Wir Menschen tendieren dazu, sehr emotionale Wesen zu sein. Selbst ein Gewalttäter erliegt letztlich seinen Gefühlen – den Aggressionen – und schlägt zu. Wobei sich Gewalt nicht immer physisch ausdrücken muss. Dieser Tage sehen wir auch viel indirekte Gewalt – durch Worte, Texte oder Bilder. Besonders in der Corona-Pandemie erleben wir emotionale Grenzerscheinungen. Menschen allen Lagern, die nicht mehr bei Sinnen zu sein scheinen. Da gibt es die, die in völlige Panik oder gar Todesangst geraten. Obwohl dies nüchtern betrachtet natürlich völlig unbegründet ist. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem neuartigen Virus zu infizieren und dann auch noch daran zu sterben, bewegt sich laut aktuellen Zahlen im Null-Bereich. In Deutschland sterben pro Jahr rund eine Million Menschen. Über 36 Prozent davon sterben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Weitere 24 Prozent an Krebs. Zusammen machen diese beiden Sektoren 60 Prozent der Todesfälle aus.
Es gibt auch das andere Extrem. Menschen, die hinter jedem Baum eine Verschwörung wittern. Egal, um welches Thema es geht. Es stecke angeblich etwas ganz anderes dahinter, als man dem Volk weismachen will. Für nicht wenige endet das gar im Verfolgungswahn. Dennoch funktioniert die Welt nach Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass alles um uns herum eine Lüge ist, ist gering. Ebenso unwahrscheinlich ist aber auch, dass alles wahr ist. Nüchtern betrachtet ist an beiden Seiten etwas dran. Der entscheidende Faktor ist Zeit. In den letzten 500 Jahren haben sich viele Annahmen der Menschen als unwahr herausgestellt. In den letzten 500 Jahren haben sich aber auch viele wissenschaftliche Erkenntnisse als falsch herausgestellt. Man könnte fast behaupten, es gibt ausschließlich bedingte Wahrheiten. Solange, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Leider stimmt aber auch: Je unsicherer die Menschen sind, desto emotionaler reagieren sie und denken im Schwarz-oder-Weiß-System. Sie erlangen erst dann Sicherheit, wenn sie sich für eine Seite entscheiden können. Und wenn sie das erst getan haben, kann die Hölle zufrieren sie lassen sich nicht mehr davon abbringen. Solch eine Gesellschaft ist in sich selbst gefangen und erstickt seine eigene Weiterentwicklung im Keim. Ich wünsche mir mehr Nüchternheit, ein unparteiischer Blick auf eine bunte Welt. Bleiben Sie offen für das, was Sie sehen können und was Sie nicht sehen können. Einstein sagte: „Vorstellungskraft ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“
Viel Vergnügen beim Lesen
Ihr Julien Backhaus
Das Editorial „Der Herdentrieb – Aufruf zu mehr Nüchternheit“ von Julien Backhaus aus dem brandneuen ERFOLG Magazin Ausgabe 05/2020 -> LINK
Bildquelle: Oliver Reetz