Oprah Winfrey ist US-Moderatorin, interviewt weltberühmte Gäste, ist für Millionen von Landsleuten die Stimme Amerikas, war 2018 deren Wunschkandidatin für das US-Präsidentenamt, gilt als weltweite Ikone und Rolemodel, sie ist Autorin, erfolgreiche Medien-Unternehmerin, Investorin, großzügige Philanthropin und sie ist Milliardärin. Das ist die beeindruckende Liste von Bezeichnungen, die sich die nun 70-Jährige im Laufe der Jahre erarbeitet hat. Eine Über-Frau?
Oprah Winfrey stammt nicht aus einem Umfeld, das ihr Geld, Einfluss und Netzwerke bietet. Ihre Eltern sind minderjährig, als Winfrey am 29. Januar 1954 in Kosciusko, Mississippi zur Welt kommt. Sie hat eine sehr schwere Kindheit und Jugend, über die sie auch in der Öffentlichkeit spricht. Sie wächst bei Mutter und Großmutter auf, erfährt körperliche und psychische Gewalt. Mit 14 Jahren wird sie schwanger, das Kind stirbt. Drogen und Alkohol drohen das Leben der jungen Frau zu zerstören.
Mit Disziplin nach oben
Erst, als Mutter und Großmutter sie zu ihrem Vater nach Nashville schicken, ändert sich ihr Leben. Er vermittelt ihr Disziplin und Selbstvertrauen. Sie rappelt sich auf, wird eine gute Schülerin, holt auf, studiert mithilfe eines Stipendiums an der Tennessee State University Kommunikationswissenschaften, Schauspiel und Rhetorik. Erste Karriere-Schritte macht sie als 19-Jährige bei einem kleinen Radiosender und einem lokalen Fernsehsender als Nachrichtensprecherin, Reporterin und Co-Moderatorin. Sehr schnell stellt sich Erfolg ein, die Zuschauer mögen sie. Der Sender reagiert und die Show »AM Chicago« wird im Jahr 1984 in »The Oprah Winfrey Show« umbenannt, nach anhaltendem Erfolg dann einfach in »Oprah«. Die wöchentlich ausgestrahlte Sendung wird zu einem TV-Ereignis, ist die bei Weitem erfolgreichste Talkshow im amerikanischen Fernsehen – mit bis zu 21 Millionen Zuschauern in 105 Ländern. Oprah Winfrey schafft es, ihren vielfältigen Themen und den zunehmend prominenten Gästen Tiefgang zu verleihen, was die Zuschauer in ihren Bann zieht, sie fühlen sich angesprochen. Das mag ihrer außerordentlichen Lebenserfahrung geschuldet zu sein, aber auch ihrer natürlichen Gabe: »Für mich war Reden so einfach wie Atmen«, hat sie Medien gegenüber gesagt. Da macht es auch keinen Unterschied, ob ihr wie einst Michael Jackson oder Superstar Adele gegenübersitzen.
2011 ist Schluss mit »Oprah« – auf Winfreys eigenen Wunsch. Sie beginnt eine weitere Episode ihrer TV-Karriere: die Show »Oprah’s Next Chapter«. »Nach 25 Jahren bin ich aus den Studio-Sesseln herausgekommen. Ich habe das nächste Kapitel aufgeschlagen, und ich werde mehr Spaß haben als je zuvor – durch das Land und rund um die Welt reisen, mit Leuten sprechen, die ich wirklich kennenlernen möchte und ich denke, die Zuschauer auch«, verkündet sie zum Start der Show im Jahr 2012. Ihre Interviews setzen weiterhin Maßstäbe. Jüngstes Beispiel ist das Gespräch mit Prinz Harry und seiner Frau Meghan im Jahr 2021, das in 68 weiteren Ländern ausgestrahlt wird und mit royalen Enthüllungen für einen Skandal sorgt. Ihre Interviews sind ein Herzensprojekt Es ist nicht nur ihre Popularität, die sie so erfolgreich macht. Oprah Winfrey ist weniger eine gut gestylte Moderatorin, die Fragen für vorhersehbare Antworten stellt. Sie ist vielmehr ein Mensch, der viel erlebt hat und anderen eine Stimme gibt, vor allem »normalen« Menschen, die nicht auf der Sonnenseite leben.
Die Kunst des Interviews
Ihren prominenten Gästen wiederum entlockt sie menschliche Geschichten hinter der schillernden Fassade. Sie vermittelt in ihren Interviews Nähe und echtes Interesse an jedem Einzelnen. Bei einem Gastauftritt auf Einladung der Stanford Graduate School of Business gibt sie sich bodenständig und geerdet und erklärt den jungen Zuhörern, dass alles, was von ihr komme, aus ihren Inneren komme. Sie sehe keinen Unterschied zwischen ihr und dem Publikum, »deswegen kann ich jeden interviewen, egal, wen«. Im Vorwort zu dem Buch »Was ist dein Schmerz?«, das sie gemeinsam mit dem Kinderpsychiater Bruce D. Perry verfasst hat, sagt sie, dass sie in ihrer Karriere sehr viele Menschen kennengelernt habe, die »am Boden zerstört« sein müssten, aber dennoch mit aller Kraft das Beste aus ihrem Leben machen. Sie schreibt, der einzige Talkgast, mit dem sie sich jemals angefreundet habe, sei der Junge Mattie Stepnaik gewesen, der trotz seiner tödlichen Erkrankung einen Weg gefunden habe, seinen Frieden damit zu schließen und den Menschen mit seiner Weisheit etwas gegeben zu haben.
Sie selbst versucht nie zu verbergen, welches Schicksal sie erlitten hat. Vielleicht ist das ihr Geheimnis: Sie hat Empathie für Menschen, die auch traumatische Einschnitte in ihrem Leben ertragen müssen. Sie engagiert sich hierfür außerordentlich und erreicht Außergewöhnliches: Sie setzt sich 1991 vor dem Justizausschuss des Senats für eine nationale Datenbank zur Suche nach Kinderschändern ein und überzeugt. Am 20. Dezember 1993 unterzeichnet der damalige Präsident Bill Clinton das sogenannte »Oprah-Gesetz«. Mit diesem Gesetz, das offiziell »National Child Protection Act« heißt, wird ein nationales System zur Überprüfung des kriminellen Umfeldes etabliert. Es folgen weitere soziale Engagements, für die sie auch zahlreiche Auszeichnungen erhält.
Ein Lebenswerk
Die Karriere von Oprah Winfrey ist selbst für 70 Jahre ein beeindruckendes Zeugnis von Leidenschaft, starkem Willen, Engagement und unternehmerischer Energie. Hinzufügen kann die vielseitige Persönlichkeit zu all dem noch eine Oscar-Nominierung im Jahr 1985 für die beste weibliche Nebenrolle in Steven Spielbergs Rassismus-Drama »Die Farbe Lila«. Bei der Verfilmung von Toni Morrisons Roman »Menschenkind« spielte sie 1998 die Hauptrolle und wirkte als Produzentin mit. Luxusleben und Großzügigkeit Oprah Winfrey lebt auf einem 100-Millionen-Dollar-Anwesen; sie scheint den Luxus ihres unvorstellbaren Reichtums zu genießen.
Sie ist aber auch eine großzügige Philanthropin. Laut der Zeitschrift Business Week führte sie 2005 mit einem geschätzten Spendenvolumen von 300 Millionen US-Dollar die Liste der spendabelsten Philanthropen an. 2004 gründete sie die »Oprah Winfrey Leadership Academy for Girls« in Südafrika, eine Schule für benachteiligte Mädchen aus verarmten Verhältnissen. Hierfür soll sie 40 Millionen US-Dollar eingesetzt haben. 2010 belegte sie in der Forbes-Liste »The World’s Most Powerful People« Platz 64. Im Jahr 2002 wurde ihr bei der Emmy-Verleihung der allererste »Bob Hope Humanitarian Award« für nachhaltigen Einfluss auf die Gesellschaft verliehen.
Der Einfluss von Oprah Winfrey in den USA ist enorm. So enorm, dass die Menschen sie als Präsidentin der USA sehen und sich wünschen, dass sie 2018 dafür kandidiert; selbst US-Schauspielerin Meryl Streep hat diesen Wunsch in den Medien geäußert. Doch Oprah Winfrey möchte nicht. In einem Interview mit der »Vogue« sagt sie: »Ich kann nicht in den politischen Strukturen mit all den Unwahrheiten, dem Schwachsinn, dem Mist, der Garstigkeit, dem zweifelhaften Hinterzimmer-Kram existieren.« Klare Worte. Und in einem Hinterzimmer kann man sich eine Frau wie Oprah Winfrey tatsächlich nicht vorstellen.
MK
Bild: IMAGO _ ZUMA Wire
Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe 4/2023 des ERFOLG Magazins erschienen.