Die ersten vier Sekunden

Die ersten vier Sekunden

Tipps vom »Wolf der Wall Street«: Warum man am Telefon nur vier Sekunden hat, um den Gesprächspartner von sich zu überzeugen, und wie man das anstellt

Auszug aus dem Buch »Way of the Wolf« von Jordan Belfort

Egal, was wir davon halten, wir müssen die Tatsache akzeptieren, dass wir Menschen im Grunde genommen von Angst getriebene Kreaturen sind. Unablässig kontrollieren wir unsere Umgebung, bewerten sie und treffen schnelle Entscheidungen auf der Grundlage unserer Wahrnehmung. Sind wir sicher? Ist Gefahr in Verzug? Müssen wir uns vor etwas besonders in Acht nehmen? Diese Art der schnellen Entscheidungsfindung geht auf unsere Zeit als Höhlenmenschen zurück und ist in unseren Reptiliengehirnen verankert. Wenn wir damals etwas sahen, mussten wir sofort einschätzen und entscheiden, ob wir bleiben oder weglaufen sollten.

Erst nachdem wir uns dann in Sicherheit wähnten, überlegten wir, ob es nicht vielleicht sinnvoll und nützlich gewesen wäre dazubleiben. Dieser ausgeprägte Instinkt für schnelle Entscheidungen ist auch heute noch vorhanden. Es steht natürlich viel weniger auf dem Spiel, weil wir nicht jeden Tag mit Situationen konfrontiert werden, in denen es um Leben und Tod geht. Aber der Prozess läuft trotzdem genauso schnell ab. Am Telefon geht er in weniger als vier Sekunden vonstatten, im persönlichen Gespräch sogar binnen einer Viertelsekunde. So schnell reagiert das Gehirn. Denken Sie einmal darüber nach: Es dauert nur eine Viertelsekunde, bis ein potenzieller Kunde eine erste Entscheidung über Sie trifft, wenn Sie ihn persönlich treffen. Wir wissen das, weil Wissenschaftler Experimente durchgeführt haben, bei denen sie Menschen an einen speziellen Kernspintomografen angeschlossen haben, der zeigt, wie das Gehirn bei der Verarbeitung von Informationen arbeitet.

Wenn solche Wissenschaftler einer Versuchsperson ein Bild von jemandem zeigen, passiert Folgendes: Zuerst leuchtet nahezu ohne Verzögerung die Sehrinde der Versuchsperson auf, und dann, eine Viertelsekunde später, leuchtet der Präfrontallappen auf, in dem sich das Urteilszentrum des Gehirns befindet, und es wird eine Entscheidung getroffen. So schnell geht das. Bei einem Telefonat mit einem potenziellen Kunden haben Sie etwas mehr Zeit – Sie haben vier Sekunden, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Allerdings dauert es auch bei einem persönlichen Gespräch trotzdem noch vier Sekunden, bis ein endgültiges Urteil gefällt worden ist. Der Unterschied besteht darin, dass der Prozess früher beginnt, wenn Sie persönlich anwesend sind – buchstäblich vom ersten Moment an, in dem der Interessent Sie erblickt. Aber so oder so, ob persönlich oder am Telefon, es gibt drei Dinge, die Sie in diesen ersten vier Sekunden einer Begegnung verinnerlicht haben müssen, wenn Sie auf die richtige Weise wahrgenommen werden wollen:

  1. Seien Sie scharfsinnig.
  2. Seien Sie entwaffnend enthusiastisch.
  3. Seien Sie ein Experte auf Ihrem Gebiet.

Diese drei Dinge müssen unbedingt in den ersten vier Sekunden eines Gesprächs rüberkommen, sonst haben Sie einen schweren Stand. Wenn Sie die ersten vier Sekunden vergeigen, haben Sie höchstens noch zehn Sekunden Zeit, um die Situation zu retten, aber danach ist die Sache für Sie gelaufen. Es ist dann im Grunde ein aussichtsloser Fall. Sie können niemanden mehr beeinflussen.

An dieser Stelle fragen Sie sich vielleicht: »Aber heißt es nicht, dass man niemals nur nach dem Äußeren urteilen sollte? Wie steht es damit, Jordan?« Nun, meine Eltern waren von dieser Redensart überzeugt, ebenso wie meine Lehrer in der Schule. Aber wissen Sie was? Sie selbst haben so gehandelt, und ich tue es auch, und Sie übrigens auch, trotz allem. Jeder Einzelne von uns urteilt nach dem Äußeren. Es ist im Grunde fest in unseren Gehirnen verankert; und es ist nicht nur ein Phänomen in den USA, es verhält sich auch so in Australien, in China, in Brasilien, in Italien – es ist eben menschlich. Man kann das überall auf der Welt beobachten, es überschreitet alle kulturellen Grenzen. Die Quintessenz ist, dass man vier Sekunden Zeit hat, bis man von jemandem auseinandergenommen, in Einzelteile zerlegt, beurteilt und dann wieder zusammengesetzt wird, je nachdem, wie man wahrgenommen wurde.

Und wenn die drei oben genannten Dinge – dass Sie scharfsinnig, enthusiastisch und ein Experte auf Ihrem Gebiet sind – dann noch nicht fest in den Köpfen Ihrer potenziellen Kunden verankert sind, haben Sie im Grunde keine Chance, einen Abschluss zu erzielen. Warum ist das so? Denken Sie einmal darüber nach: Wollen Sie wirklich mit einem Anfänger Geschäfte machen? Wenn Sie ein Auto, Wertpapiere oder einen Computer kaufen, wer soll Sie dann beraten, ein Neuling oder ein Experte? Natürlich ein Experte! Tatsächlich sind wir von klein auf darauf konditioniert worden, Experten aufzusuchen, die uns helfen, unsere Probleme zu lösen und unsere Schmerzen zu beseitigen. Wenn wir krank waren, brachten uns unsere Eltern zu einer speziellen Person, einem Arzt, der einen weißen Laborkittel trug und ein Stethoskop um den Hals hatte, und wir waren zunächst erstaunt darüber, dass sogar unsere eigenen Eltern sich diesem Menschen anvertrauten – bis sie uns sagten, warum.

Diese Person, so erklärten sie uns, hatte unzählige Jahre der Ausbildung hinter sich, in denen sie alles darüber gelernt hatte, wie man kranke Menschen gesund macht. Diesen Menschen, also den Medizinern, wurde auch beigebracht, wie sie sich kleiden und bewegen und wie sie sprechen sollen, damit andere Menschen ihnen auf den ersten Blick vertrauten und man sich in ihrer Gegenwart besser fühlt. Eine solche Person hat sich das Recht verdient, Arzt genannt zu werden, denn sie ist ein echter Experte auf ihrem Gebiet. Aber das ist natürlich nur der Anfang unserer Konditionierung. Mit zunehmendem Alter kommen immer mehr Experten hinzu. Wenn wir uns in der Schule schwertaten, engagierten unsere Eltern vielleicht einen Nachhilfelehrer; wenn wir eine bestimmte Sportart beherrschen wollten, engagierten sie einen Trainer für uns. Und als wir erwachsen wurden, machten wir genau da weiter, wo unsere Eltern aufgehört hatten, und bis heute wenden wir uns an Experten und wir bringen unseren Kindern bei, das Gleiche zu tun.

Denken Sie mal einen Moment darüber nach. Was glauben Sie, von wem Scarlett Johansson sich am Tag der Oscar-Verleihung die Haare stylen lassen wird? Wird sie sich an einen pickeligen Knaben wenden, der frisch von der Kosmetikschule kommt, oder wird sie den weltbesten Stylisten aufsuchen, der seit 20 Jahren dafür sorgt, dass Prominente fabelhaft aussehen? Und was glauben Sie, an wen sich Profigolfer wie Jordan Spieth oder Jason Day wenden werden, wenn sie eine Flaute haben: an einen lokalen Profi auf einem von der Gemeinde geführten Golfplatz oder an einen weltberühmten Schwungspezialisten, der Bücher über dieses Thema geschrieben hat und seit mindestens 20 Jahren mit anderen berühmten Profis zusammenarbeitet? Es ist doch ganz einfach so, dass wir alle mit Profis oder Experten zu tun haben wollen, und wir wollen auch mit Menschen zu tun haben, die scharfsinnig und auf Draht sind und die sich für das, was sie tun, begeistern.

Experten haben eine bestimmte Art zu sprechen, die buchstäblich Respekt einfordert. Sie sagen Dinge wie: »Hören Sie, Bill, Sie müssen mir vertrauen. Ich mache das seit 15 Jahren, und ich weiß genau, was Sie brauchen.« Anfänger hingegen neigen dazu, sich weit weniger spezifisch auszudrücken, und ihr oberflächliches Wissen, ihr mangelndes Verständnis für die tieferen Nuancen ihres Produkts und ihrer Branche wird immer offensichtlicher, je weiter sie einen potenziellen Kunden auf der Straight Line voranbringen und in die Loop-Phase eintreten und gezwungen sind, »frei zu formulieren« – denn dann können sie sich auf kein Skript mehr verlassen und sind gezwungen, sich spontan Argumente auszudenken, um den Grad der Überzeugung ihres potenziellen Kunden über die Handlungsschwelle zu bringen, damit er kauft. Ich will damit sagen, dass die Art und Weise, wie Sie wahrgenommen werden, sich auf jeden Teil des Verkaufs auswirkt, aber es beginnt in den ersten vier Sekunden. Wenn Sie das vermasseln und einen negativen ersten Eindruck hinterlassen, haben Sie im Grunde genommen keine Chance, das Geschäft abzuschließen.

Interessanterweise habe ich zum ersten Mal vor fast 30 Jahren darauf hingewiesen, und zwar genau an dem Dienstagabend, an dem ich das Straight-Line-System entwickelte, und ich habe den Strattonites an diesem Abend gesagt, dass sie für diesen ungemein wichtigen ersten Eindruck genau vier Sekunden Zeit haben. Allerdings hat sich herausgestellt, dass ich tatsächlich falsch lag. Im Jahr 2013 veröffentlichte ein Professor der Harvard University eine Studie zu genau diesem Thema – der wichtigen Rolle des ersten Eindrucks – und kam zu dem Ergebnis, dass es nicht vier Sekunden dauert, bis unser Gegenüber ein erstes Urteil fällt, sondern fünf Sekunden. Ich muss mich also dafür entschuldigen, mich um eine Sekunde vertan zu haben.

Abgesehen davon wurde in der Studie ebenso festgestellt, dass bei einem negativen ersten Eindruck acht weitere positive Eindrücke erforderlich sind, um diesen einen negativen ersten Eindruck wieder zu löschen. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in all den Jahren, in denen ich im Verkauf tätig bin, und bei all den Produkten, die ich verkauft habe, kann ich mich an keine einzige Branche erinnern, in der ich, falls ich das erste Treffen vermasselt hätte, acht weitere Chancen bekäme, es wiedergutzumachen. Das kommt einfach nicht vor. Deshalb ist es absolut notwendig, diese drei entscheidenden Eindrücke in den ersten vier Sekunden des Gesprächs zu vermitteln, und zwar jedes Mal. Andernfalls sind Sie aufgeschmissen.

Aus: Erfolg Magazin 06/2022

Bild: IMAGO / Mary Evans