Authentizität: Was, wenn ich ein Arsch bin?

Authentizität: Was, wenn ich ein Arsch bin?

Wenn es ein Ranking der häufigsten Empfehlungen für gutes Personal Branding gäbe, stünde das ganz oben: Sei authentisch! Sei so wie Du bist! Trau Dich, Dich selbst zu sein!

Dieser Rat ist so falsch wie gut. Denn was ist, wenn ich im echten Leben sehr gewöhnungsbedürftig bin, eine recht unverträgliche Rhetorik nutze und auch von meinen Handlungen her stark polarisiere? Müssen wir also immer alle Markenkernwerte (Werte, Charaktereigenschaften) für unser Personal Branding einsetzen?

Hier zwei Beispiele aus meiner Zeit in Werbeagenturen:

»Wer zu spät kommt, steht draußen«

Ein Beispiel eines sehr »authentischen« Menschen, der mit der Empfehlung »sei authentisch« völligen Schiffbruch erlitten hätte.

Es war in den 90ern in einer (damals Top-) Werbeagentur in Süddeutschland. Der Inhaber und Chef hatte es satt, dass seine Kreativen täglich zu spät kamen. Vorherige Bitten oder klar ausgesprochene Ermahnungen hatten eine kurze Halbwertszeit. Also gab es eine weitere Mahnung: »Leute, wer morgen zu spät kommt, steht draußen. Das wäre dann ab 9.01 Uhr.« Die Kollegen kannten das schon, genauso die heftige Rhetorik, begleitet von leicht cholerischen Ausfällen. Also nahmen es nicht alle ernst.

Der Chef allerdings schon. Denn Punkt 9.01 Uhr am folgenden Tag mauerten Handwerker den Eingang zur Agenturvilla zu. Das hieß dann wirklich – wer zu spät kam, blieb draußen. So war es dann auch – echt arschig, aber irgendwie auch gut. Diese Kolleg:innen wagten entweder halsbrecherische Klettertouren zu offenen Fenstern oder stellten sich dem folgenden Gewitter nebst Abmahnung meines Chefs.

Das war eine von vielen unkonventionellen Handlungen dieses Herren (bei dem ich viel erlebt habe). Soll er wirklich authentisch in punkto Personal Branding kommunizieren? Lieber nicht.

»Nehmen Sie den 3er BMW, nicht den Porsche«

Anderes Beispiel, andere Agentur, andere Stadt in Süddeutschland. Ich arbeitete in dieser Agentur als »Group Head Beratung« (was so etwas ähnliches wie der Beratungs-Chef war) und hatte natürlich viel Kundenkontakt. Jeder unserer Berater, inklusive der drei Inhaber, hatten einen Firmenwagen – und wenn man in der Gunst der Chefs stand, durfte man auch deren Autos nutzen: einen Porsche Carrera oder ein 12-Zylinder BMW – beides Spaßautos, die sowieso nur herum standen.

Doch immer wieder wurde mir hinterhergerufen, ich solle den kleinen BMW 318i nutzen, wenn ich zum Kunden fahre – nicht den Porsche oder Zwölfender. Warum? Weil die Kunden bloß nicht vor Augen geführt bekommen sollten, dass wir in der Agentur gutes Geld verdienten. Das allerdings wirklich – wir arbeiteten hart für unser Geld – oft auf Kosten unserer Freizeit und Wochenenden. Die Angst, der Kunde würde beim Anblick eines schicken Autos über die Agenturpreise nachdenken, war damals ziemlich stark. Wäre heute vermutlich noch ähnlich.

Ist das authentisches Verhalten? Den (schwer erarbeiteten) Porsche in der Garage haben aber mit dem kleinen BMW zum Kunden zu fahren? Ich sah zwar den Konflikt, doch wusste immer, was ich dafür getan hatte, um dieses Auto fahren zu dürfen. Das ging weit über den Arbeitseinsatz meiner Kunden hinaus. So gesehen hätte mir eigentlich eine vergnügliche Fahrt zugestanden.

Tatsächlich aber hatte ich in diesem Zusammenhang meine besten Erfahrungen beim Kunden mit einem Golf GTI ohne Typenbezeichnung. Für den Kunden sah das wie ein normaler Golf aus. Dieses Auto haben auffallend viele Kunden gelobt. Das passierte mir später mit größeren Wägen nicht mehr. Seltsame Welt.

Was vermarkten wir in Personal Branding eigentlich?

Gutes Personal Branding besteht aus der Persönlichkeit MIT der Expertise und ist nicht nur eines davon. Von beidem nehmen wir natürlich nur das Beste. Das bedeutet, wir nutzen unsere positiven Eigenschaften und nicht die negativen. Genauso verwenden wir im Fachlichen natürlich immer unsere Stärken und nicht unsere Schwächen.

Mein früherer Chef (der mit der zugemauerten Eingangstüre) hatte natürlich auch gute Eigenschaften, beispielsweise gehörten dazu absoluter Klartext, klare Vorstellungen, hohe Resilienz, hohes Durchhaltevermögen, Großzügigkeit (so lange man seinen Job gut machte), Begeisterungsfähigkeit, die Fähigkeit, mitzureißen und zu motivieren. Mein anderer Chef (»nehmen Sie nicht den Porsche«) konnte Understatement, war einfühlsam, konnte andere gut einschätzen, war immer freundlich, großzügig, fordernd und fördernd etc.

Sie merken schon, worauf ich hinaus möchte – wir vermarkten die positiven Eigenschaften unserer Persönlichkeit. Das hat manchmal nicht viel mit »authentisch sein« zu tun, doch es funktioniert und entspricht der Wahrheit. Natürlich sind diese Menschen auch so, zumindest solange sie sich anstrengen (was sie ja meistens im Business tun).

Wieviel Authentizität steckt in Personal Branding wirklich?

Jeder Mensch hat zwei Gesichter. Beide kennen bei den meisten wirklich nur gute Freunde und die Lebenspartner.

Denn das zweite Gesicht ist oftmals kantig, grantig, streitet gerne (was es oft wertschätzend versteht), provoziert gerne, widerspricht gerne etc. Ein »authentisches« Personal Brandig wäre kontraproduktiv für diese Menschen. Es sei denn, diese Eigenschaften sind mit dem eigenen Business kompatibel oder man ist so ein ausgewiesen exzellenter Experte seines Fachs, dass es beinahe egal ist, ob die Person menschlich gesehen schwierig ist (klassische Beispiele: Klaus Kinski oder Steven Jobs).

Mit dem Tipp »sei authentisch« kommt man nicht wirklich weit. Deshalb vermarkten wir unsere herausragenden, typischen und idealerweise sichtbaren positiven Eigenschaften für unsere Kommunikation. Das natürlich subtil – nicht, indem wir sagen und schreiben, dass wir die oder jene gute Eigenschaft besitzen. Wir nutzen die Werte so, dass sie von anderen erkannt werden.

Wenn Sie selbst wissen wollen, welche typischen Eigenschaften Sie ausmachen, dann fragen Sie Ihre Kollegen und Freunde danach. Beispielsweise: »Welches sind die drei typischen Eigenschaften, die dir zu meiner Person einfallen?« Sie werden verschiedene Eigenschaften hören, doch manche häufiger als andere. Die sind die interessanten, denn sie sind typisch für Sie und werden von vielen erkannt. Nun überlegen Sie, wie Sie diese sichtbaren, positiven Eigenschaften für Ihren Geschäftserfolg nutzen können. So funktioniert die Authentizität in Verbindung mit Ihrem Personal Branding viel besser.

 

Autor Stephan Raif
Bild: Stephan Raif

Autor: Mein Name ist Stephan Raif und ich erschaffe Persönlichkeiten als Marke. Ich unterstütze Führungskräfte und Intrapreneure durch meine erlebbare Markenmethodik in ihrer werteorientierten Selbstvermarktung. So gewinnen meine Klienten mehr Sichtbarkeit, bauen mehr Vertrauen zu anderen auf und lernen neue Menschen kennen, die sie in Ihrer Karriere weiterbringen.

 

 

Bilder: Depositphotos / imtmphoto, Stephan Raif