Ein Expertenbeitrag von Sven Enger
Wir konstruieren unsere Leben wie Maschinen, die man nur richtig einstellen muss: Sparpläne, Notfallkonten, Karrierepfade, Versicherungen. Alles scheint berechenbar.
Doch wer innehält, spürt schnell: Wir sichern uns nicht gegen Risiken ab – wir sichern uns gegen das Leben selbst ab. Denn tief unter dem Wunsch nach Sicherheit lauert etwas anderes: die Angst.
Angst, etwas zu verlieren.
Angst, zu scheitern.
Angst, nicht genug zu sein.
Die Illusion der Kontrolle
Wir organisieren unser Dasein bis ins kleinste Detail, damit im Fall der Fälle möglichst wenig weh tut. Das klingt vernünftig, klug und verantwortungsvoll. Und doch: Diese Form der Kontrolle ist eine Täuschung. Sie gaukelt uns Stabilität vor, während sie uns unmerklich vom Leben entfernt.
In meiner Arbeit begegne ich vielen Menschen, die nach außen alles richtig gemacht haben. Sie haben Karriere gemacht, Verantwortung übernommen, Vermögen aufgebaut – und doch fehlt ihnen das Entscheidende: Lebendigkeit.
Sie sind sicher, aber nicht frei. Sie funktionieren, aber sie fühlen kaum noch.
Sicherheit als goldener Käfig
Sicherheit schmeichelt unserem Bedürfnis nach Kontrolle. Doch sie hat einen hohen Preis: Sie tötet die Bewegung. Und wo keine Bewegung ist, kann nichts wachsen. Psychologisch bedeutet Sicherheit Kontrolle. Kontrolle wiederum bedeutet Macht. Doch Macht ohne Vertrauen ist immer ein Ausdruck von Angst. Und Angst – egal wie klug sie sich verkleidet – ist ein schlechter Berater.
Was Angst wirklich will
Angst will verstanden, nicht verdrängt werden. Sie ist kein Feind, sondern ein Hinweis. Sie zeigt, wo wir uns selbst nicht mehr trauen. Wo wir glauben, alles allein regeln zu müssen, weil wir vergessen haben, dass das Leben selbst trägt. Wenn du aufhörst, dein Leben zu kontrollieren, beginnt dein Leben, dich zu führen. Nicht im Sinne von Aufgabe, sondern im Sinne von Hingabe. Das ist kein esoterischer Gedanke, sondern tiefe Psychologie: Erst wenn du den Kampf gegen das Ungewisse aufgibst, entsteht Vertrauen.
Der Mut, das Nichtwissen zuzulassen
Wirkliche Stärke zeigt sich nicht darin, alles im Griff zu haben. Sie zeigt sich darin, das Unbekannte zuzulassen, ohne innerlich zu fliehen. Wer nicht mehr alles erklären muss, beginnt zu verstehen. Wer nicht mehr festhält, beginnt zu sehen. Vielleicht ist die größte Freiheit, die wir haben, nicht zu wissen, wie es weitergeht – und trotzdem weiterzugehen.
Nicht, weil keine Angst mehr da ist, sondern weil wir ihr zulächeln und sagen:
»Danke, dass du mich daran erinnerst, lebendig zu bleiben.«
Vertrauen ist das neue Sicherheitskonzept
In einer Welt, die uns täglich mehr Kontrolle verkauft, ist Vertrauen ein radikaler Akt.
Vertrauen in den eigenen Weg.
Vertrauen in das Leben.
Vertrauen in das, was bleibt, wenn alle Sicherheiten fallen.
Sicherheit gibt Stabilität. Vertrauen schenkt Frieden. Und Frieden ist die einzige Sicherheit, die uns nie genommen werden kann.

Sven Enger ist Unternehmer, Psychologe und Mentor. Er begleitet Menschen und Organisationen dabei, Verantwortung neu zu verstehen –als Haltung, nicht als Absicherung.
Sein Credo: Wer vertraut, lebt wahrhaft.
Beitragsbilder: André Weber, Depositphotos / Wavebreakmdia










