Ingo Lenßen ist zurück! Ob »Lenßen & Partner« oder »Lenßen übernimmt« – seit mehr als zwei Jahrzehnten ziehen die Fälle des Anwalts mit dem markanten Schnurrbart die Zuschauer in den Bann. Doch woher rührt eigentlich die Faszination für Scripted Reality? Das haben wir UFA-Produzentin Nadia Wölfel gefragt. Im Interview blickt sie mit uns hinter die Kulissen der »Lenßen«-Formate und verrät, welche Faktoren eine Sendung zum Quoten-Erfolg werden lassen.
Frau Wölfel, ein neues Format mit Ingo Lenßen steht in den Startlöchern. Was erwartet die Zuschauer bei »Lenßen hilft«?
Ingo Lenßen berät, gemeinsam mit zwei weiteren Anwälten – Lisa Cramer und Lennart Hartmann – Mandanten, die juristische Hilfe brauchen. Anlaufstelle ist ein Rechtsberatungsbus, der auf unterschiedlichen Plätzen in Berlin steht. Die Themen, mit denen die Mandanten auf unsere Anwälte zukommen, sind breit gefächert, kommen schwerpunktmäßig aus den Bereichen Familienrecht, Arbeitsrecht, Mietrecht, Erbrecht und Strafrecht. Die Fälle sind gescriptet, entstehen aber auf der Grundlage echter Mandate. »Lenßen hilft« soll einerseits rechtliches Wissen und Service vermitteln und andererseits mit relevanten Geschichten unterhalten und die Zuschauer emotional berühren. Das, was wir machen, nennt sich »Helptainment«.
Was unterscheidet die Sendung von früheren Formaten?
Hauptunterscheidungsmerkmal zu früheren Formaten ist, dass Ingo Lenßen zwei weitere echte Anwälte an der Seite hat. Über die dreifache juristische Expertise rücken wir bei »Lenßen hilft« die Vermittlung von rechtlichen Zusammenhängen, Hilfe und Service stärker in den Vordergrund. Mit den Fragestellungen der Mandanten, die wir erzählen, könnten unsere Anwälte auch in ihren echten Kanzleien betraut werden. Wir stellen sicher, dass die Geschichten für die Lebenswirklichkeit unserer Zuschauer alltagsrelevant sind und nicht ins Unrealistische überhöht werden. Der Realitätsanspruch und der Wunsch nach Authentizität und Nachvollziehbarkeit ist höher als früher. Das Credo lautet: »Keep it real!«.
Sie arbeiten schon viele Jahre mit Ingo Lenßen zusammen. Wie hat sich das Reality TV in diesen rund 20 Jahren verändert?
Kurz zur Terminologie: Scripted Reality ist keine Reality, auch wenn die Bezeichnung so klingt. Scripted Reality ist fiktionales Programm: Laiendarsteller spielen Geschichten, die auf wahren Gegebenheiten beruhen, die aber gescriptet sind.
Tatsächlich ist »Lenßen hilft« mein drittes Daytime-Format mit Ingo Lenßen, davon das zweite für meinen aktuellen Arbeitgeber, die UFA. Es ging los im Jahr 2003 mit »Lenßen & Partner«, dann kam 2020 »Lenßen übernimmt« und jetzt 2024 startet »Lenßen hilft«. Ingo und ich haben aber noch immer nicht die Nase voll voneinander (lacht). Wir haben ein besonderes Vertrauensverhältnis und mögen es sehr miteinander zu arbeiten.
Die Formatierungen der Lenßen- Formate haben sich in über 20 Jahren sehr verändert. Heute liegen die Plots deutlich näher an der Lebenswirklichkeit der Zuschauer. »Lenßen & Partner« zeigte Anfang der 2000er unter anderem große Verbrechen wie Entführung, Erpressung und Totschlag. Diese hoch gelagerten Straftaten würde ich heute in einem Daytime- Format nicht mehr erzählen, da wir dem Hilfe- Anspruch unserer Formatierung dabei nicht gerecht werden könnten und da ich es in der aktuellen gesellschaftlichen Situation für wichtig halte, den Zuschauern Mut zu machen und Hoffnung zu vermitteln.
Genreübergreifend und insbesondere im Genre Reality hat sich in den letzten 20 Jahren auch einiges verändert; in allererster Linie durch Social Media. Vor 20 Jahren steckten YouTube und Facebook noch in den Kinderschuhen, Instagram und TikTok gab es noch nicht. Die sozialen Netzwerke haben den Fernsehmarkt stark verändert. Die Tatsache, dass Menschen plötzlich aus ihren Wohnzimmern streamen konnten, hat die Grenze zwischen Machern und Usern zunächst verschwimmen lassen und Macher bekamen über die Interaktion ganz unmittelbare Reaktionen der Zuschauer auf ihr Programm. Man könnte sagen: Social Media ist auch eine Form des Reality-TV, nur selbst gemacht.
Wenn die Ambition ist, näher an der Lebensrealität der Menschen zu sein, warum werden die Geschichten dann nochmal fiktional aufbereitet?
Wenn wir die Geschichten bei »Lenßen hilft« real erzählen könnten, würden wir es tun. Nachvollziehbarerweise lassen sich Menschen, die beispielsweise Opfer von häuslicher Gewalt oder Stalking werden, aber nicht von einer dokumentarischen Kamera in einem Daytime-Format begleiten. Häufig schweigen sie – ob aus Scham oder emotionaler Abhängigkeit – und wenn sie überhaupt rechtliche Schritte prüfen, dann sicher ohne Kamera.
Ich glaube daran, dass man die Geschichten dieser Menschen trotzdem erzählen sollte, besonders, um Zuschauern Hilfestellungen zu geben, die ähnliches erleben. Nicht das Genre, sondern der Inhalt ist entscheidend, wenn man für ein Thema Aufmerksamkeit schaffen möchte.
Wie läuft diese Entwicklung von der Entscheidungsfindung, ein neues Format mit Ingo Lenßen zu machen, hin zur Beauftragung ab?
Die Entwicklung von »Lenßen hilft« begann zwischen Ingo Lenßen und mir. Ingo ist Kopf des Formats und bringt die Expertise als Anwalt mit, ich steuere die Expertise als Fernsehmacherin bei. Gemeinsam haben wir uns zunächst überlegt: Wen möchten wir erreichen? Was möchten wir erzählen? Am Anfang jeder Entwicklung geht es darum, seine Zielgruppe zu kennen und einen sehr klaren USP zu erarbeiten.
Danach haben wir weitere Anwälte gecastet und uns letztlich für Lisa Cramer und Lennart Hartmann an Ingos Seite entschieden. Neben einem klaren USP braucht man in jedem Format starken und authentischen Cast, an den sich der Zuschauer binden möchte. Ich stecke viel Zeit und Hingabe in Casting und den Prozess, besondere Menschen zu identifizieren.
Als Produzentin liefert man dem Sender einen starken Pitch, glaubwürdige faces, ein detailliertes Konzept und ein Preisschild. Und idealerweise läuft es dann wie bei »Lenßen hilft«: die UFA als Produktionsfirma, Sat.1 als Sender und Ingo Lenßen als Host committen sich zu einer 1. Staffel von 120 Folgen.
Was ist Ihre Rolle bei dieser Entscheidungsfindung?
Ich setze das Format auf, konzeptioniere es mit Unterstützung eines kleinen Autorenteams, kreiere den USP, plotte im Team den großen Erzählbogen bei fortlaufend erzählten Formaten oder das Referenz- Treatment einer Folge bei abgeschlossen erzählten Formaten. Darüber hinaus suche ich den Festcast aus, pilotiere und verkaufe ich und stelle die Key-Personalien für die Produktion zusammen. Ein Produzent ist nichts ohne ein starkes Team. Mit der Producerin von »Lenßen hilft«, Katja Kirmse, arbeite ich beispielsweise seit fast 15 Jahren in unterschiedlichen Projekten zusammen – und ich liebe es. Sobald ein Format ausgestrahlt wird, gilt es als Produzentin – besonders bei hochvolumigen täglichen Programmen – das Format frisch zu halten, dabei aber niemals den USP zu verlieren.
Ist ein erfolgreiches Format eher eine Frage von knallharter Recherche oder von einem guten Bauchgefühl?
Es ist beides. Grundsätzlich entscheide ja auch nicht ich alleine, sondern es gehört immer auch ein Auftraggeber dazu (lacht). Der Markt ist im Moment sehr fragmentiert und umkämpft und die Auftraggeber – Sender wie Streamer – können allein aus budgetären Gründen nicht so mutig sein wie sie es vielleicht selbst gerne wären. Eine hundertprozentige Sicherheit vor dem Launch gibt es nie, aber in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit muss auch die Produzentenseite dafür sorgen, maximal mögliche Sicherheiten zu schaffen. Dazu gehören knallharte Hausaufgaben wie Recherche, aber auch Erfahrung und starke Instinkte. Und die sind bei mir offenbar ganz gut ausgeprägt.
Wie haben Sie es geschafft, diese Skills zu erwerben?
Ein Mittel ist sicher Leidenschaft, zumindest bei mir. Es begann mit meinem Volontariat Mitte der 90er, das von einem sehr positiven Spirit, einem Gefühl des Aufbruchs begleitet war. Außerdem bin ich bin von Natur aus ein offener, neugieriger und positiver Mensch. Ich liebe es, Neues zu entdecken, zu lernen, zu wachsen und mich selbst zu challengen. Ich habe bis heute eine große Begeisterung für das, was ich tue. Ich empfinde es als Privileg, Geschichten produzieren und Menschen unterhalten zu dürfen.
Gab es ein Ereignis in Ihrer beruflichen Laufbahn, bei dem Sie eine Erfahrung gemacht haben, durch die Sie viel gelernt haben – im Positiven wie im Negativen?
Über die vielen Jahre in der TV- Branche hatte auch ich mit machtgetriebenen, cholerischen Vorgesetzten und Kollegen zu tun. Das war nicht angenehm, aber rückblickend hat es mich gezwungen, mich abzugrenzen und mir letztlich geholfen, mich auf meine eigenen Skills zu besinnen und meine eigenen Ziele in aller Klarheit immer wieder neu zu definieren.
Ziele und Vision Boards sind Gold für mich. Mein Arbeitszimmer hängt voller Figurenkonstellationen für die nächste Serie und voller weiterer beruflicher und privater Visionen.
Wichtig war es für mich, außerdem aus Flops zu lernen. Ich habe glücklicherweise nicht viele Flop-Formate in meiner Vita, aber ein paar gab es und die haben mir mehr Learnings verschafft als die Hits. Wenn ich der Rückschau ehrlich mit mir selbst bin, hätte ich an bestimmten Stellen früher wissen können, dass ein Format nicht funktionieren wird. Heute würde es mir nicht mehr passieren, mein Bauchgefühl wegzudrücken.
Gibt es ein Traumformat oder ein Traumgenre, in dem Sie etwas produzieren möchten?
Ja, es gibt ein Herzensprojekt, von dem ich weiß, dass ich es irgendwann produzieren werde. Das erzähle ich aber noch nicht. Für den Moment bin ich auch im Hier und Jetzt glücklich mit dem, was ich tue. Und jetzt gilt es erstmal, »Lenßen hilft« auf die Straße zu bringen!
Unsere Gesprächspartnerin:
Nadia Wölfel ist Produzentin bei UFA SERIAL DRAMA.
Seit über 20 Jahren arbeitet sie unter anderem mit Ingo Lenßen zusammen und produziert auch »Lenßen hilft« (TV-Start: 18. November, Mo- Fr, 18:00 Uhr und 18:30 Uhr).
Beitragsbilder: Alexander Neumann, Florian Reck
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