Der Blutwert ist ermittelt, die Diagnose gestellt – doch die Zustimmung zur OP erfolgt nur zögerlich oder bleibt ganz aus. Wie kann das sein?
Sabine Finkmann weiß: Um heilen zu können, benötigt es oft eine tragfähige Beziehung zum Patienten – und die besteht eben nicht aus Algorithmen, sondern aus Empathie. Warum Menschlichkeit in der Medizin sogar preiswürdig ist, hat sie uns im Interview erzählt.
Frau Finkmann, als Wirtschaftsprofilerin haben Sie sich auf Mimikresonanz und Emotionserkennung spezialisiert. Was bedeutet das genau und warum ist dieses Wissen so entscheidend für ein erfolgreiches (Berufs)leben?
Mimikresonanz bedeutet, die feinen Signale im Gesicht zu erkennen – Mikroexpressionen. Diese zeigen unbewusst, was jemand wirklich fühlt. Emotionserkennung geht noch einen Schritt weiter: Sie verbindet Körpersprache, Stimme und Kontext. Für das Berufsleben ist das ein echter Schlüssel – ob im Verkaufsgespräch, bei Verhandlungen oder in der Mitarbeiterführung. Das Erkennen von Emotionen bedeutet, nicht nur Signale wahrzunehmen, sondern das gesamte Bild zu verstehen.
Kann nicht jeder Mensch Emotionen erkennen? Inwiefern lassen sich diese Fähigkeiten trainieren?
Jeder erkennt Emotionen – aber meist nur die offensichtlichen. Die Mikroexpressionen, die in Millisekunden über ein Gesicht huschen, bleiben oft unbemerkt. Dazu kommt: Durch unseren übermäßigen Medienkonsum verlernen wir zunehmend, echte Gesichtsausdrücke im direkten Miteinander wahrzunehmen. Genau hier setzt das Training an: Mit gezielten Übungen schärfe ich die Wahrnehmung, so dass auch das Unausgesprochene sichtbar wird. Es ist wie beim Muskeltraining: Talent hilft, doch die wahre Stärke kommt durchs Üben und Trainieren.
Sie stehen selbst vor einem Meilenstein, denn Sie sind für den German Medical Award nominiert. Was würde Ihnen diese Auszeichnung konkret bedeuten – sowohl persönlich als auch im Hinblick auf Ihre Branche?
Persönlich wäre es für mich ein Traum – nicht nur, weil eine solche Auszeichnung ein großer Meilenstein ist, sondern weil sie zeigt: Menschlichkeit ist preiswürdig! In einer Welt, in der Effizienz und Digitalisierung oft im Vordergrund stehen, macht diese Nominierung deutlich, dass Empathie kein nettes Beiwerk ist, sondern ein entscheidender Erfolgsfaktor. Für die Branche bedeutet es ein Umdenken: Weg von der reinen Technikgläubigkeit, hin zu mehr Bewusstsein dafür, dass die Beziehung zwischen Arzt und Patient über den Behandlungserfolg mitentscheidet. Wenn ein Arzt die Angst hinter einem Lächeln erkennt oder das Unausgesprochene in einem kurzen Zucken wahrnimmt, dann kann Mimikresonanz tatsächlich Leben verändern. Genau das möchte ich mit meiner Arbeit sichtbar machen – dass wir Menschen nicht nur heilen, sondern auch wirklich verstehen.
Ein Gebiet Ihrer Expertise ist der Fokus auf das menschliche Miteinander im medizinischen Kontext. Inwiefern kann ein stärkerer Fokus auf Emotionen die Qualität der Patientenbetreuung verbessern?
Patienten wollen nicht nur behandelt, sondern verstanden werden. Wenn ein Arzt die Ängste erkennt, die vielleicht hinter einem Lächeln versteckt sind, kann er gezielter aufklären, beruhigen und Vertrauen schaffen. Schon Ende der 70er Jahre zeigte die Studie von DiMatteo (1979): Patienten, die sich verstanden und gesehen fühlen, sind deutlich complianter – sie halten sich also konsequenter an Therapien und Behandlungsempfehlungen. Genau dieses Gefühl des »Ich werde wahrgenommen« ist entscheidend. Empathie ist deshalb nicht nur menschlich wertvoll, sondern auch medizinisch hochwirksam.“
Gerade in der Medizin schreitet die Digitalisierung voran. Sie gilt als neutral und effizient, aber auch als unpersönlich. Welche Schritte sollten Ihrer Ansicht nach unternommen werden, damit die Branche zukunftsfähig bleibt?
Digitalisierung ist unverzichtbar – keine Frage. Aber sie darf nicht auf Kosten der Menschlichkeit gehen. Mein Credo: Technik unterstützt, Empathie führt. Konkret bedeutet das: Digitale Tools sollten Ärzte und medizinisches Fachpersonal von der erdrückenden Bürokratie befreien, damit wieder Raum für das Wesentliche bleibt – das Gespräch mit dem Patienten. Wenn ich als Arzt nicht mit Formularen kämpfe, sondern meinem Gegenüber wirklich in die Augen schauen kann, dann entsteht Beziehung. Und Beziehung ist das Fundament von Heilung. Dazu kommt: Mediziner müssen lernen, trotz Bildschirmen präsent zu bleiben. Empathie funktioniert auch durch eine Webcam, wenn ich sie bewusst einsetze – durch Blickkontakt, durch offene Körpersprache, durch echtes Interesse. Die Technik darf uns die Arbeit erleichtern, aber niemals die Menschlichkeit abnehmen. Denn genau die ist es, die Patienten spüren – und die den Unterschied macht.
Unsere Gesprächspartnerin:
Sabine Finkmann ist Wirtschaftsprofilerin mit über 15 Jahren Erfahrung in der Analyse menschlichen Verhaltens und der Optimierung von Personalentscheidungen.
Beitragsbilder: Ronny Barthel, Daniela Möllenhoff
AS (L)