Jochen Schweizer gilt als Wegbereiter des Bungeespringens in Deutschland. Der Extremsportler und erfolgreiche Unternehmer war außerdem als Stuntman in Kino- und Werbeproduktionen tätig, brach mehrere Guinness-Weltrekorde und ist auch als Investor und Motivationsredner aktiv.
Wenn du die letzten 65 Jahre in einem Wort zusammenfassen müsstest, müsstest du natürlich »Abenteuer« sagen. Womit verbindest du die Zeit noch?
Mein Vater hat mir damals den Rat gegeben: »Junge, egal was du machst. Versuche, ein anständiger Mensch zu sein. Wenn du dann alt bist, kannst du auf dein Leben zurückschauen und es noch mal genießen.« An den Ratschlag habe ich mich immer versucht zu halten. Ich würde mein Leben in drei Phasen einteilen. Ich bin jetzt 65 und bei bester Gesundheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich sehr alt werde, ist jetzt größer als kleiner. Die ersten 30 Jahre waren wild, frei und gefährlich, ein paar Mal bin ich dem Tod von der Schippe gesprungen. Ich war immer bereit, mehr Risiko einzugehen, um das Außergewöhnliche zu erleben. Ich hatte mir nie Gedanken gemacht über Altersvorsorge, weil ich gar nicht davon ausging, dass ich sie mal brauchen würde. Dann war ich plötzlich Anfang 30 und Vater geworden. Damit habe ich Verantwortung übernommen. Dir wird ein Wesen anvertraut und das ist eine wichtige Aufgabe… Die nächsten 30 Jahre war ich Unternehmer – das bin ich bis heute. Und ich habe nicht viel anbrennen lassen. Jetzt bin ich 65 und trete ein ins letzte Lebensdrittel. Voraussichtlich. Natürlich verändert sich damit der Fokus. Was ich tun wollte, habe ich immer getan. Heute kann ich Wissen weitergeben. Deshalb gehe ich gerne auf Bühnen und spreche zu Menschen. Deshalb begleite ich jetzt namhafte Trainer und Coaches in Seminaren mit meinem Wissen und meiner Persönlichkeit. Dazu gehören Frederik Hümmeke, Michael Ehlers und Dieter Lange und es wird Seminare geben in Norwegen, Kenia, auf den Seychellen und Balearen. Das Projekt mit Michael Ehlers und Frederik Hümmeke haben wir »1789VIER« genannt. Wir beziehen uns auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution, in der es unter anderem heißt: »Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.« Als Unternehmer oder Führungskraft kannst du alles erreichen und tun, solange es deinen Mitmenschen nicht schadet. In den nächsten Jahren werde ich viel stärker als Lehrender in Erscheinung treten. Ich höre aber nie auf zu lernen.
Du bist gelernter Logistiker und warst Geschäftsführer einer Spedition. Weil Stuntman damals noch kein anerkannter Beruf in Heidelberg war?
Nein, deshalb nicht. Es hat sich ergeben. Ich hatte einen guten Job und ein gutes Auskommen. Aber ich hatte auch genügend Zeit, das zu tun, was ich am liebsten tue und sehr gut konnte. Kajak fahren, Ski fahren, springen, fliegen. Daraus haben sich plötzlich Jobs ergeben. Stuntman war aber nie mein Berufsziel. Es hat sich ergeben. Ich hatte aber auch einen intellektuellen Anspruch. Ich wollte nicht dauerhaft mit Autos durch Obststände rasen.
In welchem Moment hast du dich also entschieden, wie dein Leben aussehen soll?
Mein übergeordnetes Ziel war immer Freiheit und Unabhängigkeit. Und ich habe schnell verstanden, dass persönliche Freiheit finanzielle Unabhängigkeit voraussetzt. Wenn du finanziell nicht unabhängig bist, kannst du persönlich nicht frei sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass du tatsächlich frei bist, wenn du finanziell unabhängig bist. Du kannst auch gebunden sein in deinen Konzepten, in deinem emotionalen Gefängnis. Aber es ist zumindest eine wichtige Voraussetzung für persönliche Freiheit, finanziell unabhängig zu sein. Gepaart mit ganz bestimmten Verhaltensweisen führt das dann tatsächlich in die Freiheit. Welche das sind, lehre ich als Speaker auf der Bühne und als begleitender Partner auf den Seminaren namhafter Seminarveranstalter.
Welche Verhaltensweisen sind das?
Tue das, was du tust, mit ganzem Herzen und vollem Einsatz. Und mache keine Kompromisse oder lasse es.
Du hast sehr oft dein Leben riskiert. Als du die Jochen Schweizer Unternehmensgruppe gegründet hast, warst du plötzlich auch für das Leben anderer mit verantwortlich. Welches Verhältnis hast du zu Verantwortung?
Du bist verantwortlich für alles, was du tust. Der Dalai Lama hat mal gesagt: »Respect the three Rs.« Respekt für andere, Respekt für dich selbst und Verantwortung (responsibility) für all deine Taten. Du kommst aus der Verantwortung für die Dinge, die du tust, niemals raus. Und du bist auch verantwortlich für das, was du denkst. Die Gedanken, die du denkst, führen zu den Worten, die du sprichst. Die Worte, die du sprichst, führen zu deinen Handlungen, die wiederum zu Ergebnissen führen, die wiederum zu Emotionen führen, die wieder zu Gedanken führen. Diesen Kreislauf der Abhängigkeit kann man beeinflussen, indem du als souverän agierender Mensch selbst entscheidest: Was will ich erleben und welche Emotionen werde ich dabei empfinden? Also willst du einen Horrorfilm gucken oder gehst du bei Sonnenaufgang raus in die Natur und erlebst, wie ein Wald aufwacht? Das führt zu unterschiedlichen Emotionen. Es ist deine Entscheidung, was du erleben möchtest. Und diese Erlebnisse definieren auch, wer du bist. Achte darauf, welche Begegnungen mit Menschen dich voranbringen und welche dir Energie rauben. Es ist alles deine Entscheidung. Niemand sonst ist für dich verantwortlich.
Manche sehen ja bereits einen Nanny-Staat, der den Bürgern alles abnehmen will.
Vielleicht ist es ja für ein Staatssystem ganz hilfreich, wenn die Menschen nicht allzu viel nachdenken. (schmunzelt) Aber ich gehöre nicht zu den Schafen.
Mit zunehmendem Erfolg hast du dich auch an jungen Unternehmen beteiligt. Ist das auch durch eine gewisse Abenteuerlust getrieben und worin liegt der Mehrwert – abgesehen vom möglichen Gewinn?
Ich habe schon lange vor meinem Engagement bei »Höhle der Löwen« in junge Unternehmer investiert. Weil ich cool fand, was die machen. Die zu unterstützen, nicht nur mit Geld, sondern mit Know-how, Coaching und Mentoring, hat mir immer Spaß gemacht. Und erst, als ich das Engagement bei »Höhle der Löwen« annahm, ist es publik geworden. Investments im Fernsehen finden anders statt als solche, bei denen du die Zeit hast, dich mit dem Case genügend auseinander zu setzen. DHDL ist ein großartiges Unterhaltungsformat – es ist Edutainment. Durch das Format verstehen immer mehr Menschen, wie Wirtschaft funktioniert und wie man eine gute Idee umsetzen kann. Damit leistet das Format einen wertvollen Beitrag. Es war damals aber keineswegs sicher, ob das Format ein Erfolg werden würde. Wenn du in der ersten Staffel dabei bist, trägst du das volle Risiko mit. Die Löwen der ersten Staffel sind ins volle Risiko gegangen – alle fünf.
Dein aktuelles Buch »Die Begegnung« handelt auch von der Freiheit. Hast du dich in deiner Karriere oder deinem Leben mal unfrei gefühlt?
Das kommt immer wieder vor. Es fing an als Vater. Mittlerweile sind meine Söhne groß und stehen solide auf eigenen Beinen. Wenn du zum Beispiel ein großes Unternehmen führst, kannst du auch in eine schwierige Situation geraten. Dann machst du mal ein Jahr lang keinen Urlaub, bist also nicht frei, sondern tust das Naheliegende. Corona hat uns hart getroffen. Ich habe in die Jochen Schweizer Arena 20 Millionen Euro eigenes Geld investiert. Das ist eine spektakuläre Anlage für Firmenveranstaltungen und Privatkunden mit einem großen Gastronomiebetrieb. Vor Corona hatten wir rund 400 Firmenveranstaltungen pro Jahr hier, dann waren wir in Summe neun Monate im Lockdown. Drei Industrien waren ja besonders betroffen: Gastronomie, Veranstaltungswirtschaft und Tourismus. Wir haben hier Kapazität für bis zu 1.000 Gäste in der Gastronomie, sind eine Veranstaltungslocation und eine touristische Destination, weil am Wochenende Menschen aus ganz Europa hierherkommen, um bei uns etwas zu erleben. Wir haben also dreimal ins Schwarze getroffen.
Würdest du eigentlich sagen, du bist schneller gereift als andere, weil du mehr erlebt hast? Oder bist du ein ewig jung Gebliebener?
Ich fühle mich deutlich jünger, als ich an Jahren bin. Ich will aber auch nicht in Abrede stellen, dass ich über einen breiten Erfahrungsschatz verfüge.
Extremsportler sind eher Egoisten, wie mir einige der Zunft bestätigt haben. Neuerdings hältst du jedoch vermehrt Vorträge über Erfolg. Hattest du das Gefühl, wieder etwas geben zu wollen?
Mir wurde erst nach der Geburt meines ersten Sohnes bewusst, dass es in meinem Leben nicht nur um mich geht. Von daher ist an der Egoismus-These vielleicht was dran. Würde ich meinen zentralen Lebensinhalt heute immer noch darin sehen, aus irgendwelchen Helikoptern zu springen, hätte ich mich ja nicht weiterentwickelt. Wenn man an einem Punkt im Leben ankommt, an dem Vieles gelungen ist, weil man mehr richtige als falsche Entscheidungen gefällt hat, weil man vielleicht mehr Energie investiert hat als andere, empfinde ich es schon beinahe als moralische Pflicht, etwas weiterzugeben. Es gibt den »Circle of helping hands«. Es begegnen uns im Leben immer mal wieder Menschen, die ich als Mentoren bezeichne, die unerwartet Hilfe leisten, ohne selbst daraus einen Vorteil zu ziehen. Dann sind es echte Mentoren. Wenn du die Hilfe annimmst, bist du nicht verpflichtet, demjenigen etwas zurückzugeben. Du verpflichtest dich aber, diese Hilfe eines Tages, wenn es dir besser geht, an einen anderen Menschen weiterzugeben, der dieser Hilfe bedarf. Das nenne ich den »Circle of helping hands«. Wenn sich jeder Mensch diesem Konzept verpflichten würde, wäre die Welt ein kräftiges Stück besser.
Erfolgscoaches sprechen oft von Lebensplänen. Wenn du dein Leben heute betrachtest, war das Absicht? Bist du heute da, wo du es geplant hattest?
Ich habe übergeordnete Ziele gehabt. Selbstbestimmung, finanzielle Unabhängigkeit, alles, ohne mich zu verbiegen. Ich wollte authentisch bleiben. Ich wollte der beste Jochen werden, der ich werden konnte. Und ich bin immer noch unterwegs.
Definierst du Erfolg heute noch so wie damals? Wie lautet die Definition heute?
Erfolg beinhaltet viele Ebenen. Als ich jung war, war ich da wenig reflektiert. Da hatte ich halt einen Nagel im Kopf, ich wollte immer alles, und zwar sofort. Wirtschaftlicher Erfolg ist ein Parameter. Aber auch ein guter Mann zu sein, ein guter Freund zu sein, ein guter Vater zu sein, körperlich gesund zu sein, sich gut zu ernähren, emotional frei zu sein – das sind, neben vielen weiteren, wichtige erfolgsrelevante Faktoren. Ein Müllfahrer, der ja nicht schlecht verdient, kann deutlich erfolgreicher sein als ein gestresster Unternehmer mit einem Privatjet. Der Müllfahrer ist vielleicht ein liebender Ehemann, zuverlässiger Vater, ein ehrlicher Freund und verdient genügend Geld, um seine Familie gut zu versorgen. Während der mit dem Privatjet vielleicht nicht mal Zeit hat, sein eigenes Kind abends ins Bett zu bringen. So ein Leben würde ich nicht als Erfolg bezeichnen.
Begegnest du solchen Menschen in deinen Seminaren? Gibt es da Menschen, die offen zugeben: »Hey ich bin 50, Millionär, todunglücklich, aber traue mich nicht, das alles in die Tonne zu hauen und noch mal von vorn anzufangen«?
Abgesehen von der Tonne, ja, alles, was du aufgezählt hast. Niemand will seinen Wohlstand einfach in die Tonne treten, denn der Wohlstand ist nicht das Problem. Das Problem ist die innere Grundhaltung. Gerade wenn jemand nach Wohlstand gestrebt und ihn dann errungen hat und dafür einen gewissen Preis bezahlt hat – soziale Isolation oder schlechte Gesundheit zum Beispiel –, dann stellt man sich die Frage, ob es das jetzt gewesen ist und wie es weiter geht.
Aus: Erfolg Magazin 04/2022 (gekürzt)
Beitragsbild: Lukas Barth