Trans Model, Content Creatorin, Vorbild einer ganzen Community – seit ihrem Sieg in der 16. Staffel von »Germany’s Next Topmodel« wurde Alex Mariah Peter mit vielen Etiketten versehen. Doch sie ist weit mehr als nur das erste trans Model, das die Show für sich entscheiden konnte. In ihrem ersten Buch »work in progress« gibt sie nun tiefere Einblicke – in ihre Kindheit, ihre Erfahrungen in der Show und die aufregende, aber auch herausfordernde Zeit danach. Im Interview spricht sie außerdem über die Kraft der eigenen Entwicklung und darüber, wie es ist, sich in einer Welt zu behaupten, die oft nur Schwarz und Weiß kennt.
Alex, dein erstes Buch heißt »work in progress«. Warum hast du diesen Titel gewählt?
Das ist einfach die Schnittmenge, die Menschen miteinander haben. Am Ende des Tages sind wir immer auf der Suche nach dem Ziel oder dem Sinn des Lebens. Es sind gar nicht die kleinen Feinheiten, die wir suchen müssen, um Empathie und Verständnis füreinander zu haben. Eigentlich unterscheiden wir uns doch alle gar nicht so sehr in unseren Wünschen, Bedürfnissen und vor allem Ängsten, die uns ja auch oft leiten.
Du schreibst in deinem Buch unter anderem über deine schwierige Kindheit und darüber, dass deine Eltern mit dir überfordert gewesen seien. Was bedeutet dir Familie heute? Gibt es einen Unterschied zu früher?
Ich bin viel familiärer als es mir selbst manchmal vorkommt. Man hat ein sehr geprägtes Bild durch Medien und Gesellschaft, wie eine Familie auszusehen hat. Ich glaube aber, dass die Bedeutung von Familie sehr individuell ist. Man muss auch selbst ein bisschen entscheiden, wie die Familiendynamiken auszusehen haben. Es gibt nicht diese »eine Blaupause«.
Ich habe trotz meines schwierigen Starts eine ziemlich gute Beziehung zu meiner Familie und vor allem auch zu meinen Eltern, die aber auch davon mittlerweile geprägt ist, sich Raum zu geben. Man pflegt also nicht nur aus vermeintlich gesellschaftlichen familiären Verpflichtungen heraus den Kontakt, sondern weil man das wirklich möchte. Das ist eigentlich ein viel schönerer familiärer Akt: sich dazu zu entscheiden, im Leben des anderen zu sein, und es nicht einfach als eine omnipräsente Gegebenheit hinzunehmen. Das ist Familie: Nichts muss. Man entscheidet sich einfach ohne Zwang dafür.
Kommen wir nun zum großen Anfang deiner späteren Karriere: »Germany’s Next Topmodel« – eine Show, die trotz allem eine Reality Show mit eigenen Unterhaltungs-Anforderungen bleibt. Wie blickst du heute auf deine Zeit dort zurück – als Sprungbrett oder eher als persönliche Herausforderung?
Es ist immer eine Herausforderung. Für mich war es ja nicht nur der erste Schritt in die Öffentlichkeit, sondern auch parallel der erste Schritt in ein Arbeitsleben, das nicht ganz der Norm entspricht. Das ist kein Nine-to-Five-Job. Es waren definitiv Herausforderungen – so wie es für jeden gewesen wäre, wenn man über Monate hinweg in all seinen Facetten begleitet wird. Man fragt sich als junger Mensch: »Was möchte ich eigentlich von mir zeigen? Was sind Teile, die ich für mich behalte?« Nur, weil ich kein großer Medienkonzern bin, habe ich trotzdem das Recht zu sagen: »Das ist mir der Preis wert und das ist mir der Preis nicht wert.« Darauf bin ich sehr stolz, dass ich mir da selbst treu geblieben bin. Dass ich mich nicht habe einschüchtern lassen von der Angst, dass ich vielleicht keine Sendezeit bekomme. Ich habe mich einfach ein wenig beschützt.
Gibt es trotzdem irgendwelche Dinge, die du gerne vorher gewusst hättest? Gab es etwas, das anders lief, als du gedacht hattest?
Was für mich herausfordernd war, war auf jeden Fall, mit so vielen Menschen zusammen zu wohnen. Das waren also eher diese alltäglichen Dinge, bei denen ich mir gedacht habe: »Das brauche ich jetzt nicht auf Dauer so.« Auf der anderen Seite dachte ich mir aber auch, dass es sich so ein bisschen anfühlt wie Klassenfahrt. Es war schon irgendwie cool – es ist aber auch cool, dass es vorbei ist. Manchmal denke ich mir aber auch: »Ach ja, eine Woche würde ich das bestimmt auch nochmal machen.«
Hast du trotzdem noch Kontakt zu den anderen Kandidatinnen?
Mit manchen verstehe ich mich nach wie vor blendend. Bei anderen habe ich festgestellt: »Außerhalb der Sendung wären wir wahrscheinlich gar nicht so dicke miteinander gewesen oder hätten uns nie miteinander unterhalten.« Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Ich habe zu ein oder zwei Mädels noch Kontakt – und das sehr gerne. Darauf beschränkt sich das tatsächlich auch. Das Leben ist so dynamisch und man wird älter. Man merkt dann, dass man auch gar nicht so viele Kontakte pflegen will. Eine Handvoll Freundinnen auf dem aktuellen Stand zu halten – das ist schon ein Fulltime-Job.
Du hast mit deiner Teilnahme und vor allem mit deinem Sieg auch viel Aufmerksamkeit auf die trans Community gezogen. Viele sehen dich seitdem als Vorbild und Stimme für die ganze Community – was hältst du davon?
Ich habe mich sehr lange dagegen gewehrt, mich als »Heldin« dieser Community hinzustellen, weil ich das Gefühl hatte, das steht mir gar nicht zu. Ich habe in den letzten Jahren auch gar nicht so sehr über LGBTQ-Themen gesprochen – einfach aus Selbstschutz. Ich habe gesagt: »Ich bin bei so vielen Dingen noch selbst auf der Suche. Ich nehme mir da auch die Zeit, bevor ich jetzt die Verantwortung fühle, jemandem bei Fragen helfen zu können, die ich mir selbst noch gar nicht beantworten kann.«
Mittlerweile verstehe ich, dass das, was ich erlebt habe, für Betroffene einen Mehrwert bieten kann – zu sehen, dass es auch Positivbeispiele gibt. Ich leugne meine Geschichte deshalb auch nicht. Ich mache aber auch kein großes Thema daraus und ich glaube, das ist am Ende auch das, was wir erreichen müssen: an irgendeinem Punkt zu normalisieren – sonst stocken wir ja.
Also haben wir als Gesellschaft noch einen langen Weg vor uns?
Am Ende brauchen solche tiefgreifenden Veränderungen immer Zeit. Das geht über Generationen. Es wäre schön, wenn wir das noch miterleben. Das Ganze geht in eine gute Richtung, aber wie alles im Leben geschieht es natürlich in Wellen und ich glaube, dass wir gerade in der aktuellen Zeit sehen, dass die Akzeptanz wieder ein bisschen runter geht. Danach wird sie aber auch wieder hochgehen – da bin ich ganz zuversichtlich. Sie wird hochgehen, wenn wir etwas dafür tun.
Und was können wir dafür tun? Hast du irgendwelche Tipps?
Natürlich gibt es dafür kein Wundermittel. Bildung ist aber immer eine gute Maßnahme – und da geht es nicht ausschließlich um die LGBTQ-Community oder darum, schwarz oder asiatisch zu sein oder irgendeiner anderen marginalisierten Gruppe in diesem Land anzugehören. Bildung fängt bei einem selbst an. Das ist das Wichtigste, das man selbst als Beitrag für die Gesellschaft tun kann: sich selbst weiterzubilden, sich über viele Dinge bewusst zu werden und dann kann man vielleicht anfangen, die Gesellschaft zu einer besseren zu machen.
Du bist auch sehr erfolgreich auf Social Media unterwegs – wie gehst du dort mit Kritik um?
Ich bin dort tatsächlich gar nicht so viel Hass ausgesetzt. Ich habe das große Privileg, dass mir vor allem Menschen folgen, die sich sehr differenziert mit Themen auseinandersetzen. Es war einfach ein bisschen Glück. Ich war die Erste, die als Transfrau gewonnen hat. Damit habe ich eine Wende eingeläutet. Ich habe einfach viele Attribute erfüllt, die in der Gesellschaft Akzeptanz auslösen: Ich komme aus einem privilegierten Elternhaus. Ich war dünn genug. Ich war hübsch genug. Ich habe all diese Boxen abgehakt.
Am Ende zeigt mein Buch auch den Prozess dahin, um die Person zu werden, die nicht direkt von der äußeren Wahrnehmung abhängig ist. Natürlich bin ich geprägt durch eine Gesellschaft und eine stigmatisierte Meinung im Holistischen, aber ich habe kein großes Problem mit einer direkten Meinung von außen. Das ist schon etwas, das mich beim Erwachsenwerden geprägt hat.
Du hast nach GNTM jedoch in der Presse Kritik an deinem Körper bekommen. Wie haben Kunden darauf reagiert, dass du nun nicht mehr dem gewohnten Modelbild entsprichst?
Man muss fairerweise sagen, dass es der Sache keinen Abbruch getan hat – dadurch, dass mein Gesicht vermeintlich hübsch genug gewesen ist oder dass ich zu Beginn von »Germany’s Next Topmodel« das dünne Model war, das zufällig auch noch trans ist. Und als ich ein bisschen mehr geworden bin, war es in der Zeit von Body Positivity nur eine weitere Box, die natürlich auch marketingtechnisch ganz gut performt. Dieser ganzen Sachen muss man sich bewusst sein.
Das hat mich auch innerlich zerrissen: Wo fängt meine Verantwortung an und wo hört sie auf? Wo habe ich mir selbst gegenüber Verantwortung? Ich glaube, da fühle ich mich jetzt zum ersten Mal so richtig safe, dass ich sage: »Ich bin da settled. Ich weiß, wo meine Grenzen sind.« Ich sage auch nicht, dass ich über gar nichts rede oder über wirklich alles rede. Niemand muss sich komplett nackt ausziehen, um ehrlich zu sein. Ich glaube, dass wir als Gesellschaft wieder Nuancen im Alltag schaffen müssen – für eine Weitsicht, ein positiveres Miteinander und einen Aufschwung.
Fühlst du dich denn jetzt wohler in deinem Körper?
Ich fühle mich den einen Tag wohl und den anderen Tag nicht. Das ist fluide. Wenn ich ein Kleid sehe, das es nicht mehr in meiner Größe gibt, dann nervt es mich natürlich. Auf der anderen Seite finde ich es aber schön, in einem Restaurant zu sitzen und mir keine Gedanken über die Kohlenhydrate zu machen. Es gibt halt Situationen im Leben, in denen ich mich wohlfühle. Wohlfühlen bedeutet aber nicht Stagnation. Das ist eine Frage wie »Wie geht’s dir?« Das ist keine Frage, die ehrlich beantwortet werden kann.
Zum Schluss schauen wir einmal in die Zukunft: Wenn man in zehn oder zwanzig Jahren deinen Namen googelt – was sollte da stehen? Wofür möchtest du im Gedächtnis bleiben?
Ich frage mich, ob ich überhaupt möchte, dass man mich in 20 Jahren noch googelt. Ich glaube einfach, dass ich gerade an diesem Punkt bin, an dem ich merke, dass sich das Leben sehr verändert. Ich glaube – und hoffe –, dass ich bis zum Sterbebett nicht aufhöre, mich zu fragen: »Was möchte ich machen?« Das bedeutet im Umkehrschluss auch: Man ist nie gefangen, man ist nie am Ende, man hat die Zukunft immer noch weiter in der Hand. Nichts ist endgültig und wenn ich morgen sagen würde, ich möchte Schreinerin werden, dann kann ich das machen. Wenn ich morgen sage, ich möchte Präsidentin werden, dann kann ich es versuchen.
Unsere Gesprächspartnerin:
Alex Mariah Peter ist Model, Influencerin und Autorin von »work in progress«. Seit ihrem Sieg bei »Germany’s Next Topmodel« 2021 modelte sie bereits für Kunden wie Jean Paul Gaultier, Swarovski oder Kylie Cosmetics.
Bild: AMP Press
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