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Freigeister sind erfolgreicher

Teaser:
Die erfolgreichsten Leader der Gegenwart wirken manchmal wie große Kinder mit überdurchschnittlich ausgeprägtem Spieltrieb und einem Autoritätsproblem. Die verrücktesten Ideen sind ihnen gerade groß genug, und sie lassen sich von nichts und niemandem beirren. Doch worin liegt wirklich ihr Geheimnis? Wie führen sie ihre Unternehmen in den Olymp? Die Antwort steckt in ihrer Haltung zum Erfolg.   

 

Was macht ein Unternehmen erfolgreich? Es gibt mindestens so viele Antworten auf diese Frage, wie es Führungstheorien gibt. Die meisten davon haben eines gemeinsam: Sie betrachten das Geschäftsmodell, das System, die Zahlen. Und aus ihnen versuchen sie Regeln abzuleiten, wie ein erfolgreiches Unternehmen tickt.

Ich denke, dass das Geheimnis eher darin liegt, wie die Menschen ticken, die diese Unternehmen führen. Und wenn ich die erfolgreichsten Menschen unserer Zeit betrachte, dann entdecke ich in ihren Persönlichkeiten und in ihren Führungsstilen eine Gemeinsamkeit, die vielleicht schwer analysierbar ist – aber durchaus operationalisierbar.

 

Starke Leader sind frei im Denken  

Meine Beobachtung aus 25 Jahren Führungspraxis als Unternehmer und früher als angestellter Manager ist: Die außergewöhnlich erfolgreichen Unternehmen werden auffällig oft von Irren geführt. Oder, um es freundlicher auszudrücken: von obsessiven Menschen.

Schauen Sie sich Steve Jobs oder Richard Branson an. Oder Elon Musk, den Star-Investor von Tesla. Doch so weit müssen wir gar nicht ausholen: Meine Freunde André Lüthi, der Richard Branson der Schweiz, oder Karl Kistler, der Edelweiss Air zu einer Erfolgsgeschichte gemacht hat. Auf ihre Art alles Verrückte. Das ist doch kein Zufall!

Frei nach einem Ausspruch von Steve Jobs sind die Verrückten tatsächlich oft die, die die Welt verändern. Woran liegt das?

Über all diese erfolgreichen Unternehmer und ihre Unternehmen erzählen die Zahlen nur die halbe Erfolgsgeschichte. Was dahinter steckt, was diese Menschen dahin gebracht hat, das ist keine betriebswirtschaftliche Nenngröße – das ist eine Haltung. Diese Menschen sind so erfolgreich, weil sie keine Schranken im Kopf haben. Und ihren Mitarbeitern keine setzen, jedenfalls nicht an den falschen Stellen. Diese Menschen sind frei im Denken und im Handeln. Und sie reichen die richtigen Freiheiten an die richtigen Stellen weiter – denn auch der klügste Kopf kann nicht allein erfolgreich sein.

Die großen Unternehmer und die großen Teams der Geschichte und der Gegenwart sind frei, und deshalb erfolgreich. Nicht umgekehrt!

 

Das Erfolgsrezept der Verrückten

Doch woher nehmen sie diese Freiheit? Was die positiv durchgeknallten Leader eint und auszeichnet, ist eine Art auf den Erfolg ausgerichtete Sturheit – Obsession eben!

Die großen Entrepreneure lassen sich von nichts und niemandem beirren. Sie sind bereit, sich gegen die Billionen von Gegenstimmen durchzusetzen, mit denen jeder Führende tagtäglich konfrontiert ist. Die Excel-Taliban mit ihrem Effizienz- und Kontrollwahn haben bei ihnen keine Chance. Sie blenden die Zweifler aus, wenn Sie Hierarchien einreißen, ganze Branchen im Alleingang auf den Kopf stellen und oft mit einer einzigen Idee die Art verändern, wie wir Dinge tun – recherchieren, telefonieren, reisen, lesen, Musik hören, sogar schlafen. Das zeichnet sie als Leader aus. Das macht diese Menschen zum Vorbild. Und das macht sie erfolgreich. Denn wenn ich als Führender andere Menschen mit meinem Willen zum Erfolg inspiriere, dann wird meine Freiheit zu einem perpetuum mobile. Freiheit ist nämlich ansteckend.

Natürlich geht mit dieser Sturheit auch ein Risiko einher, das nicht verschwiegen werden darf: Wenn sie sich gegen die eigenen Leute richtet, die eigentlich Partner bei der gemeinsamen Mission sind, dann hört der Spaß auf. Dann wird aus der persönlichen Stärke „Obsessivität“ eine persönliche Schwäche. Eine, die wir uns als Führungskräfte nicht leisten können.

Erfolg hat man nie gegen die Menschen – jedenfalls nicht nachhaltig. Erfolg haben wir immer mit den Menschen.

 

Freiheit geht auch Corporate!

Nun sagen Sie vielleicht: Diese Entrepreneure und Start-up-Typen haben’s leicht. Die können sich in ihrem Mikrokosmos aufführen wie Peter Pan, und dank der Digitalisierung lässt sich sogar noch die verrückteste Idee ohne große Risiken umsetzen. Das funktioniert nicht in jeder Branche, und schon gar nicht ab einer gewissen Größe!

Tatsächlich ist die geistige Barrierefreiheit auch in der Corporate-Welt ein Erfolgsmodell – nur unter anderen Vorzeichen. Auch die großen Konzernlenker sind oft Menschen, die sogar von ihrem eigenen Umfeld für verrückt erklärt werden. Betrachten Sie nur das Beispiel von Haier, dem Weltmarktführer für Haushaltsgeräte. Ein weltumspannendes Imperium für weiße Ware und einer der leibhaftigen Gründe für die Angst des Westens vor China.

Kein Wunder, denken Sie, mit sozialistischen Methoden? Weit gefehlt: Auch Haier ist deshalb so erfolgreich, weil es von einem Verrückten geführt wird: Zhang Ruimin. Selbst aus unserer westlichen Perspektive betrachtet ist dieser CEO ungefähr so chinesisch wie meine Großmutter. Als chinesischer Arbeitersohn hat er nicht studiert. Als er den Laden 1984 übernahm, hatte er keine Führungserfahrung. Was er hatte, waren radikale Ideen – und dieses gewisse Maß an Obsession, das die großen Leader auszuzeichnen scheint.

Als erste Amtshandlung ließ Ruimin seine Mitarbeiter die Produktion von drei Tagen lustvoll mit einem Vorschlaghammer demolieren. Begründung: schlechte Qualität. Das war damals. Jetzt sind es 32 Milliarden Umsatz, Tendenz steigend. Und außerhalb Asiens fängt Haier gerade erst richtig an.

Auch für die Führung seines Unternehmens hat Ruimin einen (aus heutiger Sicht) ziemlich durchgeknallten Masterplan. Der passt ganz und gar nicht zum Bild der chinesischen Wirtschaft, das im Westen lange Zeit vorherrschte. Die Eckpunkte: eigenständiges Denken, Kreativität, Freiheit. Und der CEO hat sehr konkrete Vorstellungen davon, wie sich diese Prämissen konkret operationalisieren lassen. „Die Firma der Zukunft hat keine Angestellten mehr“, sagt Ruimin.

Das ist eine operative Parallele mit den neuen digitalen Riesen wie der Fahrervermittlung Uber, aber auch eine mentale. Das ist der Punkt, an dem sich die Verrücktheit der erfolgreichen Leader ähnelt: Sie haben Ideen, die auf den ersten Blick betrachtet völlig wahnwitzig sind – und ziehen sie tatsächlich erfolgreich durch. Und die Antwort auf die Frage, wie ihnen das gelingt, ist auch hier die gleiche: indem sie sich stur in den Gegenwind stellen.

Sich gegen die Billionen Gegenstimmen durchzusetzen ist eine Kernkompetenz in der Führung. Eine, die all die obsessiven Irren eint, die es mit ihren Ideen an die Spitze schaffen. Und das ist eine Freiheit, die wir uns als Führende nehmen müssen. Niemand wird uns die Befugnis zum Freidenken erteilen. Aber wir können sie unseren Mitarbeitern schenken. Solange wir dagegen selbst auf der sicheren Seite verharren, werden auch unsere Mitarbeiter nicht über sich hinauswachsen.

 

Wahnsinn mit System

Nun fragen Sie vielleicht zurecht: Wie um alles in der Welt soll ich Freiheit operationalisieren? Schließlich sind wir nicht alle Richard Branson oder Elon Musk.

Natürlich ist Leadership nicht Obsession allein. Erfolgreich sind wir nur gemeinsam. Der Wahnsinn erfolgreicher Leader hat System: Sie behalten ihre Freiheit nicht für sich. Nur wenn Freiheit als Führungsprinzip das ganze Unternehmen durchdringt, können Teams und jeder Einzelne Ergebnisse erzielen, die sich deutlich vom Wettbewerb abheben.

Außergewöhnliche Leader geben ihren Teams genau die Freiheiten, die sie brauchen, um ihre Kunden zu begeistern. Sie beziehen ihre Mitarbeiter ein, indem sie sie

  • herausfordern: Sie umgeben sich mit anderen obsessiven Menschen, die sich bereitwillig auf irrwitzige Aufgaben stürzen;
  • einschwören: Sie interessieren sich für die Menschen in ihrem Unternehmen und fördern deren Lebensqualität auf dem gemeinsamen Weg, anstatt sie auszubeuten;
  • überraschen: Sie denken immer ein bisschen größer als alle anderen und ermutigen ihre Mitarbeiter, in Möglichkeiten zu denken statt in Grenzen.
  • befreien: Sie räumen ihren Mitarbeitern operative Hindernisse aus dem Weg und beseitigen latente Denkbarrieren.

Ein wichtiger erster Schritt in die Freiheit ist: die richtigen Fragen an die richtige Adresse richten. Fragen wir nicht immer nur danach, was im gegebenen System möglich ist – fragen wir danach, was der Kunde davon hat. Fragen wir uns nicht mehr, was unsere Mitarbeiter wohl motivieren könnte – fragen wir unsere Mitarbeiter. Fragen wir nicht mehr danach, was irgendein anderer tun würde (Steve Jobs, Gordon Gekko oder Ihr Vorgesetzter) – fragen wir uns, was wir tun können. Fragen wir nicht nach Grenzen, fragen wir nach Chancen. Fragen wir nicht den Manager in uns – fragen wir den Leader in uns.

Und wenn seine Antwort erst einmal verrückt klingt, dann ist sie vielleicht gerade richtig.

 

 

Mehr über das Führungsprinzip Freiheit im neuen Buch von Carsten K. Rath: „Ohne Freiheit ist Führung nur ein F-Wort – Mitarbeiter entfesseln, Kunden begeistern, Erfolge feiern“, Gabal Verlag 2017

 

 

Der Autor
Der Entrepreneur CARSTEN K. RATH ist Keynote-Speaker und Autor zu den Themen Führung und Service. Rund um den Globus hat er Tausende Mitarbeiter geführt und mehrere erfolgreiche Marken in Hospitality und Beratung etabliert. Als viel gefragter Vortragsredner gibt er den unterschiedlichsten Unternehmen Impulse für Kundenbegeisterung. Als Managementberater ist er auf Vorstands- und Geschäftsführungsebene international geschätzt und hat das Vertrauen erfolgreicher Unternehmer und Führungskräfte. www.carsten-k-rath.de

 

Bilder: Jean_Nelson/depositphotos, Carsten K. Rath