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Fähiger im Fernstudium? Ein Experte über Gehirn-optimiertes Lernen

Sieben von zehn Studierenden brechen ihr Fernstudium ab – diese Zahlen wurden im Jahr 2010 von der Fernuniversität Hagen veröffentlicht, noch bis heute sorgen sie für Schlagzeilen. Doch wo liegen die Ursachen dieser hohen Abbruchquote? Den Frust, der sich beim Lernen an der Universität manchmal entwickeln kann, kennt unser Interviewpartner Gabriel Gorbach jedenfalls aus eigener Erfahrung. Im Gespräch berichtet der Experte, welche Techniken dabei helfen können, das Studium effizienter zu meistern.

 Herr Gorbach, viele Menschen haben das Ziel, ihr Studium erfolgreich abzuschließen. Doch warum sind dann gerade unter Studenten im Fernstudium die Abbruchquoten so hoch – was frustriert sie?

Leider haben die meisten Studenten nie gelernt, wie man wirklich lernt. Sie setzen auf Methoden aus der Schule, wie Zusammenfassungen schreiben, Karteikarten erstellen, oder lesen ihre Skripte einfach häufig durch. In der Schule kommt man damit zurecht, im Studium braucht man damit in der Regel aber viel Zeit und meistens bleibt nur wenig Wissen hängen.

Für Studenten in einem Präsenzstudium ist das dennoch kein Problem. Sie haben viel Zeit und können täglich fünf bis sechs Stunden ins Lernen stecken. Im Fernstudium ist die Situation anders. Die meisten studieren neben ihrem Beruf oder ihrer Familie. Sie haben nur wenig Zeit, oft nicht mehr als ein bis zwei Stunden am Tag. Dennoch müssen sie dieselbe Menge an Stoff aufnehmen und langfristig behalten, um ihr Fernstudium zu absolvieren.

Mit den klassischen Lerntechniken aus der Schule ist man dafür leider oft zu langsam. Als Konsequenz hängt man im Studium hinterher und ist demotiviert. Wir hören auch oft von Klienten, dass sie ihre Freizeit nicht mehr genießen können, weil sie ans Lernen denken oder ein schlechtes Gewissen haben, sobald sie entspannen. Wenn man dann noch etwas unsicher vor Prüfungen ist, hängt man schnell im Studium hinterher, was einen weiter frustriert. Das führt leider dazu, dass einige Studenten im Fernstudium wieder abbrechen.

Sie unterstützen Studierende bei der effizienten Prüfungsvorbereitung. Dabei setzen Sie auf das Gehirn-optimierte Lernen. Was bedeutet dieser Begriff?

 Bei Gehirn-optimiertem Lernen lernt man so, dass es optimal fürs eigene Gehirn ist. Dazu muss man meinen Hintergrund verstehen. Ich habe selbst Psychologie studiert, aber oft neben dem Studium gearbeitet – teils Vollzeit, teils Teilzeit. Ich hatte also selbst nur wenig Zeit und war ziemlich schnell überfordert mit der Stoffmenge. Im ersten Semester habe ich dadurch nur zwei von vier geplanten Prüfungen absolvieren können. Bei den anderen beiden Prüfungen ging mir die Zeit aus und ich war einfach nicht vorbereitet. Auch meine Noten – einmal eine 2,0 und einmal eine 3,0 – waren in Ordnung, aber auch nicht wirklich gut.

Ich habe also gewusst: Ich muss etwas ändern, sonst schaff ich das nicht! Dann bin ich zu den Bereichen Neuro- und Kognitionswissenschaften gekommen. Also der Wissenschaft darüber, wie unser Gehirn funktioniert, wie das Gedächtnis arbeitet und wie wir Erinnerungen bilden. Interessanterweise gab es sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse und Publikationen darüber, wie unser Gehirn im Kern funktioniert, und was auf neuronaler Ebene passieren muss, damit wir uns etwas merken.

Leider gibt es in der Psychologie ein großes sogenanntes Translationsproblem. Das bedeutet, dass über die Hälfte aller wissenschaftlichen Erkenntnisse nie in die Praxis gebracht werden. Und im Schnitt dauert es um die 30 Jahre, bis gesicherte Erkenntnisse endlich beim Normalbürger ankommen.

Also habe ich mich gefragt: Wie können wir diese Erkenntnisse über unser Gehirn praktisch anwendbar machen? Wie schaffen wir es damit deutlich schneller zu lernen und das Wissen auch langfristig zu behalten? Und wie kann man direkt mit dem Skript lernen, ohne Zusammenfassungen oder Karteikarten zu benötigen, und ohne das Skript fünf Mal durchzulesen, bis es hängenbleibt. Daraus habe ich dann anwendbare Methoden abgeleitet und die über die nächsten Jahre immer weiter verfeinert. Bei Gehirn optimiertem Lernen beachtet man also die Prinzipien des Gehirns, um schneller zu lernen.

Wie geht man beim Gehirn-optimierten Lernen konkret vor? Funktioniert das bei jedem?

Gehirn-optimiertes Lernen unterscheidet sich von Gedächtnistricks, wie einem Gedankenpalast, kreativen Geschichten, Assoziationsketten, etc. Von diesen Merktricks gibt es auf YouTube viele und auch wenn sie auf den ersten Blick vielversprechend klingen, sind sie in der Praxis oft nicht anwendbar oder mit viel Zeitaufwand verbunden.

Bei Gehirn-optimiertem Lernen versucht man hingegen simple, fundamentale Prinzipien des Gehirns zu berücksichtigen. Es geht darum, welche Neurotransmitter vorhanden sein müssen, um Erinnerungen zu bilden. Man beachtet in welchem Abstand man seine Skripte wiederholen muss, um den maximalen langfristigen Lerneffekt zu erzielen. Und man versucht dem Gehirn Signale zu senden, dass der Prüfungsstoff wichtig ist, und nicht in der Flut an Informationen untergehen darf. Das ist ein kleiner Ausschnitt der Prinzipien, die man beim Gehirn-optimierten Lernen beachtet.

Zur zweiten Frage: Eigentlich funktioniert Gehirn-optimiertes Lernen bei jedem. Jedes menschliche Gehirn funktioniert im Kern gleich. Neuronal müssen immer dieselben Voraussetzungen erfüllt sein, um Informationen zu speichern. Daher kann man diese Prinzipien auch auf jeden Menschen übertragen. Ob man damit seine Lerngeschwindigkeit aber verdoppelt, verdreifacht oder nur um 70 Prozent steigert, hängt dann aber auch davon ab, wie konsequent man alles umsetzt.

Wir streben in unserem Coaching immer eine Verdoppelung der Lerngeschwindigkeit an. Manche sind aber auch schon zufrieden, wenn sie um 70 Prozent schneller lernen, ihre Prüfungen selbstbewusst bestehen und ihr Privatleben wieder mit gutem Gewissen genießen können.

Ist also der Erfolg im Fernstudium nur eine Frage des richtigen Lernens? Welche Rolle spielen angeborene Fähigkeiten?

 Tatsächlich spielen angeborene Fähigkeiten eine Rolle, jedoch haben sie eine vergleichsweise geringe Bedeutung. Intelligenz beispielsweise wirkt sich zwar positiv aufs Lernen aus, jedoch bringt das nur eine zwei- bis dreiprozentige Verbesserung. Viel wichtiger ist, wie man lernt. Auch das Alter ist nicht so wichtig. Obwohl die natürliche Auffassungsgabe mit dem Alter sinkt, ist der Verlust nur sehr gering.

Viele unserer Studenten im Training, die in ihren 30ern oder 40ern ein Fernstudium starten, sind tatsächlich schneller als jüngere Kommilitonen, weil sie sich zuerst intensiv damit auseinandergesetzt haben, wie sie lernen. Einer – Markus – hat mit 55 Jahren begonnen Wirtschaftsrecht zu studieren, um sich beruflich zu verändern und auch einfach mal einen akademischen Abschluss zu haben. Aktuell absolviert er trotz Vollzeitberuf und Familie etwa eine Prüfung im Monat und ist damit schneller unterwegs als viele jüngere Kommilitonen.

Der technologische Fortschritt gewinnt auch im beruflichen Alltag an Bedeutung. Lernen wir in Zeiten von KI und Co. anders? Wie stehen Sie zu der Entwicklung?

Künstliche Intelligenz verändert das Studium – jedoch nur sehr wenig. KI hilft unserer Erfahrung nach immer dann, wenn es darum geht »etwas zu erledigen«. Man kann zum Beispiel für eine Hausarbeit etwas recherchieren, schnell komplexe Texte zusammenfassen lassen, etc. Ich habe künstliche Intelligenz auch bei der statistischen Auswertung meiner Masterarbeit verwendet, um Code für ein komplexes Statistikprogramm zu schreiben. KI kann uns also Arbeit abnehmen und erleichtern.

KI hat meiner Meinung nach aber nur einen sehr geringen Einfluss auf das eigentliche Lernen an sich. Schlussendlich geht es stumpf darum, Wissen aufzunehmen. Auch jetzt schon haben wir das Wissen im Skript und es muss in unser Gehirn rein. Selbst wenn man mit KI Zusammenfassungen oder Karteikarten erstellen kann, hilft das beim Lernen nicht wirklich, weil das Entscheidende – der Transport der Information ins Gehirn – immer noch von uns erfolgen muss.

Wer also deutlich schneller lernen möchte und angenehm neben Beruf oder Familie im Fernstudium studieren will, kommt nicht darum herum, zu lernen, wie unser Gehirn lernt. Das Schöne ist: Wenn man einmal weiß, wie man schnell und effizient lernt, dann profitiert man ein Leben lang davon. Es ist wie Fahrradfahren: Man muss einmal erlernen, wie es geht – ab dann hat man die Fähigkeit – und wird ein Leben lang davon profitieren.

Unser Gesprächspartner:

Gabriel Gorbach hat Psychologie studiert und ist Experte für Gehirn-optimiertes Lernen.

Die von ihm entwickelte Methode hat das Ziel, Fernstudierende beim Lernen zu unterstützen.

Beitragsbilder: Gabriel Gorbach (privat)

 

AS (L)