ihrer Anfangszeit maßgeblich musikalisch inspirieren lässt.
Erst einmal heißt es allerdings, einen Plattenvertrag zu ergattern – gar nicht so leicht für die ehrgeizige Tochter eines Wertpapierhändlers und einer gelernten Marketingangestellten. Doch Swift bleibt dran, zieht für ihren Traum sogar nach Nashville, ins pulsierende Herz der Country-Musik, und hat dort schließlich Erfolg: Während sie mit Auftritten bei Karaokewettbewerben ihre Bühnenpräsenz zu schärfen versucht, wird der Musikproduzent Scott Borchetta auf sie aufmerksam. Von nun an überschlagen sich die Ereignisse: 2004 wird Swift zur professionellen Songwriterin, 2005 setzt sie ihre Unterschrift unter einen Vertrag mit Big Machine Records, 2006 veröffentlicht sie ihre erste Single »Tim McGraw« und im selben Jahr folgt ihr erstes eigenes Album, das schlicht den Namen »Taylor Swift« trägt.
Mit Country in die Welt hinaus
Zurückhaltend, aber dadurch nicht weniger präsent lächelt Swift auf dem Cover ihres Erstlingswerks in die Kamera – es ist ein Blick aus dem Zielstrebigkeit spricht und der von einem Selbstbewusstsein zeugt, das sich bald auszeichnen wird: Denn der Verkauf des Albums übertrifft schon bald die Erwartungen: Schnell katapultiert sie ihr Debütalbum auf Platz fünf der Charts – unter den 200 besten Alben der USA hält es sich rekordverdächtige 276 Wochen. Auch die erste Auszeichnung folgt auf dem Fuße: Fünffach-Platin gibt es für die Newcomerin, die quasi über Nacht zu einer Berühmtheit geworden ist – zumindest in den USA, denn international lässt der Erfolg noch etwas auf sich warten. Erst ihr zweites Album, »Fearless«, das wenige Jahre später veröffentlicht wird, macht Swift auch hierzulande zur Berühmtheit, erreicht es doch auf Anhieb Platz zwölf der deutschen Charts und hält sich darüber hinaus für drei Monate in den Top 100.
In den USA hingegen ist sie bereits zu dieser Zeit zum Superstar avanciert: «Fearless« steigt direkt auf Platz Eins der Billboard Charts ein; wird kurze Zeit später sogar meist verkauften Album des Jahres 2009. Im darauffolgenden Jahr macht sie wieder durch eine Auszeichnung auf sich aufmerksam: Die damals knapp 20-Jährige erhält den Peoples’ Choice Award in der Kategorie »Beste Künstlerin«. In demselben Jahr gewinnt sie außerdem ihren ersten Grammy – und gleich noch drei weitere dazu.
Jetzt, so könnte man meinen, ist Swift tatsächlich auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft angekommen. Doch weit gefehlt, denn von nun an geht es erst richtig steil bergauf: So erhält sie in den kommenden Jahren eine Auszeichnung nach der anderen und bricht dabei quasi im Vorbeilaufen einige Rekorde: Für die Singleauskopplung »Mean« beispielsweise darf sie zwei weitere Grammys ihr eigen nennen – das dazugehörige Album »Speak Now« verkauft sich bereits in der ersten Woche über eine Million Mal. Der erste Nummer Eins Hit in den US-Charts »We are never ever getting back together« stammt aus dem Album »Red«, das im Jahr 2012 erscheint. Da ist Taylor Swift bereits zur erfolgreichsten kommerziellen Sängerin gekürt worden: Im Jahr 2011 schätzten Medien ihr Vermögen auf etwa 35 Millionen US-Dollar.
Markenbotschaft: Nahbarkeit
Diese Rekorde lassen keinen Zweifel zu: Innerhalb kürzester Zeit hat Taylor Swift das Image der als besonders traditionell geltenden Countryszene ordentlich entstaubt und das Genre für eine neue Generation an Fans geöffnet. Dass die Begeisterung um den Shootingstar aber vor allem an deren Persönlichkeit geknüpft ist, zeigt sich 2014 in aller Deutlichkeit – denn das ist das Jahr, in dem sich der Celebrity musikalisch neu erfindet. »Das wird mein erstes reines Pop-Album!«, schwärmt sie damals ihren Fans im Livestream vor und gibt noch im gleichen Atemzug einen Einblick auf ihre Gefühlswelt frei – zeigt ihren Anhängern so, wie sehr sie zwischen erwartungsvoller Spannung und Unsicherheit schwankt:» Ich wachte jeden einzelnen Tag auf und wollte nicht, sondern musste einen neuen Musikstil machen, den ich noch nie zuvor gemacht hatte«, erklärt sie etwa, während sie beinahe im selben Moment von ihrer persönlichen Bindung zur neuen Musikrichtung erzählt: Die Botschaft des Pop sei ihr nämlich ans Herz gewachsen: »… trag, was du willst, tu, was du willst. Die Vorstellung davon war für mich so inspirierend!« erklärt sie.
Die Ankündigung des Albums »1989« ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass Taylor Swift trotz ihrer internationalen Bekanntheit Authentizität zu ihrer Maxime erklärt hat. Denn wo andere Superstars mit einem Team von Marketing-Experten, Songwritern und Backgroundtänzern aufwarten, lässt Taylor Swift die Welt wissen, dass es vor allem sie selbst ist, die für ihre Leistungen einsteht: Die große Bühnenshow, mit der andere Superstars zu beeindrucken wissen? Sie fehlt fast vollständig, denn Swift benötigt nichts weiter als eine rote Akustikgitarre, um alle Blicke auf sich zu ziehen. Auch ihre Texte stammen allesamt aus ihrer eigenen Feder, geben den Blick auf ihre Gefühlswelt frei, wenn sie vom Umgang mit Trennungen, Selbstzweifeln und psychischen Problemen berichtet. Die eigene Verletzlichkeit – sie wird zu Swifts großer Stärke, ihre Nahbarkeit zu ihrem Markenzeichen, auf das der Celebrity gerade in den letzten Jahren immer mehr Wert zu legen scheint: Den Wendepunkt markiert wohl das Jahr 2018 – denn hier äußert sich der bisher als unpolitisch geltende Star erstmals zu gesellschaftlichen Themen indem er sich überraschend für die demokratische Partei ausspricht. Die Meldung macht international Schlagzeilen – der befürchtete Imageschaden, den schon Countrygrößen wie die Dixie Chicks erleiden mussten, er bleibt allerdings aus – wohl auch deswegen, weil Swift ihre bisherige Enthaltung zu solchen Themen offen über ihre Kanäle als Fehler kommunziert und ihren Sinneswandel als Teil ihrer persönlichen Reifung darlegt: »In der Vergangenheit war ich zurückhaltend, wenn es darum ging, meine politische Meinung öffentlich zu äußern, aber aufgrund verschiedener Ereignisse in meinem Leben und in der Welt in den letzten zwei Jahren, denke ich jetzt ganz anders darüber«, heißt es in einem damaligen Instagrampost.
Die Einbeziehung ihrer Community entpuppt sich als ein kluger Schritt – jetzt zahlt es sich aus, dass sie bereits seit Jahren über eine treue Anhängerschaft verfügt, für die sie nun zu einer Projektionsfläche für persönliche Weiterentwicklung geworden ist. Die außergewöhnliche Bindung zu ihren Fans stärkt sie auch in anderer Hinsicht: So begleitet sie Netflix für die 2020 erschienene Produktion »Miss Americana« in einer sensiblen Lebensphase und lässt den Zuschauer damit an den persönlichen Schicksalsschlägen und intimsten Gefühlen des Superstars teilhaben. Die Ausstrahlung sorgt international für Aufsehen, und wird mit zahlreichen Auszeichnungen prämiert – sie erhält unter anderem den Hollywood Critics Association Midseason Award für die beste Dokumentation des Jahres.
Sprachrohr einer Generation und Meisterin der leisen Töne
Der weltweite Zuspruch ihrer Anhängerschaft bestärkt Swift offenbar auch darin, sich sowohl für die eigenen als auch für die Rechte anderer einzusetzen. Als ihr ehemaliges Label Big Machine Records ihr die Nutzung der eigenen Hits verwehren will, schafft es Swift, auch diese Krise zu ihrem Vorteil zu nutzen: Dank Re-Recordings ihrer früheren Erfolge gelingt es ihr nicht nur, die verloren geglaubten Rechte zurückzuerobern, das Vorgehen zahlte sich zudem sowohl in finanzieller als auch aus marketingtechnischer Sicht für sie aus. Durch den medienwirksam ausgetragenen Rechtsstreit schärft die Sängerin nämlich ihre Vorbildfunktion ein weiteres Mal, kann sie sich hierdurch doch als Vorkämpferin benachteiligter Künstler positionieren. Im Sommer diesen Jahres scheint Taylor Swift dann alle Früchte ihres fortwährenden emanzipatorischen Entwicklungsprozesses auf einen Schlag ernten zu können: Mit ihrem ebenso selbstbewussten wie bescheidenen Auftreten hat sie seit Beginn ihrer Karriere Herzen auf der ganzen Welt für sich gewinnen können – jetzt setzt sie als gestandene Businessfrau neue Maßstäbe. Mit geschätzten 740 Millionen US-Dollar Nettovermögen belegt sie im aktuellen »Forbes«-Ranking den 34. Platz unter den »America’s Self-Made Women« – und auch Ihre erst kürzlich gestartete »The Eras Tour« ist schon jetzt rekordverdächtig, könnte sie doch die Tournee mit den höchsten Einnahmen der Musikgeschichte werden: 1,3 Milliarden US-Dollar Gewinn zeichnen sich allein durch den Verkauf ihrer Konzertkarten ab. Zum Vergleich: Der derzeitige Rekordhalter Elton John erzielte lediglich einen Gewinn von 887 Millionen. Dass ihre bisher von Erfolgen gesäumte Laufbahn Swift nicht zu Kopf gestiegen ist, zeigt eine Geste, die sie erst kürzlich ihren Mitarbeitern entgegenbrachte: Anlässlich einer Routinebesprechung überraschte sie ihre gesamte Crew mit einem Scheck über 100.000 US-Dollar. Die Wertschätzung ihrer Mitmenschen – sie ist der Dreh- und Angelpunkt ihres Erfolgsgeheimnisses.
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AS
Aus: Erfolg Magazin 05/2023