Sich Ziele setzen und diese konsequent verfolgen = ein Muss für jeden, der in seinem Leben etwas erreichen möchte. Tun wir das nicht, dümpeln wir nur so vor uns hin – was nicht das ist, was man sich unter einem produktiven und erfüllten Leben vorstellt. Natürlich definiert jeder für sich selbst, was Erfolg bedeutet. Aber ganz egal, was es ist, es braucht Zielstrebigkeit, um das Ziel auch wirklich zu erreichen. Ehrgeiz, Beständigkeit, Hartnäckigkeit, Disziplin und eine Prise egoistische Selbstbezogenheit sind alles wichtige Zutaten für das Erreichen deiner Ziele. Warum Ehrgeiz, Beständigkeit, Hartnäckigkeit und Disziplin wichtig für deinen Erfolg sind ist klar, aber was genau soll das denn jetzt mit dem Egoismus?
Ein gesunder Egoismus treibt dich an
Mit einer gewissen Selbstbezogenheit stellst du sicher, dass die Ziele, die du verfolgst auch wirklich wichtig für dich sind. Denn wenn du in deinem Leben nichts hast, wofür es sich lohnt, Tag für Tag hart zu arbeiten, wird es dir auch schwer fallen, die notwendige Motivation und den Fokus zu entwickeln, den du brauchst, um deine Komfortzone zu verlassen, Neues zu wagen und deine Grenzen auszutesten. Wenn du dich zu wenig auf dich selbst und deine Ziele fokussierst, vermeidest du Stress und legst keinen Wert darauf, dich und dein Tun zu reflektieren und kontinuierlich daran zu arbeiten. Dadurch verstreust du deine kognitive Energie und öffnest die Schranken für Antriebslosigkeit, Langeweile und Apathie. Ein schwach ausgeprägter Egoismus kann also dazu führen, dass du dich die meiste Zeit unterhalb des sogenannten Flow-Kanals bewegst. Der Flow-Kanal ist der Kern der Flow-Theorie des ungarisch-amerikanischen Psychologen Mihaly Csíkszentmihály und beschreibt den Bereich, in dem wir uns während einer schwierigen Aufgabe optimal gefordert fühlen und die hochproduktive Balance aus Anspannung und Entspannung finden.
Du solltest dich so oft es geht im Flow-Kanal bewegen, damit das, was du tust, möglichst effizient tust und Topergebnisse erzielst. Wenn du öfter im Flow-Kanal arbeitest, läufst du mit gigantischen Schritten auf dein Ziel zu und bist in Nullkommanix daran vorbei und auf dem Weg zum nächsten Ziel. Klingt ein bisschen wie Zauberei, oder? Ist es aber nicht. Im Flow bist du äußerst produktiv und hast dabei auch noch Spaß. So ziemlich jeder hat schon einmal Flow erlebt und hat komplett das Gefühl für die Zeit verloren, während wir uns völlig auf die Aufgabe fokussieren konnten, in der wir keinerlei Zweifel an unseren Entscheidungen hatten und ein Gedanke sich fließend an den nächsten reihte. Während des Flow-Erlebens nehmen wir uns selbst und uns sonst belastende Probleme kaum noch wahr, sondern sind völlig in die aktuelle Tätigkeit versunken. Außerdem ist für den Flow ein starkes Gefühl der Kontrolle charakteristisch, bei dem es erscheint, als wüssten wir in jedem Moment intuitiv, was als nächstes zu tun ist. So können wir jede Sekunde genießen, selbst wenn wir eigentlich gerade ein schwieriges Problem lösen.
Energieeffizienz ist der Schlüssel zum Flow
Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, in den Flow zu finden, können wir in uns mentale und emotionale Voraussetzungen kultivieren und bspw. an unseren Einstellungen arbeiten. Und dabei spielt neben anderen wichtigen Persönlichkeitsmerkmalen der bereits erwähnte Egoismus bzw. die Selbstaufmerksamkeit eine große Rolle. Mit zu viel oder zu wenig Selbstaufmerksamkeit, ist es leicht aus dem Flow-Kanal zu driften. Wenn du dich auf dein Ziel oder deinen egoistischen Nutzen, den du aus einer Sache ziehen kannst, fokussierst, bündelst du deine kognitive Energie, sodass sie weniger “verstreut” ist und du Fokus und Motivation finden kannst. Aber natürlich haben die positiven Effekte dieser “Ich-Bezogenheit” auch ihre Grenzen. Drehen wir den Spieß mal um: du bist “zu zielstrebig”, verfolgst dein Ziel ohne Rücksicht auf Verluste oder zerbrichst dir ständig den Kopf über deine Handlungen und die Meinung anderer darüber. Das fixiert deine kognitive Energie. Wird der Fokus auf dich selbst zu stark, kann es dir genauso passieren, dass du dir selbst im Weg stehst. Ein starrer Fokus erschwert es dir enorm, flexibel neue Gelegenheit und Herausforderungen wahrzunehmen und auf diese zu reagieren. Du verrennst dich in der Wichtigkeit deiner Ziele. Du gibst zwar Gas, aber bleibst auf der Stelle stehen. Zusätzlich nimmst du alles, was du tust, viel zu ernst und genau hier entsteht dann so genannter Disstress. Die Leichtigkeit, die du für den Flow brauchst, um z.B. Rückschläge wegzustecken oder spontane Planänderungen vorzunehmen, wird vom Disstress absorbiert und lässt dich nur angespannt arbeiten. Du bewegst dich dadurch die meiste Zeit oberhalb des Flow-Kanals, in dem der permanente Stress und die Anspannung auf lange Sicht zur Frustration und Erschöpfung führen kann.
Selbstbezogenheit sollte also nur in Maßen auf deinem Erfolgsplan stehen. Es ist auch hier, wie bei allem im Leben, die Kunst, die goldene Mitte zu finden. Wenn du das geschafft hast, sind die Bedingungen für deinen Flow schon super. Dass das richtige Maß an Selbstaufmerksamkeit ein Teil der Flowpersönlichkeit ist, hat auch schon Mihaly Csíkszentmihályi festgestellt. So sieht er beide teilweise gegensätzlichen Merkmale wie Leichtigkeit (also Gelassenheit, verringerte Ichbezogenheit), als auch eine aktive Wachstums-Mentalität (Vertreten der eigenen Interessen und Zielorientierung) als interagierende Teile der Flowpersönlichkeit.
Flow als “Ego-Trip”
Dass Flow mit einem gesunden Egoismus zusammenhängt wird auch deutlich, wann man sich die neurowissenschaftlichen Hintergründe dieses produktiven Schaffensrauschs genauer anguckt. Im Flow wird nämlich die Aktivität im präfrontalen Kortex deines Gehirns herunterreguliert (“Transient Hypofrontality”) . Das führt dazu, dass die Gedanken über dich selbst nachlassen und damit auch dein “innerer Kritiker” vorübergehend Ruhe gibt. Passend dazu hat eine Studie von Ernst Fehr (Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich) und der Hirnforscherin Daria Knoch gezeigt, dass man mit heruntergefahrenem Präfrontalen Kortex ein wenig mehr egoistisch handelt, als wenn dieser Teil des Gehirns vermehrt aktiv ist, da hier auch die Selbstkontrolle verortet ist. In dem Moment, in dem das passiert, bist du zielstrebiger, weil du weniger darauf achtest was andere über dich denken oder welchen Eindruck du dabei gerade machst. Du gehst einfach “egoistisch” der Tätigkeit nach ohne einen Gedanken an Freunde, Kollegen oder Familie zu verlieren, sondern wirst eins mit deinen Handlungen und deine ganze kognitive Energie richtet sich konzentriert auf den gegenwärtigen Moment. Du handelst jetzt eher im Sinne deiner eigenen Grundmotive als nach den sozial etablierten Normen, nach denen du konditioniert worden bist.
Wenn du nun befürchtest, keine Rücksicht auf deine Umgebung mehr zu nehmen und nur noch nach deinen eigenen Bedürfnissen zu streben, weil du im Flow bist, kann ich dich beruhigen. Der Flow ist kein anhaltendes Phänomen, sondern zeitlich begrenzt. So steht die vorübergehend verminderte Selbstreflektion und der verstärkte Egoismus keine Gefahr für moralisches Handeln dar.
3 Perspektiven für mehr Gelassenheit und Flow
Bis zu einem gewissen Punkt bist du vielleicht auch ohne Flow erfolgreich, wenn du mit sehr viel Selbstaufmerksamkeit nach deinen Zielen strebst, aber um welchen Preis? Du empfindest Disstress, musst hart und mit viel Disziplin, vielleicht sogar Zwang arbeiten. Zusätzlich musst du mit den eher negativen sozialen Konsequenzen deiner starken Ich-Bezogenheit leben. Wohlbefinden und Erfüllung klingt anders. Damit dir das nicht passiert, haben wir drei simple Perspektiven für dich, die dich deine ambitionierten Ziele erreichen lassen, ohne auszubrennen oder dich verrückt zu machen.
#1: Halb so wild, interessiert eh niemanden
Versuche dich selbst nicht so ernst zu nehmen: Klar, hast du immer das Gefühl unter der Beobachtung anderer zu stehen, aber in Wirklichkeit beschäftigt sich niemand länger als er muss mit uns, weil alles darüber hinaus (z.B. ob du einen grünen oder einen schwarzen Pulli trägst) einfach nicht relevant für ihr weiteres Leben ist. Dieses Phänomen der überschätzen Aufmerksamkeit, die andere einem angeblich widmen, nennt man Spotlight-Effekt und der kann dich schon mal schwer verunsichern. Laut Bruce Davis hat man pro Tag zwischen 50.000 und 70.000 Gedanken. Also selbst wenn eine Person 30 Mal täglich an dich denken würde, wären das nur zwischen 0,06% und 0,04% – also nicht einmal 1% der Gedanken über dich. Sollte doch jemand mehr als gewöhnlich über dich nachdenken, sind die Gedanken höchstwahrscheinlich empathischer und nicht verurteilender Natur.
#2 Du bist kein Cyborg und aus Fehlern lernt man
Denk daran, dass niemand perfekt ist. Jeder hat seine Schwächen. Du solltest dich deswegen keinesfalls schlecht fühlen. Fehler machen ist keine Schande, ohne Fehler kannst du dich nicht Weiterentwickeln. Nichts ist frustrierender als Stillstand, der dich genau dann ereilt, wenn du versuchst keine Fehler mehr zu begehen.
#3 Du bist, wer du glaubst zu sein
Deine Meinung von dir selbst beeinflusst dein Handeln und Auftreten maßgeblich. So wie du über dich denkst, werden dich auch andere sehen. Mit einem gesunden Selbstbild, kannst du also einiges erreichen. Richte deine Perspektive auf das Positive aus. Aber setzt keine alles beschönigende Brille mit Scheuklappen gegenüber der Welt auf. Hab dein Ziel vor Augen anstatt die Leute, die dir auf deinem Weg zu deinem Ziel auf die Finger schauen. Ist deine Aufmerksamkeit auf dein Ziel gerichtet, hat das, was du tust einen Sinn und somit hat dein Tun eine “Berechtigung“ und du machst dir nicht mehr so viele Gedanken darüber, was andere davon halten. Schließlich hilft dir genau dieses Verhalten dein Ziel zu erreichen. Durch das Lenken deiner Aufmerksamkeit, kannst du selbst bestimmen, was in deinem Fokus auftaucht und was nicht. Für das Wohlbefinden und die Produktivität ist es also ausschlaggebend, worauf du deine Aufmerksamkeit fokussierst.
Wie schwer das manchmal sein kann, sich auf eine bestimmte Sache zu fokussieren, wissen wir alle aus eigener Erfahrung – aber was wir auch wissen ist, dass wir an uns arbeiten und zum Beispiel mit Achtsamkeits-, Neuroplastizitätstraining oder kognitiver Verhaltenstherapie nützliche Mindsets, Fokus und andere produktive Eigenschaften verstärken können. Mit gezieltem Flowtraining kannst du mit solchen Techniken ein gesundes Maß an Zielgerichtetheit bzw. Egoismus und Selbstvergessenheit finden. Denn sowohl zu wenig als auch zu viel Aufmerksamkeit, die du dir selbst schenkst, führen dazu dass du deine psychischen Kapazitäten nicht effizient einsetzen kannst und somit dein Potenzial nicht optimal nutzt.
Jonas Vossler ist Gründer von Flowletics und Experte für Flow, Mentaltraining und positive Stressbewältigung.
Autor: Flowletics
Bild: Depositphotos.com/TarasMalyarevich