Der „Teufelsgeiger“ David Garrett spricht im Interview mit dem ERFOLG Magazin über seine imposante Musikerkarriere, den Perfektionismus und wie er seine Ziele erreichen konnte.
Du hast sicherlich sehr früh mit Musik begonnen. Kannst du dich an deine erste Geigen-Begegnung erinnern?
David Garrett: Überhaupt nicht. Es gibt Videos, die meine Eltern ohne Ton gemacht haben, in denen ich die Geige in der Hand halte und schon irgendetwas spiele. Die ersten Momente, die ich in Erinnerung habe, sind die, als ich schon auf der Bühne stand.
Wie alt warst du ungefähr?
David Garrett: Ich bin im Alter von dreieinhalb oder vier Jahren angefangen. Ich kann mich – und das ist etwas Positives – nicht daran erinnern, dass ich schlecht gespielt habe. Entweder habe ich diesen Teil verdrängt oder ich kann mich einfach nicht daran erinnern. Meine erste Erinnerung ist die Beethoven-Romanze in F-Dur. Das war schon mit „Jugend musiziert“ (das renommierteste Musikförderprojekt Deutschlands, Anm. d. Red.) verbunden, als ich Klavier gespielt habe. Das war gar nicht schlecht.
Aber hast du sofort mit Geige angefangen?
David Garrett: Ja.
Ist Musik etwas, was du für dich machst und andere daran teilhaben lässt oder machst du es für andere, um sie zu unterhalten?
David Garrett: In erster Instanz für mich. Ich glaube, bei jedem Beruf, den man mit Leidenschaft und Erfolg macht, ist die Intention, selbst das Beste aus sich herauszuholen und daran Spaß zu haben. Dass sich ein Publikum in diesem Ausmaß entwickelt, war unerwartet – auch für mich.
Wenn du sagst, das ist etwas, was du für dich machst und dir etwas gibt: War es dann schwer, jetzt so lange zu pausieren und die Finger stillzuhalten?
David Garrett: Das waren sieben Monate. Ich glaube, das überlebt man auch als Musiker. Man kann sich mit anderen Sachen musikalisch beschäftigen. Man kann Texte schreiben und sich ans Klavier setzen – natürlich nur so lange, wie man sich wohlfühlt. Es gibt Beschäftigungen, die mir Spaß machen und mit Musik zu tun haben, mit denen ich die Zeit überbrücke. Es war nicht so, dass mir unwohl war. Ich habe versucht, mit Zielstrebigkeit daran zu arbeiten, dass es wieder mit dem Instrument funktioniert.
Wenn du so viel Spaß an der Arbeit hast: Kannst du dir vorstellen, Dinge zu machen, die dir keinen Spaß machen?
David Garrett: Es hört sich vielleicht übertrieben an, wenn man sagt, dass ich nur Spaß an der Arbeit habe. Das ist nicht der Fall. Das Touren hat gewisse Aspekte, die überhaupt nichts mit der Musik zu tun haben. Diese muss ich mit Konzentration und Kreativität behandeln. Da muss ich sehr viel Input geben. Das ist also nicht nur Musik machen, sondern es geht auch um das Produkt: was wir bei der Tour machen und wie wir es umsetzen, auch im Detail. Es gibt Momente, in denen ich um zehn Uhr abends da sitze, die Sachen angucke und sage: Das muss verändert werden. Manchmal macht es Spaß, manchmal weniger. Das muss ich fairerweise sagen.
War es von Anfang an dein Ziel ganz nach oben zu kommen?
David Garrett: Ich weiß nicht, was ganz nach oben ist. Ich wollte das schon beruflich machen, aber wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat, das konnte keiner ahnen. So einen großen Medienerfolg zu haben und so große Hallen zu bespielen, ist auch ein Stück weit für das Instrument unüblich. Das ist schon einzigartig.
Hast du schon mal überlegt, was dafür wahrscheinlich der ausschlaggebende Punkt war?
David Garrett: Ich habe nicht versucht, das zu sezieren oder analysieren. Ich glaube, dass ich das, was ich tue, unglaublich liebe – aber auf eine Art und Weise, es nicht zu stilisieren.
Genau. Du bist schon anders als ein André Rieu.
David Garrett: Er macht das auch auf seine Art groß. Erfolg ist etwas, was man sich erarbeiten muss – in jedem Beruf und mit jedem Instrument. Aber ich habe immer versucht – auch wenn ich aus der Klassik komme -, es nie abgehoben zu präsentieren. Ich glaube, dass sich junge Menschen in der Philharmonie nicht wohlfühlen. Man sieht sie dort nicht mehr. Als ich sehr jung war, gab es im WDR sonntags um 10 Uhr morgens Konzerte von den Wiener, Berliner und Münchner Philharmonikern. Da war zumindest eine gewisse Präsenz da. Mittlerweile ist das wirklich nicht mehr der Fall. Es ist ein Novum, sich als junger Mensch dort reinzusetzen. Ich kann deshalb eine Hemmschwelle verstehen. Deswegen versuche ich, Klassik rauszunehmen, weil es allein die Umgebung ein bisschen leichter macht.
Apropos Umfeld – auch mit den Menschen: Wie verändert sich das Umfeld, wenn man berühmter wird?
David Garrett: Bei der Arbeit bin ich zu 95 Prozent mit Menschen beschäftigt, die das Projekt vorantreiben und mich unterstützen. Klar fällt dir irgendwann auf, wenn du rausgehst, ist es eine andere Situation. Am Anfang waren es Autogramme, dann kamen die Handys. Mittlerweile will keiner mehr ein Autogramm haben, sondern ein Selfie. Es ist ganz merkwürdig. Manchmal sage ich: Hör mal, ich bin beim Essen oder ich habe ein Sweatshirt an. Ein Autogramm schreibe ich dir gerne. Aber dann heißt es immer nein. Dann denke ich immer: Puh, das ist aber auch eine Einstellung. Das Foto ist mittlerweile ein Beweismittel, dass man jemanden gesehen hat. Das gehört dazu. Es gibt Situationen, in denen ich es lieber mache und manche, in denen ich denke: Das muss jetzt nicht sein.
Gibt es im Showgeschäft viele Menschen, über die man denkt: Oh Gott, mit denen muss ich arbeiten?
David Garrett: Nein. Ich suche mir die Leute aus, mit denen ich arbeiten muss. Das ist ein großer Luxus. Wenn ich das nicht könnte, würde es sicherlich Situationen geben, wo ich sagen würde: Das ist schwierig. Ich glaube, um produktiv zu sein, muss man ein Team um sich herum haben, in dem es harmonisch ist. Bei mir ist das zumindest so. Es kann sicherlich unterschiedliche Meinungen geben, aber der Konsens und das ergebnisorientierte Arbeiten ist mir sehr wichtig.
Ist man in deiner Position perfektionistisch? Muss man das sein?
David Garrett: Ich war immer perfektionistisch – erstmal an der Geige und darüber hinaus entwickelt sich ein Projekt. Es wird immer größer, die Produktionen werden größer. Ich versuche mich von Anfang an einzuarbeiten und meine Ideen umzusetzen. Diese Disziplin, die ich bei der Musik habe, versuche ich auch in die anderen Bereiche einzubauen. Perfektionistisch? Ich glaube, dass im Leben nichts perfekt sein kann. Aber man kann sich zumindest die Mühe geben, es so gut wie möglich hinzubekommen.
Du hast also einen sehr hohen Standard?
David Garrett: Ich habe meinen Standard. Jeder Mensch würde es vielleicht anders machen. Aber ich muss am Ende zufrieden mit dem Produkt, den Konzerten, sein. Darauf achte ich, dass ich das bin.
Gibt es Rückschläge, über die du dich ärgerst?
David Garrett: Ja, es gibt schon Sachen, die im Konzert nicht so gut laufen, wie ich es mir wünsche. Ich sehe das aber nicht negativ, sondern eher als Ansporn, es beim nächsten Mal besser zu machen. Das Erste, was ich nach einem Konzert mache, ist, mit dem Team durchzugehen, was gut lief und wo wir etwas verbessern können. Rückschläge gehören im Leben dazu, sonst kann man nichts verbessern. Wie langweilig wäre das denn, wenn alles perfekt läuft?
Wenn du beim Konzert auf der Bühne stehst: Hast du eine bestimmte Methode, um dich in Spitzenform zu bringen?
David Garrett: Wir üben vorher monatelang. Die Vorbereitung der Stücke nimmt viel Zeit in Anspruch, darüber hinaus die Interaktion mit der Produktion. Ich schreibe mir meistens Texte zu den Stücken auf, irgendetwas Persönliches, was ich mit der Musik verbinde. So unterschiedliche Musikstile und -richtungen wie ich spiele, es muss trotzdem ein roter Faden erkennbar sein. Mit den vielen kleinen individuellen Details dauert eine Vorbereitung für eine Tour, die wir jetzt machen, ein Jahr.
Das glaube ich. Wenn du hinter der Bühne stehst und es gleich losgeht: Bist du eher konzentriert oder eher aufgepumpt?
David Garrett: Das ist eine Mischung, 50 zu 50. Ich brauche die Konzentration, weil ich eine Leistung abrufen muss. Aber wenn ich verkrampft bin, kriege ich die Leistung nicht hin. Auf der einen Seite stehe ich mit meiner Band da und wir unterhalten uns. Im Endeffekt weiß ich genau, dass jeder angespannt ist, was aber wichtig ist. Auf der anderen Seite stehen wir nicht alle mit einem weißen Gesicht da und sagen: um Gottes willen. Dafür ist die Vorbereitung da und wir wissen, was im Vorfeld zu tun ist. Wir sind alle Profis genug. Das heißt, das gibt uns das Selbstvertrauen: Egal, was passiert, wir sind vorbereitet.
Bist du ein sehr geduldiger Mensch?
David Garrett: Ja. Das habe ich allerdings erst gelernt. Von Natur aus bin ich es eher nicht. Es ist aber nicht so, dass ich mit anderen ungeduldig war und mit mir selbst nicht. Ich war jemand, der meinte, es muss alles in fünf Minuten sein. Da habe ich mich verändert. Es ist auch schön für mich. Der Druck, den ich mir früher gegeben habe, ist nicht mehr so gegeben – zumindest der zeitliche Druck. Aber das Resultat muss immer noch das gleiche sein – nur dass man manchmal fünf Minuten Pause machen kann.
Die meisten sagen, du bist im Olymp angekommen. Gibt es danach noch etwas? Arbeitest du nach wie vor daran immer noch besser zu werden?
David Garrett: Das Gefühl, dass man nicht besser werden kann, das kenne ich nicht. Vielleicht liegt das ein Stück weit an dem Instrument. Ich wache jeden Morgen auf und die Hände sind ein bisschen kalt, die Bewegungsabläufe funktionieren nicht. Ich muss, wie beim Sport, Dehnübungen machen, und Etüden, Arpeggios und Tonleiter spielen, damit alles geschmeidig wird. Da ist jeden Tag eine gewisse Struktur an Arbeit, die ich machen muss, bevor es an die Musik geht. Ich glaube, dass mich das erdet. Und ich weiß: Ohne diese Arbeit kommt es nicht zur Musik.
Das hört sich so an, als ob du keine Zufriedenheit magst.
David Garrett: Nein, ich mag Zufriedenheit. Jeder Mensch mag Zufriedenheit. Das Problem ist, dass Zufriedenheit auch gefährlich ist. Mit Zufriedenheit kommt eine gewisse Sättigung. Das ist auch im Sport so. Wenn du alles erreicht hast, dann fehlt dir ein bisschen der Drive über 100 Prozent abzuliefern. Ich will nicht sagen, dass man immer an die Grenze gehen muss. Das ist vom Körper und Kopf schwierig. Aber ich finde schon, dass man sich immer in den richtigen Momenten motivieren muss.
Bist du ein bisschen ein Rebell?
David Garrett: Nicht, dass ich es merke.
Das Äußere von dir lässt das aber vermuten.
David Garrett: Klar, ich kann das ein Stück weit verstehen, aber nur aus dem Kontext, dass ich aus der klassischen Musik komme und sie spiele. Nachvollziehbar, aber es ist auch ein furchtbares Vorurteil gegenüber meinen Kollegen, die klassische Musik sehr entspannt sehen und dafür viel arbeiten. Auch sie haben ein privates Ich und laufen mit Sicherheit nicht viel anders herum als ich. Klar, man sieht einen klassischen Musiker mit Anzug oder Frack. Aber die Welt gibt es nicht mehr so – es sei denn, wir reden vom großen Orchester.
Aber du versuchst auch Crossover zu machen und willst andere Menschen abholen.
David Garrett: Ja, aber es ist nichts Neues, dass man ein Instrument nimmt und zeitgemäße Arrangements macht. Ich glaube, es gab es viele Kollegen vor mir, die zeitgemäße Musik – ob es jetzt Musical- oder Filmmusik war – aufgesetzt haben. Auch die Lehrer, mit denen ich gearbeitet habe, haben das gemacht: Menen?? hat viele Crossover-Projekte gemacht, Itzhak Perlman hat viel Film- und Klezmermusik gemacht. Ich glaube, die Neugier als Musiker ist etwas Wunderschönes. Wenn man die Qualität mitbringt, dass auf seinem Standard hinzubekommen, öffnet das viele Türen. Einem selbst macht das Spaß. Und wenn andere Leute einen Gefallen daran finden und mal sagen „Ich probiere mal ein Violinenkonzert oder eine Sonate“, dann ist das eine Win-Win-Situation für alle.
Brauchst du manchmal noch Mut für Dinge, die du dich vielleicht noch nicht getraut hast?
David Garrett: Musikalisch eher weniger, aber im sozialen Leben schon. Jeder Mensch braucht ein bisschen Mut im sozialen Leben. Viel Kommunikation passiert auf einer persönlichen Basis. Du schreibst und whatsappst Leuten. Wenn es wirklich ins Gespräch geht, ist es manchmal eine Umgewöhnung, den eigentlichen sozialen Kontakt, den ich – Gott sei Dank – als Kind mitbekommen habe, auszuleben. Musikalisch brauche ich keinen Mut, aber Respekt vor den Sachen, die ich mache. Ich habe keine Berührungsängste, aber ich bereite mich gut vor.
Mit großen Erfolg – gerade in deiner Branche – kann man viel Geld bekommen. Wie gehst du damit um? Ist dir das wichtig oder eine Nebensächlichkeit?
David Garrett: Geld ist eine Nebensächlichkeit. Allerdings gibt es mir schon die Möglichkeit Sachen zu machen, die andere nicht machen können. Das muss ich auch fairerweise sagen. Es verändert den Menschen. Wenn du ein gutes Herz hast, macht Geld keinen Unterschied. Und wenn du negative Eigenschaften hast, werden sie dadurch potenziert.
Mit dir bringt man Disziplin stark in Verbindung. Ist das beim Üben etwas Positives oder Einschränkendes?
David Garrett: Man kann es auch übertreiben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich im letzen Jahr ein Stück weit zu viel gemacht habe – was das private Pensum angeht. Also, ich meine nicht das Touren, sondern was ich privat an Energie und Zeit aufgebracht habe. Ich erinnere mich an einen wahren Satz von Itzhak Perlman: „Schimmer als nicht zu üben, ist falsch zu üben.“ Ich habe das vielleicht manchmal übertrieben und sechs bis sieben Stunden geübt, bis es perfekt ist. Diese Einstellung muss ich ein Stück weit revidieren und lieber üben, wenn ich Lust und Konzentration habe. Ich glaube, dass das von mehr Erfolg gekrönt ist – und zumindest nicht von gesundheitlichen Problemen.
Welche Gedanken machst du dir zu deiner „Unlimited“-Tour?
David Garrett: Es ist ein Stück weit ein Blick auf die vergangenen zehn Jahre: zehn Jahre Crossover und zehn Jahre Klassik. Allerdings ist die musikalische Produktion auch ein Blick in die Zukunft. Wir haben viele neue Techniken, Elemente und ein neues, wunderbares Team, das die Produktion zum ersten Mal mit mir macht. Es ist mit unglaublicher Kreativität rangegangen, hat tolle Vorschläge gemacht und mir sofort gefallen. Die Vorschläge passten sehr gut zur Musik. Die Symbiose aus Musik und Produktion ist bei solchen Konzepten das A und O. Es darf nicht überladen sein, aber unterstützen. Ich bin sehr zufrieden und freue mich auf die Tour. Es ist gut, dass wir das Programm in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf die Bühne bringen.
Bildquelle: Ronny Barthel
Das Interview mit David Garrett erschien in der ERFOLG Magazin Ausgabe 03/2019.