Thorsten Schwack Stratavis New Work

»Wer ›old school‹ ist, wird förmlich abgehängt«: Warum New Work kritikwürdig ist

Flexible Arbeitszeiten, eine Duz-Kultur im Unternehmen sowie eine ausgewogene Work-Life-Balance: All das können Unternehmen meinen, wenn sie von New Work sprechen. Ist New Work nun ein innovatives Konzept, das zu motivierteren Mitarbeitern und größerem Unternehmenserfolg führt, oder bewirkt es eher das Gegenteil? Als Gründer und Geschäftsführer des Hamburger Weiterbildungsinstituts STRATAVIS erhält Thorsten Schwack regelmäßig detaillierte Einblicke in Unternehmen verschiedenster Branchen. In unserem Interview erläutert er, warum er die derzeit große Beliebtheit des New-Work-Mindsets kritisch sieht.

Herr Schwack, der Begriff »New Work« hat eine lange Geschichte; in seiner ursprünglichen Bedeutung geht er auf den Sozialphilosophen Friethjof Bergmann zurück. Über die Zeit hat sich »New Work« allerdings zu einem regelrechten Buzzword entwickelt, dementsprechend unscharf ist seine Bedeutung. Was verstehen Sie unter dem Begriff?

Genau das ist der Punkt: New Work hat sich einerseits zu einem Buzzword entwickelt und andererseits weiß kaum jemand, was sich exakt hinter diesem Ansatz verbirgt. Es reicht von der Idee, Arbeit für einen Teil der privilegierteren Arbeitnehmer noch schöner und komfortabler zu gestalten bis hin zu der Haltung, dass New Work die Antwort darauf ist, wie Veränderungsprozesse in Wirtschafts- und Arbeitswelt gestaltet werden müssen, damit Menschen zukünftig noch selbstbestimmter und sinnstiftender Arbeit verrichten.

Thorsten Schwack New Work

Für mich ist New Work keine Blaupause und keine ultimative Allzweckwaffe mit Erfolgsgarantie, sondern eher eine sehr grobe Skizze dessen, was für einige Unternehmen funktionieren kann und für andere nicht. Der Ansatz liefert eben keine frischen Erkenntnisse aufgrund neu auftretender Phänomene in unserer Arbeitswelt. Seitdem die Wirtschaftswelt existiert, gibt es Transformationsprozesse mit erheblichen Anpassungserfordernissen für beide Seiten – Unternehmen und Arbeitnehmern. Daraus ergibt sich auch die Frage, wer sich innerhalb dieser Wandlungsprozesse in welchem Ausmaß und zu welchem Zweck anpasst. Das Unternehmen den Mitarbeitenden? Oder ist es umgekehrt der Fall?

Gerade in Verantwortung für ein Unternehmen ist es unerlässlich, dieses ideale Szenario einer selbstbestimmten und sinnstiftenden Arbeitswelt mit der eigenen Unternehmensrealität abzugleichen und dabei das eigene Organisationsziel im Blick zu behalten. Die ehrliche Beantwortung der Frage, was für das jeweilige Unternehmen tatsächlich auch leistbar ist, vor allem auch im Hinblick auf die eigene, sehr individuelle Unternehmenskultur, gehört eben auch dazu – gerade, weil Unternehmen ja keinem Selbstzweck dienen, sondern der Wertschöpfung verpflichtet sind.

In unserem Vorab-Gespräch äußerten Sie sich bereits kritisch über das Konzept. Sie sagten beispielsweise, eine Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden fehle meistens. Können Sie konkrete Aspekte nennen, die Sie für kritikwürdig halten?

Der Begriff New Work ist in den letzten Jahren zu einer Mainstreamthematik gehypt worden, hat sich zunehmend zu einem Narrativ entwickelt und ist in der Business- und HR-Welt kaum mehr wegzudenken. Wer »old school« ist, wird förmlich abgehängt. Gerade auch im Recruitingprozess sind für Unternehmen die Effekte einer neu definierten Arbeitswelt, die für Arbeitnehmer sehr viele Freiheiten bietet, deutlich spürbar. Es ist eine Erwartungshaltung entstanden, die viele Unternehmen schlichtweg nicht erfüllen können. Neue Formen der Zusammenarbeit beschäftigen uns alle, direkt oder indirekt, freiwillig oder unfreiwillig und auch in einem unterschiedlichen Ausmaß. Remote Work zum Beispiel hat durch die Pandemie gehörig an Tempo zugelegt: Im wahrsten Sinne des Wortes zieht New Work in unsere Privaträume ein, strukturiert unseren Arbeitsalltag neu und designt unter Umständen unsere Büroräume zu hochmodernen Arbeitsumgebungen. Das mag für einen Mitarbeitertypus erstrebenswert sein, aber eben längst nicht für alle.

In traditionell hierarchisch aufgebauten, gut funktionierenden Unternehmen werden New Work-like herkömmliche Führungsstrukturen in Frage gestellt und hinsichtlich möglicher Optimierungschancen reduziert oder gar abgeschafft. Enthierarchisierungspotenziale werden ausgeschöpft, partizipative Entscheidungsmechanismen entwickelt und Formen der Selbstorganisation kreiert beziehungsweise umgesetzt, unabhängig davon, ob diese Schablone zu der jeweiligen Unternehmenskultur und den vorhandenen Ressourcen passt. Meines Erachtens bleibt damit die entscheidende Frage von Wirksamkeit und Wertschöpfung unbeantwortet.

Auch die Frage nach Sinnstiftung von Arbeit gerät im Zuge dessen immer mehr in den Fokus, ungeachtet möglicher Grenzen der Selbstreflexions- und Selbstoptimierungsansprüche von Mitarbeitern. Nicht jeder ist dafür geschaffen, die Sinnfrage zu stellen oder sich stetig zu optimieren, um seine Aufgaben schneller oder kreativer als andere zu bearbeiten. Auch agile Arbeitsmethoden sind nicht für jeden Mitarbeitertypus geeignet. Es gibt auch Menschen, für die Arbeit nicht mehr als das Bestreiten des Lebensunterhaltes ist und die sich, auch gerade nach Erfahrungen im Homeoffice, bewusst für Präsenzzeiten im Büro entscheiden – auch, weil sie sich eine strikte Trennung von Arbeits- und Privatleben wünschen. Zudem blendet die doch recht philosophische Fragestellung aus, dass bei Mitarbeitenden auch nüchterne Fakten, wie Arbeitsbedingungen und Bezahlung eine Rolle spielen und auch so Zufriedenheit erreicht wird.

Woraus schließen Sie, dass Mitarbeiter, deren Unternehmen New Work leben, weniger zu leisten bereit sind?

Viel zu häufig wird New Work als ultimativer Lösungsansatz versprochen und demzufolge als Allzweckwaffe im Wettbewerb um talentierte Arbeitnehmer und Innovationen gesehen. Im Grunde wird New Work als die Blaupause für die Zukunft der Arbeit propagiert. Daraus entwickelt sich in Teilen für Arbeitnehmer ein völlig neues Mindset: Kriterien wie die Potenzialentfaltung der Mitarbeitenden, die Gewichtung der Work-Life-Balance, Möglichkeiten von flexibler Arbeitsgestaltung und die eigene Beteiligung an Unternehmensentscheidungen gewinnen an Bedeutung, beeinflussen so natürlich auch die persönliche Ausrichtung eines Arbeitnehmers und setzen darüber hinaus sehr hohe Erwartungsmaßstäbe für Bewertungskriterien von Unternehmen.

Mit anderen Worten: Auf dem Weg der Selbstbestimmung und getreu des selbst erstellten IKIGAI (japanischer Ausdruck für Lebenssinn; Anmerkung der Redaktion), sind Arbeitnehmer nunmehr ihrer Bestimmung, nämlich herauszufinden, was das Leben eigentlich lebenswert macht, einen großen Schritt nähergekommen. Mithilfe der aus Japan stammenden Methode werden vier Kernaspekte – was man liebt, was man gut kann, wofür man bezahlt wird und was die Welt braucht – mittels Selbstreflexion definiert. Die darin ermittelte Schnittmenge von Mission, Passion und Berufung sind nun als zielführende Kriterien definiert und auf dem ganz persönlichen Weg zu New Work bestimmend. In der Konsequenz und für die Praxis von Unternehmen findet dabei die Interessenlage eines Unternehmens und damit die Zielsetzung gar nicht erst statt.

Thorsten Schwack New Work

In Teilen wird daraus geschlussfolgert, dass die Frage, was das Unternehmen alles für einen tun kann, höchste Priorität habe. Die Auseinandersetzung, wie genau man für das Unternehmen Wertschöpfung erzielen kann, findet gar nicht statt oder erfolgt mehrheitlich nur aus eigener Perspektive und sehr eindimensional im Abgleich zu eigenen, zielführenden und sinnstiftenden Kriterien. Dass Unternehmen grundsätzlich keinem Selbstzweck dienen, sondern sich der Wertschöpfung verpflichten und deshalb nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit höchste Priorität haben kann, sondern letztlich das Erreichen wertschöpfender Ziele im Interesse aller Beteiligten sein muss, ist ja kein persönlicher Affront der Unternehmensführung, sondern schlichtweg die Bestimmung jedes Unternehmens.

Gibt es konkret für Arbeitgeber auch positive Aspekte an New Work?

Natürlich muss es Unternehmen gelingen, sich den veränderten Realitäten einer immer dynamischeren Wirtschaft anzupassen. Eine Standortbestimmung durchzuführen, den unternehmerischen Blick dahingehend zu schärfen und sich, durch die New-Work-Brille geblickt, mögliche Ansatzpunkte für Verbesserungspotenziale für das eigene Unternehmen herauszufiltern, ist ein positiver Effekt.

Zuletzt ist durch die Pandemie und insbesondere dank des Remote-Work-Ansatzes ein weiterer, positiver Effekt eingetreten. Unternehmen erkennen ebenso wie Arbeitnehmer, dass durch digitale Tools Arbeit in Teilen deutlich vernetzter, virtualisierter und flexibler gestaltet werden kann. Ein Maximum an Effizienz, Kreativität und Flexibilität mittels neuer, digitaler Formen der Zusammenarbeit zu erreichen, ist aus meiner Sicht ebenfalls äußerst positiv.

New Work beinhaltet neben einem Streben nach sinnstiftender Arbeit auch oft Themen wie einen größeren Freizeitausgleich und insgesamt eine bessere Work-Life-Balance. Abgesehen vom Mindset der Mitarbeiter: Kann sich das für Unternehmen überhaupt wirtschaftlich rechnen?

 Es gilt unausweichlich anzuerkennen, dass sozioökonomische Trends wie zum Beispiel der demographische Wandel, aber auch die Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten neue Herausforderungen für Unternehmen darstellen. Ohne den Einsatz digitaler Technologien kann diesen Herausforderungen nicht erfolgreich begegnet werden. Der Effekt ist jetzt schon deutlich spürbar und muss in die Optimierungsprozesse moderner Unternehmen, falls noch nicht geschehen, auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Einzug halten. Zweifelsohne dominieren kosteneinsparende, digitale Lösungen den Markt bereits jetzt derart signifikant, dass die digitale Transformation unumkehrbar ist. Daraus entstehen Effekte, auch zum Beispiel für den Arbeitsmarkt, denen Rechnung getragen werden muss. Die Frage ist, inwieweit das jeweilige Unternehmen das Label New Work dazu benötigt und wie genau dieser Anpassungsprozess gestaltet wird. Sind Kriterien wie Kommunikation, Kultur und Führung in Unternehmen nicht vielleicht auch ausreichende Instrumente, den Anpassungsprozess erfolgreich zu gestalten oder sollten diese Faktoren nicht zuerst auf Wirksamkeit hin überprüft werden, bevor ein Change Prozess, wie ihn die New-Work-Konzeption vorsieht, höchste Priorität hat?

In der Gesamtsumme geht es in Unternehmen grundsätzlich um Zielerreichung und Wertschöpfung. Die Frage, ob sich für Unternehmen Konzepte wie New Work rechnen, steht und fällt mit dem Mindset der Mitarbeitenden. Wenn wertschöpfend an den Zielen des Unternehmens gearbeitet wird und die festgelegten Ziele am Ende erreicht werden, geht die Rechnung auch auf.

Was sind Ihrer Ansicht nach gute Konzepte für Unternehmen, um qualifizierte Mitarbeiter anzusprechen, langfristig zu motivieren und an sich binden zu können – oder ist die Langfristigkeit in manchen Branchen gar keine sinnvolle Zielsetzung?

Es ist auf dem Arbeitsmarkt ja ein regelrechter Kampf um qualifizierte Mitarbeiter entstanden und jeder Arbeitgeber sollte sich innerhalb des Recruitingprozesses bei einem sogenannten Match ernsthaft darum kümmern, potenziellen Talenten ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten. Faktoren wie ein klares Leistungs- und Erwartungsmanagement und ein professioneller Onboarding-Prozess sind gerade in der Anfangszeit sehr wertvolle Instrumente, um Mitarbeitende nachhaltig an ein Unternehmen zu binden, Wertschätzung zu zeigen und letztlich Zufriedenheit für beide Seiten zu erreichen.

Thorsten Schwack New WorkBranchenunabhängig sind erfahrene Mitarbeiter für Unternehmen äußerst wertvoll und daher sollten alle Beteiligten in der Arbeitswelt an einer langfristigen, vertrauensvollen Zusammenarbeit und der Entwicklung einer Wert-zu-Wert-Beziehung interessiert sein. Denn für die langfristige Bindung ergeben sich Bedingungen und Erwartungen, die für beide Seiten klar definiert sein, passen und auch erfüllt werden müssen. Einerseits müssen Arbeitgeber eindeutige Ziele, Aufgaben und Erwartungen an Mitarbeiter kommunizieren, sodass der Erwartungshorizont klar umrissen ist und damit überhaupt erst erfüllbar werden kann. Andererseits sind Mitarbeiter auch verantwortlich dafür, diesen Beitrag zu leisten.

Dies impliziert selbstverständlich, dass Unternehmen eine sehr gute Unternehmens- und Führungskultur etablieren müssen, in der Werte gelten und gelebt werden.

 

Bilder: Jascha van den Berg