Loyalität

Die Loyalitätsfalle: Warum wir dem Ruf der Horde 
widerstehen müssen

Auszug aus dem neuen Buch von Rainer Hank

Ein Team erfahrener Bergsteiger war vor einigen Jahren im Schweizer Engadin unterwegs. Es war noch früh im Jahr. Die Schneedecke des Hangs wurde im Anstieg plötzlich inhomogen, mal weich, mal hart. Das Gelände wurde immer steiler, oberhalb hatte der Wind viel Schnee hineingedrückt. Der Hang war akut lawinengefährdet.

Doch das Team stieg einfach weiter. Und dann, so berichtet es die Bergführerin Nina Ruhland, brach der komplette Hang mit den typischen Wumms-Geräuschen ab und riss das Team mit sich in die Tiefe. Drei der Beteiligten waren komplett verschüttet. »Nur« drei, das war das unglaubliche Glück der Truppe. Die anderen konnten sogleich die Rettung einleiten, den Helikopter rufen und mit ihren LVS-Geräten die Suche nach den verschütteten Kameraden beginnen. Die Geschichte hatte ein glückliches Ende. Alle konnten gerettet werden und kamen mit kleinen Verletzungen und einem großen Schrecken davon.

Später erzählen alle, sie hätten ein schlechtes Bauchgefühl gehabt, gehadert, sich gefragt, ob der Hang nicht zu steil, der Schnee nicht zu auffällig wäre. Aber keiner hatte es gewagt, seine Gedanken und Befürchtungen mit den anderen zu teilen. Der Gruppenzwang ließ sie weiter aufsteigen. Niemand wollte als Spielverderber gelten, als Außenseiter, als illoyal.

»Loyalität« ist ein positiver Begriff. Loyal zu sein, gilt als moralisch gut: Loyalität ist eine Tugend. Und nicht erst heute. Man muss zueinanderhalten. Für seine Freunde steht man ein. Loyalität ist ein Wert an sich: Er muss nicht gelernt oder anerzogen werden. Er ist mit uns auf die Welt gekommen.

Das fängt schon in der Familie an: Wir stehen zusammen, weil wir zusammengehören. Familie bedeutet Zugehörigkeit, über die Generationen hinweg. Loyal zu den Eltern sind wir auch dann, wenn wir uns über sie ärgern oder – etwa in der Pubertät – sie uns peinlich sind und wir am liebsten wegrennen würden. Wir tun es nicht oder kommen gleich wieder zurück. Loyalität ist eine Form der Treue zu anderen. Schließlich bekommen wir auch etwas dafür: Ich halte zu meiner Familie, weil meine Familie zu mir hält. Wir gehen zusammen durch dick und dünn, meistens jedenfalls.

Den gesamten Auszug „Die Loyalitätsfalle: Warum wir dem Ruf der Horde 
widerstehen müssen“ aus dem Buch von Rainer Hank, lesen Sie in der brandneuen ERFOLG Magazin Ausgabe 04/2021 -> LINK

Bild: IMAGO / ZUMA Wire