Kaum eine Branche ist so spezifisch wie die private Luftfahrt. Einerseits fordert die relativ kleine Zielgruppe ein maßgeschneidertes Management, andererseits steht die Branche ebenso wie großen Airlines Herausforderungen gegenüber, wenn es um Innovationen und Umweltschutz geht. Aber in der Umsetzung ist die private Luftfahrt in einer signifikant anderen Position. Welche das ist, erklärt Aviation-Experte Antonio Cristofaro. In unserem Interview spricht der Pilot auch über die Schlüsselrolle des Managements und über die Bedeutung der Branche für die Wirtschaft.
Herr Cristofaro, Sie haben sich als Executive Consulter auf die private Luftfahrt spezialisiert. Was hat Sie daran gereizt und welche Herausforderungen bringt diese Branche mit sich?
Die Faszination für die private Luftfahrt liegt in meiner persönlichen DNA. Ich bin aktiver Verkehrspilot in der Business Aviation, Fluglehrer und habe ein erfolgreiches BWL-Studium in Aviation Management absolviert. Die Herausforderungen sind vielfältig, angefangen bei strengen Sicherheitsvorschriften bis hin zu Umweltbedenken. Es erfordert ständige Anpassung und innovative Ansätze, um in dieser dynamischen Branche erfolgreich zu sein. Die Branche hat das Ziel, sich bis 2035 zukunftsfähig zu machen, vor allem sind hier innovative Technologien gefragt. Ohne Konzept weiterzumachen, ist wie Fliegen ohne Route. Die private Luftfahrtbranche ist aufgrund der begrenzten Zielgruppe exklusiv und erfordert deshalb ein maßgeschneidertes Management.
Ein relativ kleiner Kreis von Nutzern der privaten Luftfahrt sieht sich neuerdings der Kritik der Öffentlichkeit zum Thema Klimaschutz gegenüber. Zu Recht? Und wie weit ist die Branche beim Thema Elektro?
Die Kritik ist durchaus berechtigt, und die Luftfahrtbranche hat dies erkannt. Es gibt einen klaren Trend hin zu umweltbewussterem Handeln in der General Aviation. Eine handvoll Akteure investiert intensiv in Forschung und Entwicklung von Elektroflugzeugen, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren und somit den Klimaschutz voranzutreiben.
Bei einer politischen Betrachtung fällt auf, dass die einzigen, die der Kritik nicht entschieden entgegenwirken, die Politiker sind. Es ist wichtig zu analysieren, wer die Jets nutzt und zu welchem Zweck. In der Politik ist es leider oft so, dass Prinzipien gepredigt werden, jedoch die Umsetzung zu wünschen übriglässt. Obwohl Fortschritte erkennbar sind, erfordert eine vollständige Umstellung Zeit und erhebliche Investitionen. Aber dieser stetige Innovationsprozess ist unerlässlich.
Zum Thema Elektroflugzeug kann ich einen Einblick geben. Seit 2023 berate ich einen Hidden Champion der Luftfahrt, der sich auf den regenerativen Bau von Elektroflugzeugen spezialisiert hat. Dieses Flugzeug kann bis zu 19 Passagiere transportieren und ist nach CS-25 Flugzeug-Zertifizierung in der Zulassung erweitert. Vergleichbar mit einer ATR 72, ist es als Businessjet konzipiert und zeichnet sich vor allem durch geringe Wartungskosten und keinen CO2-Ausstoß aus. Die Innovation in diesem Bereich ist ein entscheidender Schritt, um nachhaltigere Optionen in der Luftfahrt anzubieten.
Diese stetig wachsenden Ansprüche und Veränderungen sind für diese spezielle Branche nicht einfach. Wie können Unternehmen schnell reagieren und sich hierfür künftig genügend Flexibilität schaffen?
In der Luftfahrtbranche sind Flexibilität und Agilität entscheidend, ähnlich wie im Cockpit. Unternehmen müssen ihre Betriebsmodelle skalieren, stetig optimieren und neue Technologien implementieren. Die Zusammenarbeit mit Partnern, FBOs und Unternehmensberatern ist unerlässlich, um auf dem neuesten Stand zu bleiben und schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Marktbeobachtungen zeigen, dass Top-Player nicht nur durch Marketingplattformen, sondern durch ein starkes Netzwerk und Mehrwert für Privatjetnutzer punkten. Die Kundenbindung erfordert eine strategische Herangehensweise, denn im Privatjetbereich, wo der Fokus auf Erlebnis, Sicherheit und Komfort liegt, sind hohe Ansprüche die Norm.
Privatjet-Operatoren müssen über den klassischen Betrieb hinausdenken und aus der Perspektive der Unternehmer von morgen handeln. Angesichts des ESG-Mindsets (Environmental, Social and Corporate Governance) und des Green Deals als zukünftige Herausforderungen ist strategisches Denken in der Allgemeinen Luftfahrt von entscheidender Bedeutung. Die heutigen Unternehmer sind politisch verpflichtet, ein ESG-Mindset zu haben, was sich auf das Reiseverhalten auswirken wird. Daher ist es entscheidend, Strategien für eine nachhaltige Allgemeine Luftfahrt zu entwickeln.
Die Luftfahrt sieht sich erheblichen Herausforderungen gegenüber, insbesondere in Bezug auf CO2-Ausstoß und Lärmbelastung. Technologische Innovationen und Investitionen sind der Schlüssel für nachhaltige Lösungen. Elektroantriebe und Wasserstoffentwicklungen sind in der Frühphase, während Elektroflugzeuge und nachhaltige Flugkraftstoffe vielversprechende Ansätze zeigen. Hybridmodelle, speziell für Privatflüge, werden als Zukunft gesehen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden Fortschritte bei Elektroflugzeugen und nachhaltigen Flugkraftstoffen dazu beitragen, die Ziele für eine nachhaltige Luftfahrt zu erreichen.
Um aktiv in eine umweltbewusste Zukunft zu steuern, ist verstärktes Augenmerk auf soziale Verantwortung und effektive Unternehmensführung erforderlich. Die ESG-Implementierung spielt dabei eine zentrale Rolle. Maßgeschneiderte Workshops und Berichte, speziell für die Luftfahrtindustrie, können einen bedeutenden Beitrag leisten, um nachhaltige Praktiken zu etablieren und den Übergang zu einer umweltfreundlichen Zukunft zu fördern.
Welche Chancen für Synergien gibt es?
Das ESG-Implementierungsmanagement kann einen entscheidenden Mehrwert für Unternehmen darstellen. Auf horizontaler Ebene bieten sich Synergien in der Zusammenarbeit mit Partnern, FBOs und Unternehmensberatern, um stets auf dem neuesten Stand zu bleiben und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Durch die Verbindung von ESG-Praktiken auf vertikaler Ebene kann die Luftfahrtbranche nicht nur betriebsintern optimieren, sondern auch strategisch, um den wachsenden Anforderungen und Veränderungen gerecht zu werden.
Die Privatjet-Branche hat die Chance, durch eine strategische Herangehensweise und Fokus auf Erlebnis, Sicherheit und Komfort die Kundenbindung zu stärken. Auf der horizontalen Wirtschaftsebene bietet sich die Gelegenheit, als Privatjet-Operator nicht nur traditionell zu agieren, sondern auch aus der Perspektive der Unternehmer von morgen zu handeln, insbesondere im Kontext von ESG und dem Green Deal.
Die Luftfahrtindustrie steht vor der Herausforderung des CO2-Ausstoßes und der Lärmbelastung. Hier eröffnen sich Chancen für innovative Technologien wie Elektroantriebe und nachhaltige Flugkraftstoffe. Auf horizontaler Ebene könnten branchenübergreifende Kooperationen die Entwicklung solcher Technologien beschleunigen. Auf vertikaler Ebene können Unternehmen der Allgemeinen Luftfahrt durch strategisches Denken und ESG-Mindset eine Vorreiterrolle in einer umweltbewussten Zukunft einnehmen.
Im ESG-Implementierungsmanagement bieten sich Chancen für Synergien durch maßgeschneiderte Workshops und Berichte, die speziell auf die Luftfahrtindustrie zugeschnitten sind. Hier kann eine enge Zusammenarbeit auf horizontaler Ebene zwischen Unternehmen und Beratern zu nachhaltigen Praktiken und einem effizienten ESG-Framework führen. Auf vertikaler Ebene können Unternehmen aktiv in eine umweltbewusste Zukunft steuern, indem sie verstärkt auf soziale Verantwortung und effektive Unternehmensführung setzen. Eine kooperative Herangehensweise ermöglicht es Unternehmen, gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln und die Kosten zu minimieren.
Wie stellt sich die Situation für ein privates Luftfahrt-Unternehmen dar, wenn es in Schieflage gerät. Wie ist die Branche vernetzt, zum Beispiel, wenn es um Investoren oder Übernahmen geht?
Die Lage eines privaten Luftfahrtunternehmens in Krisensituationen erfordert eine professionelle Handhabung. Standardisierte und skalierbare Prozesse gewährleisten Sicherheit, vergleichbar mit einem Notverfahren in der Luftfahrt. Doch wird jemals trainiert, wie Unternehmen sich in Schieflage verhalten sollen? Die Antwort ist klar: Nein.
Die Suche nach Investoren oder einem Käufer bei finanziellen Engpässen wird zu einer Prüfung der Reputation und Integrität eines Unternehmens. Ein bewährtes Instrument in dieser Situation ist die Kunst der Positionierung. Eine transparente Kommunikation und Wertschätzung der Mitarbeiter sind entscheidend, sowohl für internes Ansehen als auch für erfolgreiche Geschäftsprozesse.
Letztes Jahr brachte mir ein Anruf eine unerwartete Herausforderung: eine Anfrage zur Unterstützung beim Verkauf eines Privatjet-Unternehmens inmitten eines konjunkturellen Booms, aber begleitet von wirtschaftlichen Problemen. Ein vermeintlicher Mega-Deal entwickelte sich zu einer M&A-Distress-Situation mit russischen Privatjet-Inhabern und Investoren als Schlüsselakteure. Der Fall offenbarte, wie schnell sich das Blatt wenden kann. Das Unternehmen stand buchstäblich zwei Tage vor der Insolvenz, die schließlich unvermeidlich wurde – ein heikler Balanceakt zwischen Wohlstand und Untergang, der uns vor Augen führte, wie Einflüsse internationaler Investoren die Karten neu mischen können. Diese Geschichte zeigt die Bedeutung von Krisenmanagement und wie es selbst im Boomzeiten entscheidend ist, einen klaren Kurs zu halten.
In der privaten Luftfahrtbranche sind die Verbindungen so essentiell wie der Treibstoff. Investoren fungieren als Rettungsanker in stürmischen Zeiten, und transparente Kommunikation ist der Schlüssel, um Vertrauen zu sichern. Hier fliegen nicht nur Flugzeuge hoch, sondern auch die Netzwerke – von Vorständen über Prominente bis hin zu einflussreichen Entscheidern. Diese Einblicke in faszinierende Verflechtungen verdeutlichen, dass die Businessjet-Branche mehr als nur Höhenflüge bietet. Trotz aller Technologie erinnern wir uns daran: Am Ende fliegen Menschen und schließen Verträge mit Menschen ab. In diesem Umfeld steht der Mensch im Mittelpunkt, und eine herausragende Reputation schafft nicht nur Geschäfte, sondern auch treue Fans, die stets ihrem Star, dem Unternehmen als Privatjet Operator, nahe sein wollen.
MK
Unser Gesprächpartner: Antonio Cristofaro ist CEO von Aquiscap, Pilot und Fluglehrer. Er berät private Luftfahrtunternehmen zu Strategien und Turnaround-Management.
Bild: Antonio Cristofaro