Dr. Rainer Zitelmann hat in 20 Monaten 30 Länder bereist. Die Sehenswürdigkeiten und kulinarischen Gepflogenheiten haben ihn dabei nur am Rande interessiert, stattdessen ging es ihm darum: herauszufinden, wie die Menschen in diesen Ländern über Kapitalismus, Sozialismus und Marktwirtschaft denken. Mehr als eine halbe Million Euro hat er zuvor in Umfragen zu diesem Thema investiert, auf seiner Reise fand er dann heraus, wie die Realität aussieht. In unserem Interview erzählt der Historiker und Buchautor von seinen Erkenntnissen und was ihn schockiert hat.
Herr Dr. Zitelmann, aus Ihrer Weltreise in 30 Länder ist das Buch »Weltreise eines Kapitalisten« geworden. Worum ging es Ihnen auf der Reise?
Zitelmann: Es war eine Reise völlig anderer Art. Nicht Urlaub und Sonne, sondern eine Bildungsreise. Ein Bekannter, Vorstand einer Immobilienfirma, berichtete mir mal: »Meine Kinder sind jetzt 14 und 15 Jahre alt, bald werden sie nicht mehr mit uns in den Urlaub fahren wollen. Ich bin mit ihnen um die ganze Welt gereist, wir haben aber vorher Zuhause über jedes Land etwas zu Geschichte, Politik, Wirtschaft erarbeitet.« Mich hat das damals beeindruckt.
Bevor ich in ein Land gefahren bin, habe ich mich intensiv mit Wirtschaft und Geschichte des Landes befasst. Und in jedem Land habe ich Umfragen zum Image von Kapitalismus und Marktwirtschaft durchführen lassen, die allein haben mich 660.000 Euro gekostet. Ich habe mit Politikern, Ökonomen, Unternehmern und einfachen Leuten gesprochen. Und überall Vertreter der libertären Weltbewegung getroffen. Nicht jeder hat Zeit und Geld, 20 Monate lang eine solche Reise zu machen, aber ich hoffe, mein Buch macht Menschen neugierig, selbst mal etwas Ähnliches zu probieren.
Reisen Sie gern alleine oder in Begleitung?
Zitelmann: Lieber in Begleitung, Freundinnen von mir haben mich auf vielen Reisen begleitet, aber das war nicht immer möglich, weil die ja studieren oder arbeiten. Deshalb war ich öfter alleine unterwegs. Das war dann schon eine Umstellung, weil ich die Abende normalerweise mit Freundinnen verbringe.
Was war spannender: die sozialistischen oder die kapitalistischen Länder? Und wie waren die Menschen?
Zitelmann: Naja, alle Länder, in denen ich war, sind ja irgendwie eine Mischung aus Kapitalismus und Sozialismus. Mal mehr Sozialismus, wie in Nepal oder Argentinien, mal mehr Kapitalismus, wie etwa in Schweden oder Südkorea. Vietnam nennt sich sozialistisch, aber ich garantiere Ihnen, dass es einfacher ist, einen Marxisten an einer Uni in den USA oder Europa zu finden als in Vietnam. Die renommierte Foreign Trade University in Hanoi, wo man meine Studien zum Image der Reichen gelesen hatte, lud mich ein zu einem Workshop mit dem Thema: »Wie kann man das Image der Reichen verbessern?« Dabei ist das Image der Reichen in Vietnam so gut wie sonst nirgendwo.
Die Menschen waren großartig. Ich erinnere mich an die Gastfreundschaft etwa in der Mongolei, Nepal, aber auch in europäischen Ländern wie Griechenland, der Slowakei oder Polen. Klar, in kleinen Ländern ist die Aufmerksamkeit, die man erhält, eine ganz andere als in großen: In Bosnien hat die führende Tageszeitung ein Zwei-Seiten-Interview gebracht, in der Mongolei war der Bericht sogar auf Seite eins.
Die größte Aufmerksamkeit für meine Ideen erhielt ich in Argentinien, wo ich beim führenden Fernsehsender zu Gast war – in einem Format, in dem vorher schon der Papst interviewt worden war. Ich habe viele beeindruckende Menschen kennengelernt, zum Beispiel Steve Forbes in den USA oder Leszek Balcerowicz in Polen, um nur zwei zu nennen.
Was hat Sie am meisten überrascht oder gar schockiert auf Ihrer Reise?
Zitelmann: Überrascht war ich, als ich im Mai 2022 erstmals führende Vertreter der Partei von Javier Milei in Argentinien getroffen habe. Mein Eindruck war: Der könnte es schaffen, Präsident zu werden. Als ich Ende 2023 zwei Tage nach Mileis Wahl wieder nach Argentinien kam, schrieb mir Jose Fucs, der bekannteste marktwirtschaftliche Wirtschaftsjournalist Brasiliens (Estado) auf Whatsapp: »Du warst der erste, der mir sagte, dass Milei in Argentinien eine große Unterstützung hat, vor allem unter den jungen Leuten, und dass er die Wahl gewinnen könnte.«
Überrascht war ich aber auch, dass der ganze Gender- und Cancel-Culture-Blödsinn kein Phänomen nur in Europa und den USA ist. Bis dahin dachte ich, das ist was für reiche Länder, die sich den Luxus erlauben, sich mit so einem Blödsinn zu befassen. Aber in Brasilien, Argentinien oder Chile ist das leider auch ein Riesenthema. In Brasilien kann man zudem gut beobachten, wie seit Jahren der oberste Gerichtshof die Meinungsfreiheit massiv beschneidet.
Was hat mich schockiert? Nun, die Armut in Nepal ist wirklich erschreckend, aber das wusste ich vorher. Was mich eher schockiert hat, war, dass dort immer noch viele Menschen an Marx und Mao glauben. Von den 119 Parteien, die bei der nepalesischen Wahlkommission registriert sind, sind mindestens 86 entweder sozialistisch, kommunistisch, maoistisch, marxistisch-leninistisch oder sonst wie linksorientiert.
Als ich zurück zum Flughafen von Khatmandu fuhr, sah ich vor einem Veranstaltungskomplex überall rote Fahnen mit Hammer und Sichel. Auf meine Frage, was da los sei, meinte mein Begleiter: »Ach, da halten gerade die Maoisten eine große Konferenz ab.« Ich konnte nicht verstehen, dass die Menschen dort immer noch in so großer Armut leben, während ihnen doch andere asiatische Länder, Singapur, Taiwan, Südkorea oder Vietnam zeigen müssten, dass nur mehr Marktwirtschaft aus der Armut führt. Während die Vietnamesen ausländische Investoren mit offenen Armen empfangen, gibt es in Nepal irre lange Listen, in was man alles nicht investieren darf.
Hat die Reise Ihre Erkenntnisse eher bestätigt oder hat sich an Ihrer Sicht etwas verändert?
Zitelmann: Letztlich hat sie mich darin bestätigt, dass die meisten Probleme von Politikern verursacht werden, während für positive Entwicklungen und mehr Wohlstand die Unternehmer verantwortlich sind. Aber das ist ja auch in Deutschland so. Leider hat mich die Reise auch in meiner Kritik an der libertären Bewegung bestätigt: Die haben sehr gute Ideen, sind aber oft zu dogmatisch, manchmal fast wie eine Sekte. Das trifft bestimmt nicht auf alle zu. Auf dem Freedom Fest in den USA trifft man beispielsweise Tausende tolle Leute, ebenso auf dem Capitalism Weekend in Polen. Aber dann gibt es immer wieder verbohrte Dogmatiker.
Haben Sie ein Beispiel, was meinen Sie genau?
Zitelmann: Einer der Referenten auf dem Capitalism Weekend war Remigijus Šimašius, ein guter Typ. Er war acht Jahre lang Bürgermeister der Hauptstadt von Litauen, Vilnius. Stolz berichtete er, dass Uber drei Wochen, nachdem das Unternehmen einen Antrag gestellt hatte, die Erlaubnis in Vilnius bekam. Das sei eine Rekordzeit, die es sonst nirgendwo gegeben habe, die schnellste Genehmigung der Welt. Auch die Ergebnisse einer liberalen Wohnungspolitik in Vilnius könnten sich sehen lassen: In acht Jahren seien dort die Mieten zwar um 70 Prozent gestiegen, die Löhne jedoch um 100 Prozent, während in vielen anderen Städten die Mieten im gleichen Zeitraum schneller gestiegen seien als die Löhne.
Ein Teilnehmer, der sich bereits bei meinem Vortrag gemeldet hatte und zu erkennen gab, dass er ganz generell gegen Politik und Politiker sei, fragte dann auch Šimašius kritisch, wie er es mit libertären Grundsätzen vereinbaren könne, Politiker zu sein, da Politik doch Herrschaft über Menschen bedeute, was Libertäre ablehnten. Ich gebe zu, dass mir solche libertären Fundamentalisten suspekt sind. Sie wollen nicht wirklich etwas bewegen, fühlen sich oft wohl in der Rolle der Gralshüter der reinen Lehre und erinnern mich manchmal an die dogmatischen Marxisten, die ich in meiner Jugend kennengelernt habe.
Unser Gesprächspartner: Dr. Dr. Rainer Zitelmann hat 29 Bücher veröffentlicht, die in mehr als 30 Sprachen erschienen sind. Er schreibt unter anderem für Medien wie »Wall Street Journal«
»Weltreise eines Kapitalisten«
von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
400 Seiten
Erschienen: Mai 2024
FinanzBuch Verlag
ISBN: 978-3-95972-783-9
Bilder: Dr. Dr. Rainer Zitelmann