„Ein guter Redner braucht Authentizität“ – ein Mantra, das sich jeder, der überzeugen will, immer wieder vergegenwärtigen sollte, gerade in den Kreisen der Führungsspitze. Dessen hat sich auch Deutschlands frisch gewählter Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in seiner Antrittsrede angenommen. Bisher galt für den ehemaligen Außenminister immer: Faktisch, direkt, verbindlich – sehr unspektakulär. Nicht umsonst heißt es im Titel „Deutschlands Elite-Rhetorik“ und nicht „Deutschlands Rhetorik-Elite“. Sehen Sie dennoch, mit welchen stilistischen Mitteln er überzeugt und welches altbekannte Laster er einfach nicht ablegen kann.
Steinmeiers Aufgaben beschränken sich seit letztem Sonntag darauf, die Nation öffentlich und mit all ihren moralischen sowie ethischen Maßstäben zu repräsentieren. Außenpolitisch zeigte er bereits in den vergangenen Jahren seine persönlichen Stärken. Vornehmlich als nachdenklicher Zuhörer, statt eines brillianten Redners, aber immer als hervorragend informierter Diplomat, der Mut und Wahrheit aussprechen und Krisen managen kann. Als Mutmacher soll er nun auch im Inland das Vertrauen zwischen Bundesregierung und Bevölkerung stabilisieren und weiter voranbringen. Keine leichte Aufgabe in Zeiten, in denen leere Phrasen und populistische Parolen den politischen Ton dominieren. Umso mehr spielen Aufrichtigkeit und Authentizität in diesen unruhigen Zeiten eine tragende Rolle und genau das erkennt Steinmeier:
„Und wenn dieses Fundament heute anderswo wackelt, dann müssen wir umso fester zu ihm stehen!“
Motivation statt Tadel
Seine Dankesrede war die Chance für Steinmeier, seine Glaubwürdigkeit als Bundespräsident unter Beweis zu stellen. Er fordert zu Mut, Vertrauen und Verantwortung auf – sehr wirkungsträchtige Worte. Es sind Tugenden, die sich gegenseitig bedingen und aktueller denn je sind, weil sie von den Bürgern zwingend erfüllt werden müssen, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Allein deswegen bilden sie sicherlich nicht zufällig den roten Faden von Steinmeiers Rede. Doch im Gegensatz zu Merkels „Wir schaffen das“, geht Steinmeier in seiner Rede einen Schritt zurück: Er möchte die Menschen motivieren, anstatt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Er zeigt auch nicht mit dem Finger auf die Bevölkerung, sondern schließt sich in den Appell mit ein. Ferner schafft er nicht nur eine Kongruenz zwischen dem Inhalt der Rede und seinen Pflichten gegenüber den Bürgern, sondern begibt sich mit ihnen auch auf eine Ebene: Er macht sich zum Mitbürger.
Als einer von vielen überzeugen
Der zweite Baustein einer Rede, neben ihrem bloßen Inhalt, ist die Authentizität des Redners. Nimmt der Zuhörer dem Redner das Gesagte ab? Steinmeier spricht zwar mit großen Worten, überzeugt aber durch klaren Aussagen – so, wie wir ihn kennen. Seine Echtheit ebnet den Weg sich mit ihm zu identifizieren, sprich sich in ihm wiederzuerkennen. Er baut mit seiner Rede gänzlich die Distanz zwischen Amt und Bevölkerung ab. Er schafft Verbindungspunkte. Dem geübten Hörer fällt auf, dass er diese Punkte gar nicht nennt. Das muss er auch gar nicht, denn es reicht völlig aus, an den richtigen Stellen ein simples stilistisches Mittels einzusetzen – die „Wir-Perspektive“.
„Und wenn wir anderen Mut machen wollen, dann brauchen wir auch selber welchen.“
Sie hat den Vorteil, dass sie alles Gesagte gleichsam auf Redner und Publikum projiziert und das ungleiche Machtgefüge zwischen Steinmeier und Bevölkerung abschafft: Der Bundespräsident wird zu einem von vielen. Doch warum ist das so wichtig?
Was nicht passt, wird passend gemacht
Das „Wir-Gefühl“ greift das natürliche Bedürfnis von uns Menschen nach emotionaler Sicherheit auf. Erst wenn wir uns sicher und geschützt fühlen, können wir anderen vertrauen. Natürlich wissen wir, dass das ungleiche Machtgefüge zwischen Steinmeier und dem Rest der Bevölkerung weiterhin besteht. Wir entscheiden uns jedoch sehr oft dafür, über solch kleine Diskrepanzen hinwegzusehen, um uns besser mit dem Redner identifizieren zu können. Denn am Ende des Tages ist Bundespräsident Steinmeier doch auch nur „Bürger Steinmeier“, Nachbar, Freund, Ehemann und derjenige der am Sonntag Frühstücksbrötchen vom Bäcker holt und auf dem Weg ganz gerne eins nascht, oder?
Nichts Neues, aber wirkungsvoll
Das wohl beliebteste Stilmittel, um die Wirkung der einer Aussage zu verstärken, ist die rhetorische Frage. Sie enthält weniger Information, als dass sie provoziert. Da es sich aber immer noch um eine Frage handelt, hat der Zuhörer vor allem das Bedürfnis ihr zuzustimmen oder zu widersprechen. Wird Sie im passenden Kontext verwendet und richtig konstruiert, ähnelt sie sogar manchmal eher einem Totschlagargument, als einer Frage:
„Wer, meine Damen und Herren, wenn nicht wir, kann guten Mutes sein? „
Steinmeier hat die Frage bewusst so formuliert, dass kaum noch Raum ist für Pessimismus, denn nirgendwo auf der Welt gäbe es mehr Chancen als bei uns.
Weniger ist mehr
Er gesteht der Bevölkerung aber auch Angst und Sorge um ihre Sicherheit zu und nimmt sie ernst. Nicht zuletzt ist er Realist und kennt sämtliche Krisenherde in und um Europa. In den meisten Reden, die wir kennen, ist viel Gefühl und Entertainment sicherlich von Vorteil. Man sieht am Beispiel Steinmeiers allerdings deutlich, dass weniger auch mehr sein kann. Sie ist kurz, aber präzise, denn er meint das, was er sagt.
Verglichen mit seinem Vorgänger und dem ehemaligen Pastor Joachim Gauck wirkt Steinmeier erfrischender. Er nutzt „Storytelling-Elemente“, also kleine Geschichten und Anekdoten, um seine Sprache bildhafter zu gestalten. Seine Rede ist alles andere als emotions-überladen, aber auch nicht emotionsfrei. Er nutzt die Zeit für eine Anekdote, die sinnbildlich für seine ganze Rede und mehr noch, für sein ganzes Amt steht. Die Junge Frau aus Tunesien, die ihm einst sagte: „Ihr macht mir Mut!“. Damit meinte sie die Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte Deutschlands, damit meint er seine Herausforderungen im neuen Amt. Diesen Mut selbst zu zeigen, wird er noch zur Genüge beweisen müssen.
Apropos Mut, Herr Steinmeier!
Wenn das Thema „Mut“ schon die ganze Rede durchzieht, dann geben wir Steinmeier doch gleich mal folgenden Tipp mit auf den Amtsweg: Der Inhalt einer Rede sollte sich auch in der Performance des Redners ausdrücken. Steinmeier beispielsweise hat deutliche Schwächen in Sachen Modulation. Es kann zwar punktuell erfrischend sein, nicht nach jedem Satz eine Pause zu machen und das Satzende im Redefluss zu ignorieren. Doch unser Bundespräsident zieht das so stringent von Anfang bis Ende seiner Rede durch, dass es nicht nur anstrengend für den Zuhörer ist, sondern auch eintönig – sehr widersprüchlich, wo die Rede doch eigentlich motivierend sein soll!
Quelle: http://www.blog.michael-ehlers.de/6700-2/
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