Robben Island ist eine kleine Insel im Südatlantik etwa 14 Kilometer vor der Küste Kapstadts. Auf dieser überwiegend kargen Insel verbrachte Nelson Mandela 27 Jahre im Gefängnis. Er wurde weggesperrt und sein Alltag war vollkommen fremdbestimmt. Dennoch: »Wir waren von Anfang an entschlossen (von den Wärtern) respektiert zu werden«, sagte er 1997 im Interview mit Oprah Winfrey, »wir bestanden darauf.« Und das gelang ihm. Wie war das möglich? Wie gelang es den Gefängnisinsassen, in einer fremdbestimmten Umgebung so selbstbestimmt zu agieren und auf ihre Wärter Einfluss zu nehmen?
In der heutigen Zeit würden wir uns fragen: »Welche Tricks, Kniffe und Methoden hat Mandela angewandt, um so weit zu kommen?« Doch in Bezug auf Selbstbestimmung sind das die falschen Fragen. Das »Wie?« spielt eine untergeordnete Rolle. Was wirklich interessant ist, ist Mandelas innerer Antrieb und sein Verständnis von sich selbst, dass ihn dazu befähigte, selbst die richtigen Tricks, Kniffe und Methoden zu kreieren. Und dort müssen auch wir beginnen, wenn wir selbstbestimmt leben möchten: bei intrinsischer Motivation und unserem Selbstbild.
INTRINSISCHE MOTIVATION
Intrinsische Motivation bedeutet, von sich selbst aus angetrieben zu sein. Es braucht keine Motivationsredner, um Sie in Bewegung zu setzen. Unser innerer Antrieb kommt dann, wenn wir uns selbst wertschätzen und an unserer Entscheidungsfähigkeit arbeiten.
Wertschätzung für sich selbst
Wer sich selbst wertschätzt, schaut bei sich auf das, was funktioniert, was gut ist, was einzigartig ist und was er oder sie zu geben hat. Dabei kommt es vor allem auf die Qualität an. Wenn wir in hitzigen Situationen Ruhe bewahren, zum Beispiel, geben wir oft auch unserem Gegenüber die Ruhe, die wir selbst erleben. Jim Rohn sagt: »Selbstbewusstsein (confidence) ist nichts, was wir haben. Es ist vor allem etwas, was wir geben können.« Wer sich selbst wertschätzen kann, kennt seinen Platz in der Welt. Damit navigieren wir im Alltag über die Jahre viel leichter Richtung Selbstbestimmung.
Entscheidungskraft
Willenskraft hat eine einfache Logik: Wir haben alle einen täglichen Entscheidungstank. Mit jeder bewussten Entscheidung wird er aufgebraucht. Wenn unser Entscheidungstank leer ist, treffen wir langsamere und schlechtere Entscheidungen. Wer selbstbestimmter Leben möchte, muss Wege finden, diesen Entscheidungstank möglichst lange über den Tag verteilt, voll zu behalten. Wie geht das? Mit automatisierten Entscheidungen oder Gewohnheiten. Denn automatisierte Entscheidungen (unsere Morgenroutine, wann und wo wir Mittagessen, Pausen) kosten keine Energie, weil sie unseren Geist weniger beanspruchen. Es ist paradox: Wer seine Freiheit, seine Selbstbestimmung, erweitern möchte, muss im Alltag viele (im besten Sinne) festgefahrene Rituale haben.
SELBSTBILD
Selbstbild und Fremdbild unterscheiden sich oft. Die Wahrheit liegt dazwischen. Wer sich selbst und seine Wirkung klar sieht, ist präsenter und flexibler.
Achtsamkeit im Alltag
Laut Well-Being-Experte Deepak Chopra ist Achtsamkeit die Fähigkeit, proaktiv statt reaktiv auf Situationen zu antworten. Die meisten Menschen halten sich für achtsam und proaktiv. Wer sich nicht so sieht, müsste zugeben, dass er oder sie nicht in der Kontrolle ist. Doch kontrollieren tun wir alle weniger, als wir glauben. Denn viel zu oft reagieren wir auf Situationen mit unbewussten Mustern. Proaktiv werden wir, indem wir unsere Reaktionen beobachten und darüber reflektieren. So gelangen wir zu einem ehrlichen Selbstbild. Nur mit einem ehrlichen Selbstbild bringen wir den Mut auf, neue Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
Flexibilität
Nur weil jemand mental flexibel ist, heißt das nicht, dass er oder sie sich fremd bestimmen lässt. Flexibilität ruht in der Sicherheit, die von einem gesunden Selbstbild kommt. Herausforderungen sind unausweichlich. Wir müssen lernen, um sie herum zu navigieren oder sie für uns zu nutzen. Mit einer klaren Idee davon, wer wir sind und wer wir sein wollen, sind wir auf unserem Weg mit dem natürlichen Impuls ausgestattet, agil zu bleiben. Damit bestimmen wir selbst, wie wir auf Herausforderungen und Unerwartetes reagieren.
Fazit
Selbstbestimmter zu leben kommt nicht davon, Tricks, Kniffe und Methoden anzuwenden. Wir leben dann selbstbestimmt, sobald wir uns an unserem inneren Antrieb orientieren und unser Selbstbild erweitern. Wertschätzung für uns selbst und andere, automatisierte Abläufe und Rituale, Achtsamkeit und Flexibilität sind dann die Wegbereiter über Fremdbestimmung hinauszuwachsen und, wie Mandela, mit Entschlossenheit auf seine eigenen Ansprüche zu bestehen.
Autor: Carlo Reumont (Jahrgang 1984) ist Trainer für Zeitmanagement und Selbstorganisation. 2016 absolvierte er an der LMU in München seinen Master in Philosophie. Sein Interesse an Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung führte ihn zum Schreiben.
Mehr zu den Strategien für ein selbstbestimmteres Leben finden Sie in Carlo Reumonts neuem Buch mit dem Titel: »Leider nein leider gar nicht. Warum Gewinner Nein sagen und Verlierer für alles offen sind.« (FinanzBuch Verlag, erschienen am 18.05.)
Bilder: IMAGO / Gallo Images, Carlo Reumont, FinanzBuch Verlag