Was Menschen von Hunden lernen können

Starhundetrainer Martin Rütter sprach mit Verleger Julien Backhaus über Hunde, Herrchen und was wir Menschen von den Vierbeinern lernen können.

Martin, du bist Deutschlands bekanntester Hundetrainer, wobei das eher ein Tarnbegriff ist, weil du doch viel eher Menschen trainierst.
Das stimmt, der Begriff wäre nur zu lang gewesen für eine Fernsehsendung. Eigentlich müsste man sagen »Profi im Erklären von Hunden für Menschen«, aber das wäre zu lang gewesen. Aber du hast recht. Der Begriff Hundeschule ist schon falsch, weil ich Menschen erkläre, wie ein Hund funktioniert oder worauf man achten muss.

Bis heute haben über 1,5 Millionen Menschen deine Liveshows besucht. Ein Großdenker bist du schon immer oder?
Absolut, ich kenne nur »vorne rechts ist Gas«. So ein Mittelding ist nicht meins und das ist tatsächlich in allen Lebenslagen so. Auch privat muss immer Dampf drinnen sein, sonst funktioniert das bei mir nicht. Ich habe ursprünglich mal Sportjournalismus studiert und schon immer alles mit Vollgas gemacht. Ich weiß noch, als wir Studenten angehende Fußballlehrer rhetorisch geschult haben, indem wir Interviews mit ihnen gemacht haben. Das waren die Leute, die später Trainer werden. Dann bekamen wir eine Liste und wir Studenten durften uns jemanden aussuchen. Bei mir war eben der prominenteste dabei, Bernd Schuster. Und alle meinten; »Oh, der Schuster, lieber nicht. Der gilt als schwierig.« Aber ich fand das gerade geil und es war ein super Erlebnis, dem eine Dreiviertelstunde Fragen zu stellen und hinterher zu zeigen, wie er sich verhalten hat. Das fand ich spannend – ich habe schon immer Bock auf groß.

Gibt es noch Dinge, die du verändern möchtest?
Eigentlich nicht. Seit zehn Jahren antworte ich auf die Frage, was noch kommt: »So bleiben wäre schon geil.« Es ist alles sehr schön und luxuriös und macht einen irrsinnigen Spafl. Seit vielen Jahren kommen immer wieder welche und schlagen vor, dass ich mal im Stadion spielen soll. Ich muss aber dazu sagen, dass ich eigentlich alle Wortkünstler, die ich in einem Stadion gesehen habe, ziemlich langweilig fand. Da denke ich mir jedes Mal: »Wow, ich kenne die Person aus einer Halle und da ist viel mehr Druck hinter«. Im Stadion ist das ganz anders, da verpufft das alles. Es funktioniert natürlich, weil ein Event drumherum gebaut wird, aber inhaltlich ist das sehr dünn. Wir haben Kontakt zur Schalke Arena, die das gerne machen möchten und alle reden seit einem Jahr auf mich ein. Aber bisher war noch kein gutes Argument dabei.

Aus Martin Rütter ist ein richtig großer Laden geworden: 16 Bücher, Platin Alben, seit über 15 Jahren TV-Shows, Liveshowsund 100 Hundeschulen. Dadurch schafft man es, sich ein stückweit zu verewigen und ist doch auch stolz darauf oder?
Ja total, auch wenn ich viel Gas gebe, bin ich jemand, der sehr nah am Wasser gebaut ist. Bei Tourneen gibt es ein Ritual, den sogenannten »Fools Day«. Das ist immer die letzte Show auf einer Tour und da darf die Crew jeden Blödsinn machen, den man sich ausdenken kann. Bei mir ist es aber immer so, dass ich bei der letzten Veranstaltung sehr melancholisch bin. Deswegen sage ich der Crew: »Pass auf, wenn wir 200 Termine spielen, könnt ihr ruhig 199 davon »Fools Day« machen, aber nicht am letzten Tag.« Beim letzten Mal war es ganz schlimm. Mir ist wirklich eine Träne rausgerutscht auf der Bühne. Ich freue mich zwar auf die neuen Projekte, aber es ist, als ob eine Klassenfahrt, die drei Jahre dauerte, zu Ende geht. Ich bin stolz auf das, was passiert. Es wirkt immer so, als wäre ich ein Einzelkämpfer, aber das ist überhaupt nicht der Fall. Ich mag Kontinuität, deswegen ist die Crew mit Sicherheit schon seit zehn Jahren die selbe. Und bei mir im B¸ro haben wir glaube ich 40 Leute und einige davon kenne ich seit 35 Jahren. Das mag ich sehr, weshalb ich auch nicht von Sender zu Sender springe und meine B¸cher schon seit Ewigkeiten vom gleichen Verlag rausbringen lasse. Wenn das Buch erfolgreich ist, dann kommt nat¸rlich jedes Jahr ein neuer Verlag und bietet mehr Geld, aber ich mag diese Kontinuität einfach. Auch weil ich glaube, dass die Leute, bei denen das so schnell geht, auch schnell vergessen, wer dazu beigetragen hat. Nächstes Jahr haben wir zum Beispiel zehnjähriges Jubiläum bei Vox und gerade in der Fernsehbranche kommt jedes Jahr ein neuer Sender mit einem großen Koffer voller Geld an. Aber ich finde es geil bei Vox, da redet mir keiner mehr rein und ich kann meine Arbeit machen. Um auf deine Frage wieder zurückzukommen: Verewigen ja, aber immer als Gemeinschaftsproduktion.

Wir Menschen können uns scheinbar auch bei Hunden etwas abgucken. Zum Beispiel habe ich gelesen, dass nicht immer der Aggressivste automatisch der Chef im Rudel ist.
Überhaupt nicht. Es ist übrigens bei den Menschen genauso, denn wir verwechseln Dominanz mit Aggression. Im Rudel kann man sagen, angenommen es gibt fünf Hunde in diesem Rudel, dass die Nummer zwei in der Rangordnung der aggressivste ist, weil der es am schwersten hat. Die Nummer eins nimmt die zwei nicht für voll und drei, vier und fünf sehen, dass die zwei gar nicht für voll genommen wird. Das ist ein bisschen das Phänomen von dem Abteilungsleiter, der seine Truppe zwar zusammenhalten muss, aber alle merken: Wenn der Chef kommt, dann ist schon wieder die Luft raus. Bei Hunden ist es tatsächlich so, dass Intelligenz und eine souveräne Entscheidung zu treffen, viel mehr zählen. Was bei Menschen exakt genauso ist. Ich habe wahrscheinlich 180 verschiedene Referenten gehört und diejenigen, die immer schnell aus der Hose springen, wenn eine kritische Frage kommt, waren immer die Pfeifen. Bei Hunden kann man sagen, dass statistisch die Ranghöchsten auch die am wenigsten aggressiven Tiere sind. Wenn die dann aber Gas geben, dann geben die richtig Gas.

Hunde sind schnell im Vergessen, oder?
Das kann ich so nicht bestätigen. Die erste Hündin, die ich hatte, Mina, wurde mit vier Monaten von einer Boxerhündin schwer angegangen. Mina war 13 Jahre ohne Pause schlecht zu sprechen auf diesen Hund, da war nichts vergessen. Natürlich leben Hunde mehr im Hier und Jetzt, aber die vergessen nicht, wenn sie zum Beispiel zehn Stunden alleine waren oder jemand blöd zu ihnen war. Es gab in Australien einen interessanten Versuch, da hat man zehn Welpen, die vier Wochen alt waren, für einen ganzen Tag zehn verschiedenen Menschen zugeteilt, die positive Erlebnisse erzeugen sollten. Dann sechs Jahre keinen Kontakt mehr zu diesen Menschen und alle zehn Hunde haben ganz eindeutige Wiedererkennungsmerkmale gezeigt, als sie diesen Menschen erneut begegnet sind. Genau wie das Phänomen des Züchters, der Jahre später seine Welpen wieder sieht und die Hunde sind immer noch auf 180 vor Freude.

Gibt es irgendeinen Nummer eins Tipp, was sich Menschen von Hunden abgucken sollten?
Ja, gelassen zu bleiben. Ich habe fünf Kinder und hatte mich schon vorher sehr intensiv mit Hunden beschäftigt. Das hat mir geholfen zu sehen, dass 95 Prozent der Maßregelungen von Hund zu Hund ignorierendes Verhalten ist. Also du siehst, dass eine Mutter genervt von ihren Welpen ist und die steht auf und geht. Die fährt da nicht dreimal am Tag voll drüber. Und wir Menschen glauben sehr schnell, dass wir eine Konfrontation suchen müssen. Hunde können Sachen gut aushalten. Ich habe einige Videos, wie erwachsene Hunde im Sand liegen und dösen und Welpen rennen bellend drumherum. Das ist glaube ich auch der Grund, warum ich sehr gut die Pubertät meiner Kinder aushalten kann. Ich finde das wahnsinnig cool, wenn die jetzt flügge werden. Der Große ist  eh schon ausgezogen und reist durch die Welt. Aber der Kleine – wenn du dem sagst, dass er mal den Müll runterbringen soll und er sagt: »Chill mal Papa«, dann tangiert mich das emotional nicht. Ich fühle mich dann nicht persönlich angegriffen, weil ich weiß, dass es vorbeigeht und wenn ich jetzt einen Streit anfange, gibt es nur Verlierer. Und Hunde können Sachen gut aussitzen. Ich glaube, das kann man von ihnen lernen.

Danke für das Gespräch, Martin!

Beitragsbild: Jessica Wilkens

 

Dieses Interview ist in der ERFOLG Magazin Ausgabe 02/2018 erschienen.