Ein Gastbeitrag von Christian Fuchs
Auf den ersten Blick erscheint es angenehm, das Team versteht sich, die Stimmung ist freundlich, Reibung bleibt aus. Doch was wie ein Ideal wirkt, kann in Wahrheit ein Warnsignal sein. Hinter der Fassade scheinbarer Harmonie verbirgt sich oft eine stille Konfliktvermeidung, die Organisationen unbemerkt ausbremst.
Gerade in Teams, die gut eingespielt sind, entsteht schnell eine Dynamik, in der Konflikte als Bedrohung wahrgenommen werden. Niemand will stören, niemand möchte der oder die Erste sein, der etwas infrage stellt. Kritik bleibt unausgesprochen, Spannungen werden ignoriert, das Klima bleibt oberflächlich freundlich, innerlich, aber leer.
Wenn Harmonie zum Selbstzweck wird
Zusammenarbeit braucht Vertrauen, Respekt und Offenheit. Doch wenn Harmonie zur Maxime erklärt wird, verschieben sich die Maßstäbe. Plötzlich zählt nicht mehr, was richtig ist, sondern was friedlich wirkt. Nicht mehr das Ergebnis steht im Mittelpunkt, sondern das reibungslose Miteinander. Wer Unruhe stiftet, gilt als Störer, auch wenn lediglich auf einen blinden Fleck hingewiesen wird.
Das Trugbild der Harmonie entsteht dort, wo Klarheit fehlt. Wo kritische Stimmen verstummen, um dazuzugehören. Wo Spannungen nicht bearbeitet, sondern zugedeckt werden. Wo Führung den Mut verliert, Reibung als Teil von Entwicklung zuzulassen.
Konflikte sind kein Risiko, sondern ein Entwicklungssignal
In gesunden Systemen sind Konflikte alltäglich. Nicht als Dauerzustand, sondern als Zeichen für Vielfalt der Perspektiven. Wenn Spannungen bewusst gehalten und bearbeitet werden, entsteht Wachstum. Werden sie unterdrückt, folgt Stillstand.
Das Lähmende an konfliktfreien Zonen ist nicht das Fehlen von Streit, sondern das Fehlen von Tiefe. Teams, in denen nichts mehr diskutiert wird, in denen immer alles zu passen scheint, haben sich oft innerlich bereits zurückgezogen. Innovation braucht Reibung. Kultur braucht Auseinandersetzung. Führung braucht Bereitschaft, Unangenehmes auszuhalten.
Die Kosten der Harmonie
Konfliktvermeidung ist teuer. Sie kostet Zeit, Energie, Klarheit und letztlich Vertrauen. Mitarbeiter spüren auf Dauer sehr genau, wenn Spannungen unausgesprochen bleiben. Sie wissen, dass Themen nicht offen angesprochen werden dürfen. Sie passen sich an, sagen das Richtige, halten sich zurück.
Die Folge ist ein Klima der Vorsicht, nicht der Offenheit. Statt gemeinsam zu lernen, wird schweigend toleriert. Statt Neues zu wagen, wird Bestehendes verteidigt. Statt sich mutig zu zeigen, wird taktisch kommuniziert. Was entsteht, ist keine Verbundenheit, sondern ein kollektiver Rückzug in das, was nicht stört.
Führung in der Komfortzone
Auch Führungskräfte sind Teil dieses Spiels. Gerade, wenn sie selbst Harmoniebedürfnis mitbringen oder Kritik meiden, unterstützen sie unbewusst das Klima der Konfliktvermeidung. Sie formulieren weich, vermeiden Konfrontation, lassen kritische Punkte ungelöst. So bleibt alles ruhig, aber auch unbewegt.
Führung bedeutet nicht, Spannung zu vermeiden. Sondern sie bewusst zu halten, auszuhalten und produktiv zu machen. Das erfordert Mut, Haltung und Kommunikationskraft. Vor allem braucht es ein klares Verständnis dafür, dass Entwicklung nicht im Konsens entsteht, sondern in der bewussten Auseinandersetzung.
Räume für Spannung
Wer echte Zusammenarbeit will, braucht Räume, in denen Unterschiedlichkeit willkommen ist. Dazu gehört die Einladung, ehrlich zu sprechen, auch wenn es unbequem wird. Die Bereitschaft, Kritik nicht zu personalisieren, sondern zu verstehen. Die Fähigkeit, Spannung zu halten, ohne sofort aufzulösen.
In solchen Räumen entsteht Vertrauen nicht durch Vermeidung, sondern durch Tiefe. Mitarbeitende spüren, dass sie echt sein dürfen, dass Konflikte bearbeitet werden, dass Führung präsent bleibt, auch im Unbequemen. Das schafft nicht nur psychologische Sicherheit, sondern auch kulturelle Reife.
Fazit – Harmonie ist kein Führungsziel
Ein gutes Arbeitsklima ist wertvoll, darf aber nicht mit echter Verbundenheit verwechselt werden. Echte Verbindung entsteht nicht durch Abwesenheit von Konflikt, sondern durch die Fähigkeit, ihn bewusst zu gestalten. Führung heißt, Spannung nicht zu vermeiden, sondern zu halten. Nicht aus Angst vor Bruchstellen, sondern aus Vertrauen in Entwicklung.
Denn am Ende ist nicht das Team zukunftsfähig, das nie diskutiert, sondern das, das sich auch im Streit nicht verliert. Und nicht das Unternehmen innovativ, das ohne Widerstand läuft, sondern das, das mit Widerspruch wachsen kann.
Der Autor: Christian Fuchs ist Leadership Mentor, Erfinder des Mentex Code und Gründer der Christian Fuchs Academy. Der Top-Experte unterstützt Führungskräfte mit seinen Methoden und seiner LEADERSHIP.Inventur® dabei, Unternehmenskulturen nachhaltig zu stärken.
Bilder: Christian Fuchs, IMAGO / Depositphotos