Think global – Mein Zuhause ist die Welt

Think global – Mein Zuhause ist die Welt

Ein Gastbeitrag von Dr. Dr. Rainer Zitelmann

Von Hans-Peter Wild haben Sie vielleicht noch nichts gehört, aber Sie kennen sicher das Getränk Capri-Sonne (heute heißt es Capri-Sun). Wilds Vater rechnete ihm vor, dass sein Unternehmen, wenn jeder in der damaligen Bundesrepublik nur eine einzige Capri-Sonne im Jahr trinken würde, 60 Millionen Beutel verkaufen würde. Seine Mitarbeiter hielten solche großen Zahlen für unrealistisch, aber für Hans-Peter Wild waren sie zu klein. Sein Ziel war es, jedes Jahr weltweit mehrere Milliarden Beutel Capri-Sonne zu verkaufen – und er hat dieses Ziel, das die meisten Menschen sicherlich als unrealistisch oder gar unmöglich abgetan hätten, erreicht. Heute gibt es Capri-Sun in über hundert Ländern.

Wild gab sich nicht damit zufrieden, in Deutschland erfolgreich zu sein, er wollte die ganze Welt mit seinem Getränk erobern. »Mein Ziel war schließlich von Anfang an, Capri-Sonne und WILD-Flavors zu Global Players zu machen. Man muss sich Ziele setzen und darf sie, trotz mancher Unwägbarkeiten auf der Strecke, nicht aus den Augen verlieren.«

Warum nicht die ganze Bühne nutzen?

Auch Arnold Schwarzenegger ist ein Beispiel für globales Denken. Bei seinem ersten großen Filmerfolg »Conan der Barbar« schlug das Filmstudio vor, er solle Promotion dafür in Italien und Frankreich machen. Aus seiner Sicht war das lächerlich wenig. Er sagte: »Leute, warum gehen wir nicht systematischer vor? Verbringen wir zwei Tage in Paris, zwei Tage in London, zwei Tage in Madrid, zwei Tage in Rom, und dann fahren wir in den Norden. Dann sagen wir, wir fahren nach Kopenhagen, dann nach Stockholm und dann nach Berlin. Was ist daran falsch?«

Schwarzenegger sah, anders als viele andere Amerikaner, niemals nur die USA, sondern seine Bühne war schon sehr früh die ganze Welt. Sowohl mit Blick auf seine Filme wie auch auf seine Bücher argumentierte er: »Die Vereinigten Staaten machen nur fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, warum sollte man also die anderen 95 Prozent ignorieren?«

Jeder Mensch hat einen geografischen Raum für sein Denken und Handeln. Als ich jung war, hatte ich eine Freundin, für die der Hauptfokus das Dorf mit 3.000 Einwohnern war, wo wir damals wohnten. Sie verreiste manchmal, aber der Bezugsrahmen ihres Denkens und Handelns blieb stets das Dorf. Bei manchen meiner Bekannten aus der Immobilienbranche ist der Bezugsrahmen die Stadt Berlin: Sie interessiert vor allem, was in dieser Stadt geschieht, sie verfolgen intensiv die regionalen Medien.

Mein primärer Bezugsrahmen war in den Jahren bis 2017 stets Deutschland. Meine Firma war deutschlandweit aktiv und ich war ständig in Deutschland unterwegs – Frankfurt, Hamburg, München, Köln und Düsseldorf. Seit einigen Jahren hat sich mein Fokus erweitert. Wenn ich ein Buch schreibe, habe ich nicht nur das deutsche Publikum im Auge, sondern ich denke an die Menschen auf der ganzen Welt. Mein aktuelles Buch »In Defence of Capitalism« erscheint außer in Deutsch in 30 anderen Sprachen beziehungsweise Ländern.

Das macht das Leben für mich interessanter: Ich lerne viele Länder kennen, wo ich zuvor noch nie war, weil ich dort meine Bücher promote. So war ich beispielsweise in vielen chinesischen Städten, ich war in Korea, der Mongolei, Nepal und Vietnam, in Brasilien, Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay und Kolumbien – und ich habe kleine Länder in Europa kennengelernt, die ich zuvor noch nie besucht hatte, zum Beispiel Bosnien-Herzegowina, Georgien oder Albanien. Allein 2022 und 2023 bin ich in 20 Monaten in 30 Länder gereist.

Wenn Sie erfolgreich sein wollen, überlegen Sie, wie Sie Ihren lokalen Fokus erweitern können. Denken Sie bisher nur lokal (also auf Ihre Stadt bezogen) oder national (auf Deutschland bezogen), europäisch oder global?

Früher dachten die meisten Menschen sogar bei ihren Anlageentscheidungen nur im Rahmen ihres eigenen Landes. Anfang der 90er-Jahre zeigten Untersuchungen, dass in den USA 93,8 Prozent, in Japan 98,1 Prozent und in Großbritannien 82 Prozent der von heimischen Anlegern gehaltenen Aktien aus dem Inland kamen. Zwar ist das heute nicht mehr so extrem, aber auch im Zeitalter einer fortschreitenden Globalisierung bevorzugen Anleger den eigenen Heimatmarkt in einer Weise, für die es nur schwer ist, rationale Erklärungen zu finden.

So wie bei einer Fußballweltmeisterschaft viele Bürger eines Landes sich nicht nur wünschen, sondern darüber hinaus auch ganz fest daran glauben, ihre eigene Mannschaft werde gewinnen, so ist das auch bei Investoren. Wissenschaftler fanden sogar heraus, dass amerikanische Fondsmanager jedes zehnte Wertpapier nur deshalb kauften, weil das Unternehmen seinen Sitz in derselben Stadt hatte wie der entsprechende Fondsmanager.

Mehr Geld durch globales Denken

Das zeigt, dass die Investoren den eigenen Heimatmarkt eben nicht nur deshalb bevorzugen, weil sie Währungsrisiken oder politische Risiken in anderen Ländern meiden möchten oder weil sie deren Sprache nicht verstehen: Denn innerhalb der USA gibt es hier ja keine Unterschiede, und dennoch bevorzugten die Fondsmanager Unternehmen mit Sitz in ihrer Heimatstadt.

Der Vergleich mit einer Fußballweltmeisterschaft, bei der der Nationalstolz eine Rolle spielt, wenn man eher glaubt, dass die eigene Mannschaft gewinnt, ist gar nicht so abwegig. Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die ausländischen Anlagen umso geringer sind, je größer der Patriotismus ist. Ein zehnprozentiger Rückgang des Patriotismus in den Vereinigten Staaten, so die Autoren, würde eine Zunahme von 260 bis 440 Milliarden Dollar in ausländische Investments bedeuten. Die amerikanische Regierung erkannte diese Zusammenhänge intuitiv und taufte nach den Anschlägen des 11. September 2001 einen Teil ihrer Staatsanleihen in »Patriot Bonds« um. Das Verkaufsvolumen stieg daraufhin um 43 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wissenschaftler fanden bei zahlreichen Befragungen von privaten und institutionellen Anlegern heraus, dass die jeweiligen Investoren in Bezug auf ihren Heimatmarkt relativ optimistischer waren. Zum gleichen Zeitpunkt erwarteten Briten, Japaner, Amerikaner und Kontinentaleuropäer, dass sich ihr jeweiliger heimischer Aktienmarkt besser als jener der anderen Länder entwickeln würde. Dieses als »Home Bias« bezeichnete Verhalten kostet die jeweiligen Anleger Renditen bzw. erhöht ihr Risiko. Eine Untersuchung zeigte beispielsweise, dass diese Renditeeinbußen zwischen 1,48 Prozent und 9,79 Prozent für verschiedene Märkte betrugen, andere Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, die Renditeeinbuße liege im Schnitt immerhin bei 1 Prozent, wieder andere Untersuchungen ermittelten eine Renditeeinbuße von 0,82 bis 0,95 Prozent. Das klingt vielleicht nicht viel, macht aber beispielsweise über einen Zeitraum von zehn Jahren einen gewaltigen Unterschied.

Wer nur lokal oder national denkt, vergibt beim Geldverdienen Chancen – und auch sonst im Leben.

Der Autor: Dr. Dr. Rainer Zitelmann hat 29 Bücher veröffentlicht, die in mehr als 30 Sprachen erschienen sind. Er schreibt für Medien wie »Wall Street Journal«.

Dieser Gastbeitrag wurde zuerst in der ERFOLG Magazin Ausgabe 02/2024 veröffentlicht.

Bild: IMAGO / ActionPictures