»Ein Trupp von Verkäufern reicht nicht«

»Ein Trupp von Verkäufern reicht nicht«

Die Digitalisierung bietet dem Vertrieb neue Möglichkeiten, mit den Kunden in Kontakt zu kommen. Aber um aus dieser Chance Umsatz zu machen, ist aktives Handeln nötig. Oft scheint der Vertrieb ein Selbstläufer zu sein, doch Vertriebsexperte Tobias Epple ist der Meinung, dass das Management nachjustieren und den Vertrieb auf den neuesten Stand coachen muss. Denn Strategie und sich aktuell änderndes Kundenverhalten müssen aufeinander abgestimmt sein, um am Markt langfristig eine Rolle zu spielen. Wie das gehen kann, erklärt Epple in unserem Interview.

Herr Epple, wenn der Vertrieb nicht funktioniert, funktioniert das Unternehmen nicht. Wie muss ein Vertrieb heutzutage organisiert sein?

Ich bin mir sicher, dass ein Vertrieb heute mit hoher Priorisierung und Blick auf den Kunden unterwegs sein muss. Insbesondere in einer sich immer schneller verändernden Welt ist es wichtig, die Kundenbedürfnisse im Fokus zu behalten und dies in Einklang mit der Markt- und Vertriebsstrategie zu bringen. Ich bin mir auch sicher, dass nach sehr guten wirtschaftlichen Jahren jedes Unternehmen und jeder CEO prüfen muss, ob der Vertrieb überhaupt die Bedeutung im Unternehmen hat, die er haben sollte. Vertrieb hat in den »guten Jahren« oft einfach funktioniert und die Unternehmen haben sich mit sich selbst beschäftigt, statt mit Kunden und Märkten. Hier gilt es nun seitens der Geschäftsleitung, den notwendigen Drive zu entwickeln und den Vertrieb zu priorisieren. 

Haben Sie ein positives Beispiel für gelungene Vertriebsstrukturen?

Da gibt es unglaublich viele – ich würde sagen, die, die wir alle kennen, sind mit Sicherheit McDonalds oder Starbucks, aber natürlich auch Amazon. Die Art und Weise, wie zum Beispiel Amazon mit Reklamationen umgeht, ist aus meiner Sicht ihr bester Vertrieb.

Natürlich gibt es auch die klassischen deutschen Vertriebsmodelle, über Finanzvertriebe bis hin zu Würth, der in Deutschland im B2B das Door-to-Door-Geschäft auf beeindruckende Weise implementiert hat. Und auch hier sehen wir: Manchmal ist eben auch ein Brandbrief von Herrn Würth notwendig, um die Vertriebe anzutreiben. Damit sind wir wieder bei der CEO-Rolle und der Priorisierung des Vertriebs.

Welche Erwartungshaltung haben Kunden und wie muss ein Unternehmer darauf reagieren?

Kunden wollen heute auf vielen verschiedenen Kanälen mit ihrem Verkäufer kommunizieren und agieren. Es reicht nicht mehr, nur ein Geschäft zu betreiben. Im Gegenteil: Der Kunde möchte schnelle und klare Antworten. Die Möglichkeit, alles zu googeln, wenn die Reaktionszeit zu langsam ist – ungeachtet der Qualität der Ergebnisse – bringt eine neue Dynamik und Erwartungshaltung in die Kommunikation mit dem Kunden.

Unterschiedliche Studien belegen, wie sich zum Beispiel die Erwartung der Antwortzeit verändert hat. So erwarten laut einer Studie von »Hub Spot« 90 Prozent der Kunden eine sofortige Antwort, das heißt, in der Regel innerhalb von zehn Minuten.

Diese Erwartungen spiegeln sich auch in den Abschlusswerten, bestätigt Dr. James Oldroyd von der »MIT Sloan School of Management«. Die Wahrscheinlichkeit, einen Lead in einen Abschluss zu verwandeln, ist demnach 21 Mal höher, wenn der Kunde innerhalb der ersten fünf Minuten kontaktiert wird.

Selbstverständlich können diese Werte je nach Branche variieren, der Trend ist allerdings immer derselbe: Eine Reaktion innerhalb 24 Stunden genügt nicht mehr, um den Erwartungshaltungen der Kunden gerecht zu werden. Einen Trupp von Verkäufern mit dem Vertrieb zu beauftragen, genügt nicht.

Wird der Vertrieb oft als Selbstläufer betrachtet? Und welche Folgen hat das?

Ja, leider war er das in wirtschaftlich blendenden Zeiten ja oftmals auch. Ich sage ausdrücklich nicht, dass die Verkäufer nichts tun mussten, doch es konnte viele Themenstellungen mit »Bordmitteln« des Vertriebes gelöst werden. Heute bedarf es auch Management-Entscheidungen und bewussten Commitments des Vertriebs.

Mich macht der Umgang damit schon nachdenklich. Schauen wir zu Mercedes-Benz: Hier hat der Vertrieb, und damit auch jeder einzelne Verkäufer, das Unternehmen durch die Pandemie getragen und ist wirtschaftlich erfolgreich. Jetzt denkt der Vorstandsvorsitzende laut über einen Verkauf seiner Autohäuser nach. Das erlebe ich leider immer wieder, dass Vertriebe durch die Pandemie gestützt haben und dem Management jetzt, in der »nächsten Krise danach«, die Strategie für den nächsten Schritt für und mit dem Vertrieb fehlt.

An einem bestimmten Punkt ist es wichtig zu skalieren. Mit welcher Strategie kann man seinen Markt erweitern?

Ich glaube erstmal, dass wir in den Vertrieben unfassbar viele Möglichkeiten und Potenziale haben, in den Beständen noch einiges zu tun ist. So mache ich in meinen Beratungen und Trainings oft die Erfahrung, dass Verkäufer, insbesondere im B2C, große Kundenbestände haben und nur wenige Anteile davon auch mit der Gesamtproduktpalette versorgt sind oder mit ihnen über die Bedarfsermittlung die Customer Journey sauber abgebildet und entwickelt ist. Damit besteht noch viel Skalierung und Wachstum in den Unternehmensbeständen und Märkten.

Viele Vertriebe arbeiten auch heute noch ohne konsequente Marktbearbeitungsstrategie. Sie überlassen es den Verkäufern, wie sie die Märkte bearbeiten und wieviel Traffic dabei zustande kommt. Ich persönlich glaube an hohe Strukturiertheit, den Mix der Vertriebskanäle: digital, analog und systematische Marktbearbeitung. Dazu gehören auch Themenstellungen wie Empfehlungsmarketing und Empfehlungsgeschäft, genauso ausgeprägt wie Weiterbildung und Qualifizierung der Verkäufer am Point oft Sale.

Mir ist nicht bange um den Vertrieb, auch nicht durch KI oder Digitalisierung – wenn wir unsere Verkäufer dazu befähigen, diese Tools einzusetzen und zu den Vertriebssupportern unserer Zeit machen. Das ist die Aufgabe von Vertriebsleitung und Geschäftsleitung.

Unser Gesprächspartner: Tobias Epple ist CEO von Epple Consulting, Keynote-Speaker und SPIEGEL Bestseller-Autor.

Bild: Bild: Horst Dömötör