Du bist durch extremes Polarisieren und Beleidigen berühmt geworden. Ist das eine Form von Kunst oder bist du tatsächlich so?
Wenn ich auf der Bühne oder sonst irgendwo auftrete, spiele ich definitiv keine Rolle, sondern gebe mich so, wie ich weitestgehend auch abseits der Kamera bin. Die Behauptung, ich sei durch das Beleidigen von anderen Menschen in der Öffentlichkeit bekannt geworden, sehe ich übrigens ganz anders. Wenn man die Wahrheit ausspricht, fühlen sich viele auf den Schlips getreten und es ist im Alltag eher ungewöhnlich so zu agieren. Ich spreche die vermeintlichen Schwachstellen der Leute direkt an und damit kann nun mal leider nicht jeder umgehen. Irgendwann hat man dann ein Image, gegen das ich es auch Leid bin anzukämpfen. Von daher ist es Segen und Fluch, wenn man polarisiert. Ich kann aber eben nicht anders als mir selber treu zu bleiben. Es gibt genug von den glattgebügelten Leuten. Bei den meisten Interviews mit Profi-Fußballern zum Beispiel, weiß man vorher schon, welche Floskeln kommen. Wenn einer mal ein bisschen was links und rechts sagt, dann bekommt er gleich Gegenwind. Das ist natürlich die bei weitem aufwendigere Art durch das Leben zu gehen, aber für mich kommt es nur so in Frage.
Jürgen von der Lippe hat mir das mal so erklärt: „Je tiefer man unter die Gürtellinie geht, desto witziger ist das im Nachhinein.“ Ich meine du könntest auch ein Hirschhausen sein, aber du hast dich für diesen kritischen Weg entschieden.
Ich möchte auch wirklich nicht jemand anderes sein. Es ist auch nicht so, dass ich morgens aufstehe und mich frage, wen ich heute mal in die Pfanne hauen kann. Aber wenn ich irgendwo etwas sehe, was mir auffällt, dann bin ich auch jemand, der das relativ deutlich zum Besten gibt. Ob die anderen das hören wollen oder nicht.
Wie ist das denn bei deinen Kindern, wenn die sich gegenseitig mobben oder anecken? Sagst du dann: „Jo, finde ich gut was ihr da macht“?
Wie schon gesagt, ich spiele keine Rolle, auch als Vater nicht. Aber es ist natürlich selbstverständlich, dass man mit Kindern anders umgeht als mit Erwachsenen. Mit den eigenen oder auch mit anderen. Da mache selbst ich Unterschiede (lacht).
Bei deinem ersten öffentlichen Auftritt bei Bärbel Schäfer gab es zwar keinen Applaus, aber man merkte, dass du ein Wadenbeißer bist. Du hast dann versprochen, groß rauszukommen und hast das auch gehalten. War das schon immer in deinem Leben so, dass du einer bist, der sich bis zum bitteren Ende festbeißt?
Also wer als Zeuge Jehovas von Tür zu Tür geht und sagt: „Guten Tag, wir möchten gerne mit Ihnen über die Bibel sprechen“ und dabei die Tür im Gesicht hat und sagt: „Kein Problem, wir sind in vier Wochen wieder da“ den schreckt nichts ab. Das ist eigentlich für die Branche und allem, womit wir zu tun haben, genau das Richtige. Ich habe selten irgendwas hinterhergeschmissen bekommen, ich musste mich besonders am Anfang meiner TV Karriere immer gegen Widerstände durchsetzen. Ich liebe vor allem Anfragen von Firmen, ob man gerne dies oder das moderieren möchte. Dann aber hinterherschieben, dass es gut wäre, wenn man bitte dieses oder jenes nicht sagt. Darauf sage ich im Regelfall, dass sie sich dann besser jemand anderen holen sollen, weil, wenn man etwas Spezielles auch ein bisschen authentisch haben möchte, sollte man die Person nicht zu stark reglementieren.
Du bist also ein Grenzüberschreiter?
Ich würde sagen, dass ich ein Grenzgänger bin. Dabei bleibt es nicht aus, dass man auch mal eine Grenze überschreitet. Ich traue mich eben auch auf das dünne Eis und manchmal knackt es dann auch gewaltig.
Ist das dann nur auf der Bühne so, oder generell in deinem Leben?
Auch hier muss ich mich wiederholen, vor und hinter der Kamera bin ich die nahezu gleiche Person. Wenn Leute sagen, „es geht nicht“, zu hinterfragen, warum es eigentlich nicht doch gehen könnte, ist ein Automatismus bei mir, den ich auch nicht ausschalten möchte.
Du hast in Hannover eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann gemacht, auch nachdem du zu der Zeit schon deine Leidenschaft fürs Unterhalten gefunden hattest, oder?
Ja, ich bin zur Schulzeit als klassischer Klassenkasper großgeworden. Das war schon von vornerein immer etwas, was mich interessiert und begleitet hat. Versicherungskaufmann habe ich nur gelernt, weil meine Mutter gesagt hat, dass ich etwas Anständiges lernen soll. Für mich war auch klar, dass ich nicht aufs Gymnasium gehen wollte, um danach zu studieren. Die drei Jahre wären für mich verschenkte Zeit gewesen. Zur Schulzeit war ich zugegebenermaßen nicht der fleißigste und habe immer nur mit dem nötigsten Aufwand gearbeitet. Auch meine Ausbildung habe ich nur mit einer Vier beendet. Das war alles wie beim Hochsprung. Nach dem Motto: Gerade drüber reicht ja auch. Zu der Zeit hatte ich aber auch schon angefangen, parallel als DJ aufzulegen. Ich hatte meine ersten Stand-Up-Aufritte, habe bei einem öffentlichen Kanal fürs Radio gearbeitet und war vorher beim Krankenhausradio. Jedes Jahr habe ich meine Bewerbungen zu Viva und MTV geschickt. Damals gab es noch kein YouTube, man musste wirklich noch klassisch mit einer Videokamera etwas filmen und sich bewerben. Für mich war aber immer irgendwie klar, irgendwas wird beim Fernsehen vor der Kamera klappen. Andere haben mich damals für „verrückt“ gehalten. Das ist wahrscheinlich auch heute noch so, aber aus ganz anderen Gründen (lacht).
Irgendwann gab es ja den Punkt, an dem du dich vollends der Unterhaltung verschrieben hast. Liebst du diesen Beruf? Das kann man wahrscheinlich gar nicht mehr als Beruf bezeichnen, sondern das ist wahrscheinlich einfach deine Lebensart. Oder trennst du da was?
Es ist eine absolute Lebensqualität, dass ich meinen Job einfach gerne mache. Weil ich auch in der „normalen“ Berufswelt gearbeitet habe und weiß, was es heißt, auf die Uhr zu gucken und runterzuzählen oder andere für sich ausstempeln zu lassen, um schon um vier gehen zu können, aber noch offiziell bis um fünf dagewesen zu sein. Ich habe noch Zivildienst im Behindertenfahrdienst beim ASB geleistet und kenne auch den Schichtdienst mit allem Drumherum. Ich weiß wirklich, was es heißt, sich irgendwie ins Wochenende zu retten, auf Urlaub zu hoffen und eigentlich keinen Bock zu haben, auf das, was man macht. Deswegen weiß ich sehr zu schätzen, dass ich das, was ich mache, wirklich gerne tue. Klar gibt es auch in meinem Job mal Sachen, die nervig und hier und da anstrengend sind, aber das gehört einfach zum Leben dazu. Auch meine finanzielle Situation mache ich mir regelmäßige bewusst. Teilweise hätte ich früher Monate für das arbeiten müssen, was ich heute mit wenigen Auftritten verdiene. Ich finde es wichtig das nicht zu vergessen.
Du hast ja gerade über Geld gesprochen. Spätestens mit deiner Beteiligung an Brainpool wurdest du zum Unternehmer. Wie wichtig ist dir Einfluss und Geld?
Einfluss ist mir bei der Arbeit vor allem inhaltlich wichtig. Um Einfluss zu bekommen hilft Geld natürlich, auch wenn es nicht der einzige Weg ist mitentscheiden zu können. Finanziell ist die beste Situation, wenn einem die Sachen gehören, die man hat und man schuldenfrei und unabhängig agieren kann. Das habe ich halt immer beherzigt und nie irgendwelchen durchgeknallten Kram gemacht, auch was Aktien und Ähnliches betrifft. Als damals, im Jahr 2000, Viva an die Börse gegangen ist, kamen alle mit Vorzugsaktien an und die sind alle in den Keller gegangen. Ich habe auch Zweifel, wenn ich jetzt zum Beispiel sage: „Apple ist der Shit“ ob dann nicht morgen ein riesen Skandal aufgedeckt wird und es geht alles in den Keller. Oder du sagst „Gold, here we go“ und auf einmal stürzt Gold einfach nur so ab. Deswegen habe ich eher in Immobilien oder Firmen, mit denen ich arbeite, investiert. Ich bin keiner, der sich am nächsten Start-up-Unternehmen beteiligt.
Wie verändert sich denn dieses lineare Fernsehen? Du hast vorhin schon YouTube angesprochen und hast selber einen großen YouTube-Kanal. Auf der anderen Seite hast du dann typische TV-Shows.
Von einem großen YouTube-Kanal bin ich weit von weg. Man stellt die Sachen natürlich online und muss heutzutage auch sehen, dass man die Rechte davon hat. Social Media ist einfach eine Möglichkeit, sich einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen. Das war früher auch prominenten Menschen nur durch ein Interview möglich, heute kann das jeder selbst über die verschiedenen Social Media-Kanäle in die Hand nehmen. Wenn ich etwas loswerden will, poste ich es einfach schnell. Klar verändert sich dementsprechend das Fernsehen. Alleine das Geld ist nicht mehr so vorhanden wie früher. Die Werbeeinnahmen teilen sich heute anders auf. Heute geben die Firmen auch Geld für einen Post aus, in dem man sagt: „Hallo, trinkt doch auch diesen Tee hier oder macht doch auch hier Urlaub wo ich gerade bin.“ Es gibt andere Geschäftsfelder und es ist viel breiter geworden. Das klassische Fernsehen an sich hält immer noch zu sehr an seiner eigenen Rolle fest und verliert dadurch rasant den Anschluss.
Aber die merken das doch auch und kaufen YouTube-Kanäle?
Ja, aber ich bin immer noch sehr erstaunt, mit welcher Arroganz dem Zuschauer gegenüber den Fernsehsendungen im Studio zumindest teilweise produziert werden. Das man die Zuschauer für fünf Stunden mit einer Flasche Wasser, die es nach vier Stunden gibt, einfach hinsetzt. Das funktioniert vielleicht bei Aufzeichnungen außerhalb der Metropolen, weil die Leute froh sind, dass mal was anderes los ist. Aber ich frage mich wirklich, wie lange die Menschen in Köln noch zu Fernsehsendungen montags um 16 Uhr rausfahren werden. Damit das weiter funktioniert muss den Zuschauern auch etwas geboten werden, sonst sitzen bald nur noch Komparsen im Publikum die dafür Geld bekommen. Im werbefinanzierten Markt sieht man bei den Privaten, wie der Kuchen immer kleiner wird und die Quoten sich auch immer mehr verteilen. Es ist diese Fragmentierung, die auch in Amerika extrem zu sehen ist, wo man 60 Sender hat und jede kleine Randgruppe kann sich Ihren Kram angucken. Aber es gibt nicht mehr die Ereignisse, dass sich zehn Millionen Leute eine Unterhaltungsshow angucken. Die Zeiten sind vorbei. „Wetten, dass..?“ ist nicht mehr und es wird auch keine Unterhaltungsshow mehr geben, die sich sieben, acht Millionen Leute angucken. Das Dschungelcamp ist mittlerweile die größte Unterhaltungsshow und die gibt es nur einmal im Jahr für 14 Tage.
Könntest du dir vorstellen, dass du über deinen YouTube-Kanal irgendwann mal mehr Zuschauer generieren kannst, als über das Fernsehen?
Ich mache ja beides. Ich bin nicht der klassische YouTuber, dafür bin ich aus der Zielgruppe raus. Ich habe am Anfang mal eine Kooperation mit der ProSiebenSat.1 Media SE gehabt, Q&As und andere Sachen gemacht und regelmäßig gepostet. Ich bin da aber raus, weil ich gar keinen Bock habe, den Leuten zu zeigen: „Hey Leute huhu, ich bin im Urlaub. Hey, wow, hier wohne ich und das ist mein Auto und kommt vorbei“, und dabei Leuten vorzuspielen, dass man wirklich Interesse hat, damit die einen über alles lieben und bitte auch im Idealfall vor der Tür stehen und klingeln. Das bin ich einfach nicht.
Du hast jetzt dein neues Bühnenprogramm #pocher #socialmediabitch und da bist du den Leuten sehr nahe. Magst du Menschen, suchst du die Nähe und pflegst du viele Freundschaften?
Ich mag es einfach auf der Bühne zustehen. Ich bin die klassische Rampensau. Vor wie vielen Menschen ich dabei stehe ist relativ nebensächlich. Selbstverständlich mag ich Menschen, wenn auch nicht alle, das ist klar (lacht). Ich habe einen recht großen Bekanntenkreis was in der Branche nicht ausbleibt und bin grundsätzlich lieber in Gesellschaft als für mich alleine. Freunde aus meiner Zeit vor dem Fernsehen habe ich tatsächlich auch noch, wenn auch nur sehr wenige. Aber ja, ich bin schon jemand der in regelmäßigen Abständen bei meinem Umfeld anruft und mal hört was es so Neues gibt. Was den direkten Kontakt zum Publikum angeht bin ich keiner, der sich gerne anbiedert. Wenn mich jemand anspricht, bekommt jeder, der normal fragt, ein Foto. Egal, ob ich gerade nach dem zehn Stunden Flug aus dem Flieger steige oder irgendwas anderes. Wer nett und höflich ist, bei dem habe ich auch kein Problem, wenn er mich anspricht. Ich verstecke mich nicht oder gehe mit Securities aus dem Haus. Andersherum rufe ich aber auch nicht aktiv zu Autogrammstunden auf. Ein gesundes Mittelmaß ist da für mich die perfekte Lösung.
Ist deine Unterhaltungsleidenschaft mehr aus der Perspektive, dass du das gerne machst oder dass die Leute darauf reagieren? Also machst du das in erster Linie eher wegen dir oder wegen anderen?
Beides. Sobald ich Publikum habe und einer lacht, ziehe ich das auch knallhart Gag mäßig durch. Manchmal reicht es auch schon, wenn ich gelacht habe. Von daher reichen schon zwei Personen im Raum und ich find’s lustig, dass ich mich über irgendwas lustig mache. Das ist natürlich auf der Bühne perfekt, wenn man die Reaktionen sieht und das Publikum reagiert und lacht. Da weiß man, dass man auf dem richtigen Weg ist und dann geht das auch immer so weiter. Das funktioniert bei mir eigentlich schon ab dem Aufstehen nach diesem Prinzip. Ich bin jetzt nicht dieser rotweinschwenkende, vor dem Kamin sitzende, latent Depressive, der sich irgendwie auf diese Bühne schleppt und dann versucht, da irgendwas aus den Leuten rauszuholen. Mich dürfen die Sachen, die ich mache, selber nicht langweilen, deswegen gehe ich auch nicht ständig auf Tour. So 100 Termine im Jahr zu spielen, habe ich am Anfang gemacht, aber irgendwann hast du jede Halle vier Mal gesehen und die Abläufe sind wie bei Filmen oder Serien genau dasselbe. Wenn es mich persönlich nicht mehr interessiert oder langweilt, dann mache ich halt auch mal eine Sendung nicht mehr. Wenn man alles gemacht hat, dann macht man halt das nächste. Wenn es Sachen teilweise nicht mehr gibt, kommen neue Sachen. Irgendwie geht es immer weiter.
Hast du so eine grundlegende Erfolgsphilosophie, der du immer versuchst, treu zu bleiben?
Ne, ich habe auch nie ein Lebensmotto gehabt. Erstmal ist es wichtig grundsätzlich das zu machen, was einem Spaß macht. Ich glaube, dass merken die Leute auch und haben Spaß daran, wenn sie das auf der Bühne sehen. Ich mache das fast 20 Jahre und habe schon das Gefühl und die Gewissheit, dass ich es auch noch die nächsten 20 Jahre machen kann. Auch wenn es mal ein paar Rückschläge gibt darf man nicht gleich nervös werden und alles und jeden in Frage stellen. Ich versuche auch in Krisensituationen so gelassen wie möglich zu bleiben. Ich habe keine Zukunftsängste, diese gewisse Entspanntheit hilft mir dabei. Viele sind so verkrampft und haben Angst, nicht mehr da zu sein oder nicht mehr stattzufinden. Damit muss man umgehen können, auch ich. Es gibt immer Leute, die spielen in größere Hallen oder spielen erfolgreicher oder haben mehr Fernsehsendungen. Da muss man einfach für sich selber sagen, dass es genug Sender und genug Fläche gibt und sich darauf konzentrieren. Natürlich vergleicht man sich und ich sehe andauernd Sachen, von denen ich sage, das kann ich besser. Manche Leute sind sehr negativ und grundfrustriert, das bin ich nicht. Ich habe einen gesunden Ehrgeiz und möchte auch alles bestmöglich machen. Aber wenn etwas nicht klappt oder Sendungen abgesagt werden, ist das halt so, dann kommt etwas Neues. Es gibt auch nicht dieses Erfolgsrezept. Wenn man gut ist in seinem Job, egal wo, wird man auch früher oder später immer erfolgreich damit sein. Viele Leute sagen: „Das was der kann, kann ich auch.“ Ich sage dann immer: „Ja bitte, geh hin und trete auf.“ Heutzutage hat man ja mit YouTube und Social Media die Möglichkeit, sich selbst darzustellen. Man braucht nicht unbedingt einen Fernsehsender. Ich kann mich hinstellen, jeden Tag lustig irgendwelche Insta-Stories machen und könnte meinen Senf abgeben. Auch wenn ich Themen anstoßen will, ich weiß ja, mit welchen Posts ich welche Reaktionen auslöse, also schreibe ich über diverse Personen ausführlicher und weiß, dass es dementsprechend eine Reaktion gibt. Es gibt nicht nur Fernsehen, da gibt es andere Möglichkeiten und damit wird man auch immer wieder Geld verdienen.
Julien Backhaus und Oliver Pocher, beim Interview für die ERFOLG Magazin Ausgabe 04/2018
Bildquellen: Svea Mühlfahrt von Benjamin Kurtz Fotografie