Christian Jürgens ist gastronomischer Leiter und Geschäftsführer des Restaurants Überfahrt im Althoff Seehotel Überfahrt in RottachEgern am Tegernsee. 2013 wurde seine Küche mit dem dritten MichelinStern bewertet. Zudem ehrte ihn der GaultMillau mit 19,5 Punkten und kürte ihn im Jahr 2013 zum Koch des Jahres.
„Begegne Veränderungen offen, furchtlos und mutig“, war einer der Ratschläge, die eine Lehrerin meines Sohnes den Schülern bei ihrer Abschiedsrede mit auf den Weg gab. Dieser Rat ging mir nicht mehr aus dem Kopf! Sofort konnte ich Parallelen in meinem beruflichen, aber auch privaten Umfeld finden. In der Vergangenheit hatte ich auf Veränderungen zum Teil verschreckt, verkrampft und auch mit Angst reagiert. In der Gastronomie wird man sehr oft mit Veränderungen konfrontiert. Es gibt wohl keinen Tag, an dem man nicht plötzlich auf unerwartete Bedingungen reagieren muss und so vor eine neue Herausforderung gestellt wird. Etwa wenn das Menü für eine Gesellschaft bereits gekocht ist und dann ein Gast dem Kellner mitteilt: „Ich vertrage keine Laktose“, oder wenn das Himbeerdessert für ein Geburtstagsmenü fest eingeplant ist und der Lieferant am Morgen gesteht, dass er keine Himbeeren bekommen hat. Wenn die aufwendig zubereitete Buttermilchmousse beim Anrichten samt Schale auf den Boden fällt und diese zerbricht, oder wenn ein Mitarbeiter erkrankt … Die Liste solcher „Unwägbarkeiten“ des Alltags in der Gastronomie lässt sich fast endlos fortsetzen, und ich habe in den verschiedenen Restaurants, in denen ich gearbeitet habe, alles Denkbare und auch Undenkbare wohl schon erlebt. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie man solch einer „Veränderung“ begegnen möchte. Grundsätzlich hat man ja immer zwei Möglichkeiten. Entweder schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, hadert mit dem Schicksal und fragt sich: „Warum passiert das gerade heute und warum ausgerechnet mir?“ Wahrscheinlich ist es auch die Angst davor, dass sich etwas ändert und das Gewohnte aus den Fugen gerät, die dazu führt, dass man geradezu gelähmt und handlungsunfähig ist. Die Alternative ist, zu sagen: „Okay, es ist jetzt, wie es ist. Darauf muss ich mich nun einstellen.“ An dieser Stelle greift der Rat der Lehrerin: „Begegne Veränderungen offen, furchtlos und mutig“, denn nur so können sie einem nichts anhaben. Diese Erfahrung durfte ich in meinem Leben, sowohl beruflich als auch privat, immer wieder machen.
Hat der Gast eine Allergie, bringt der Lieferant die bestellte Ware nicht oder nicht in der gewünschten Qualität oder fällt der Patissier plötzlich aus, dann sammle ich mich und suche nach einer Lösung, wie ich diese Situation bewältigen kann. Dabei vertraue ich auf meine Kompetenz, meine Stärke und natürlich auf meine Kreativität. Diese drei Dinge helfen mir, auf das Unerwartete zu reagieren. Dabei entstehen auch ungewöhnliche Lösungsansätze.
Der Grundsatz, „offen, furchtlos und mutig“ mit Veränderungen umzugehen, hat mir immer geholfen, meine täglichen Herausforderungen zu akzeptieren, anzunehmen und vor allem zu meistern. Es gibt so gut wie nichts, vor dem man sich im Leben fürchten muss, sofern man seine Herausforderungen bewusst und zu 100 Prozent annimmt!
Diese Einstellung gebe ich auch so an mein Team weiter. Grundsätzlich finde ich es sehr wichtig, dass man sich im Klaren darüber ist, nach welchen Grundsätzen, Motiven und Leitgedanken man leben und arbeiten möchte. In unserem Restaurant Überfahrt schreibt jeder Koch sein Lebensmotto – also das, was ihn täglich antreibt – auf seine Kochmütze. Diese Mützen hängen in unserer Küche gut sichtbar am Pass. Dadurch kann jeder im Team sehen, was den anderen antreibt und wofür er steht. Dies hilft uns, einander besser zu verstehen, und stärkt uns als Gruppe. Auf meiner Mütze stehen gleich zwei Dinge, die mir wichtig sind, die mich täglich antreiben und die den Anspruch an meine Arbeit widerspiegeln: „Geh die Wege, die noch niemand ging, damit du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub“ habe ich vor einigen Jahren zu meinem zweiten Lebensmotto „Qualität ist niemals Zufall, sie ist immer das Ergebnis hoher Ziele, aufrichtiger Bemühungen, intelligenter Vorgehensweise und geschickter Ausführung“ hinzugefügt. Diese beiden
Leitsprüche, die – wie ich denke – selbstredend sind, möchte ich noch mit einer bedeutenden Aussage von Dieter Müller (Drei-Sterne-Koch) vervollständigen. Er antwortete einmal auf die Frage, was für ihn drei Michelin-Sterne bedeuten: „Kontinuität, Kontinuität, Kontinuität.“
Damit bringt er es „messerscharf“ auf den Punkt. Dranbleiben, fortlaufend auf höchstem Niveau kochen und jeden Tag aufs Neue versuchen, ein Quentchen besser zu werden, ist es, was letztlich für den langfristigen Erfolg entscheidend ist. Und dazu gehört eben auch, kontinuierlich furchtlos Veränderungen zu begegnen und entsprechend zu reagieren.
Frank Arnold: Der beste Rat, den ich je bekam: Lebensrezepte von Spitzenköchen
Hanser Verlag, ISBN: 978-3446254985
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