Natalie Irber: »Leidenschaft trägt dich weiter als jede Strategie«

Natalie Irber: »Leidenschaft trägt dich weiter als jede Strategie«

Natalie Irbers Instagram-Account hat 2019 als Zufluchtsort für ihre Gedanken und Gefühle begonnen und sich mittlerweile zu einem Feed voller leuchtender Acrylfarben und inspirierender Sprüche entwickelt (@natalie.irber). Mit ihren Kunstwerken will sie ihre rund 130.000 Follower täglich daran erinnern, wie schön das Leben ist. Uns hat Natalie im Interview verraten, wie Influencer die Kunstbranche nahbarer gemacht haben und warum sie mehr Wert auf ihre Leidenschaft und ihre Community legt als auf Reichweite und Likes.

Viele junge Leute haben heutzutage den Traumjob »Influencer«. Was war deine Motivation, diesen Berufsweg einzuschlagen?

Eigentlich hatte ich nie die Absicht, Influencerin zu werden. Vor etwa sechs Jahren habe ich damit angefangen, Gedanken, Worte und Gefühle rund um mentale Gesundheit auf Instagram zu teilen. Mein Ziel war es, einen ehrlichen Raum für Themen zu schaffen, über die damals noch viel zu wenig gesprochen wurde. Es ging mir nicht darum, eine große Reichweite zu erreichen oder als »Influencerin« wahrgenommen zu werden – ich wollte einfach mehr Sichtbarkeit für ein Thema, das mir am Herzen lag.

Über die Jahre hat sich daraus ganz natürlich ein neuer Weg entwickelt: Aus meinen Texten entstanden Bilder, aus Bildern wurde Kunst. Und mit der Kunst kam eine wachsende Community. Auch wenn ich diesen Weg nie bewusst geplant habe, bin ich unglaublich dankbar, wohin er mich geführt hat. Heute kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als genau das zu tun, was ich liebe – Kunst zu erschaffen, Gedanken zu teilen und Menschen zu berühren.

Was hättest du zu Beginn deiner Karriere als Influencerin gerne gewusst? Für welche Tipps wärst du sehr dankbar gewesen?

Zu Beginn meiner Reise hätte ich gerne gewusst, wie sehr Privates und Arbeit in diesem Beruf miteinander verschwimmen können. Wenn man sich nicht ganz bewusst Auszeiten nimmt, arbeitet man irgendwann ständig – sieben Tage die Woche, rund um die Uhr, oft ohne es wirklich zu merken. Gerade am Anfang ist man so begeistert und voller Energie, dass Pausen oft hintenüberfallen, aber auf Dauer funktioniert das einfach nicht.

Ich hätte mir auch gewünscht, besser einzuschätzen, wie viel Arbeit wirklich hinter dem steckt, was oft so leicht und mühelos wirkt: Content planen, Inhalte vorbereiten, recherchieren, malen, verpacken, Buchhaltung machen – es ist viel mehr als nur schöne Bilder posten. Es ist ein richtiger Vollzeitjob mit unglaublich vielen Aufgaben, die im Hintergrund laufen.

Und das Wichtigste: Ich hätte mir gewünscht, dass mir jemand sagt, dass mein Wert nicht in den Instagram-Insights liegt. Dass ich nicht meine Reichweite oder Likes bin. Es geht um die eigene Entwicklung, die Leidenschaft und die Menschen, die man berührt – nicht um Zahlen. Diese Erkenntnis hätte mir viele schlaflose Nächte erspart.

Welche Charaktereigenschaften und Fähigkeiten sollte ein Influencer vorweisen können, um erfolgreich zu werden?

Am allerwichtigsten: Sei du selbst. Jeden anderen gibt es schon. Wer versucht, jemand anderes zu sein oder nur Trends hinterherrennt, wird auf Dauer nicht glücklich – und auch keine echte Verbindung zu seiner Community aufbauen.

Was man außerdem dringend braucht, ist Durchhaltevermögen – und zwar sehr viel davon. Wachstum auf Social Media passiert meistens langsam und organisch. Es gibt Zeiten, da läuft alles super – und dann wieder Phasen, in denen gefühlt gar nichts wächst. Damit muss man umgehen können, ohne den eigenen Weg infrage zu stellen.

Organisation ist natürlich hilfreich – aber ich bin selbst das beste Beispiel dafür, dass es auch chaotisch gehen kann. Ich bin ziemlich unorganisiert, was viele Abläufe betrifft, und dadurch wird es manchmal richtig stressig. Aber: Auch das ist machbar, wenn die Leidenschaft stimmt. Und genau das ist der Kern: Du musst wirklich brennen für das, was du tust. Wenn ich meine Kunst und das Teilen meiner Gedanken nicht so lieben würde, hätte ich viele schwierige Phasen nicht durchgestanden. Leidenschaft trägt dich weiter als jede Strategie.

Inwiefern beeinflussen Influencer die Kunstbranche?

Influencer – oder besser gesagt: Menschen, die ihre Kunst und Gedanken online teilen – haben die Kunstbranche extrem verändert. Kunst ist dadurch heute sichtbarer als je zuvor. Sie ist nicht mehr nur einem kleinen Kreis von Sammlern, Kuratoren oder Galeriegängern vorbehalten. Plötzlich kann jeder, der möchte, mit einem Klick in die Welt der Kunst eintauchen – ganz ohne Hemmschwellen, ganz ohne elitäre Barrieren.

Für mich persönlich ist das eine unglaublich schöne Entwicklung. Ich muss niemanden überzeugen, meine Werke auszustellen. Ich stelle sie selbst aus – auf meinen Plattformen, auf meinen Wegen – und die Menschen dürfen frei entscheiden, ob sie sich davon berühren lassen oder nicht. Diese unmittelbare Verbindung zwischen Künstler und Betrachter ist für mich das Schönste an der neuen Kunstwelt, die durch Social Media entstanden ist.

Früher wirkte Kunst oft unnahbar, wie etwas, das man nur mit Zugang, Geld oder bestimmten Kontakten erleben konnte. Heute findet Kunst direkt in den Wohnzimmern, auf den Handys, in den Herzen der Menschen statt – überall, wo sie jemanden erreichen darf. Und genau darin liegt für mich eine riesengroße Kraft: Kunst gehört allen, die bereit sind, sie zu fühlen. Nicht nur einem exklusiven Kreis.

Influencer sind für viele Menschen gleichzeitig Vorbilder. Lässt du dich auch selbst durch andere Influencer beeinflussen oder hast du deine persönlichen Idole woanders gefunden?

Ich lasse mich definitiv von vielem inspirieren – auch von vielen Persönlichkeiten, die online sichtbar sind. Es gibt so viele Menschen, die ich unglaublich spannend finde, deren Ideen mich begeistern und deren Mut ich bewundere. Aber ich würde niemanden davon als klassisches »Idol« bezeichnen.

Für mich ist ein Idol immer etwas, das schnell glorifiziert wird – und ich glaube, das ist gefährlich. Nicht alles, was auf den ersten Blick glänzt, ist auch echt. Gerade auf Social Media sieht man oft nur einen Ausschnitt, nie das ganze Bild. Deshalb versuche ich, mich bewusst nicht an Menschen zu hängen oder jemanden auf ein Podest zu stellen, sondern mir einzelne Impulse und Inspirationen herauszunehmen.

Meine wichtigsten Vorbilder finde ich oft eher außerhalb des Internets: In Büchern, in Kunst, in der Natur und in Begegnungen mit Menschen, die echt sind – die nicht gefallen wollen, sondern einfach sie selbst sind. Für mich geht es nicht darum, perfekt zu sein oder einer Idealvorstellung zu entsprechen. Echte Inspiration entsteht dort, wo Menschen den Mut haben, sich verletzlich zu zeigen – mit all ihren Facetten. Und genau das möchte ich auch selbst verkörpern: Echtheit statt Perfektion, Nähe statt Unnahbarkeit.

Wie gehst du mit Kritik um?

Konstruktive Kritik nehme ich immer gerne an – sie kann unglaublich wertvoll sein und helfen, zu wachsen. Aber gerade im Internet braucht es eine ziemlich dicke Haut. Nicht jede Meinung, die geäußert wird, ist wirklich konstruktiv oder hilfreich.

Viele verstecken sich hinter anonymen Profilen und äußern Dinge, die mehr verletzen als weiterbringen sollen. Mit der Zeit habe ich gelernt: Man muss nicht alles an sich heranlassen. Nicht jede Stimme verdient es, Einfluss auf das eigene Herz oder die eigene Arbeit zu haben.

Und: Nicht jeder Content ist für jeden gemacht – und das ist vollkommen in Ordnung. Meine Kunst, meine Gedanken, meine Worte dürfen genau die Menschen erreichen, die sich davon berühren lassen. Sie müssen nicht jedem gefallen. Es braucht Mut, sich sichtbar zu machen. Und es braucht genauso viel Mut, manchmal einfach leise weiterzugehen, ohne sich von jedem Kommentar aufhalten zu lassen.

Heute kann ich sagen: Echte, respektvolle Kritik nehme ich ernst – alles andere lasse ich vorbeiziehen, wie Wind, der durch die Bäume rauscht.

 

Bild: Natalie Irber