Felix Magath im Interview »Ich bin einen Spieler-Natur«

Felix Magath im Interview: »Ich bin eine Spieler-Natur«

Seit Jahrzehnten dominiert Felix Magath den deutschen Fußball. Stets hielt er an Tugenden fest, die den Fußball in Deutschland einst ausgemacht haben – wie Zusammenhalt. Im Gespräch mit Julien Backhaus erzählt er von seiner Jugend in Aschaffenburg, dem Fußballerleben und Glücksgriffe an der Börse.

Sie werden jetzt 70. Wie geht es Ihnen damit?

Mittlerweile geht es einigermaßen. Das war für mich noch vor zehn Jahren ein größeres Problem. Fast mein ganzes Leben hat sich um den Fußball gedreht. Die Mannschaften, die man als Trainer betreut, werden eigentlich nie älter, man hat immer Spieler im gleichen Alter um sich. Da ich immer junge Spieler in die Bundesliga geführt habe, waren meine Mannschaften im Schnitt nicht 30, sondern eher 24, 25 Jahre. Irgendwann habe ich dann gemerkt: Herrgott nochmal, du bist ja schon 60. Ich habe nie wirklich wahrgenommen, wie alt ich eigentlich bin.

Sie sind letztendlich einer der erfolgreichsten Fußballer in Deutschland geworden. Wissen Sie noch, warum Sie eigentlich Fußballer werden wollten?

Nein, denn ich hatte ja nie den Berufswunsch, Fußballer zu werden. Es gibt ein Foto zu Hause von mir, da konnte ich kaum gehen, ich muss etwas über ein Jahr alt gewesen sein. Ich stehe da noch etwas unsicher und trete gegen den Ball, das war 1954. 1954 war auch das Jahr, in dem wir Fußball-Weltmeister wurden. Im Rückblick kann ich nur vermuten – die Euphorie von damals hat mich als Einjährigen voll mitgenommen. Ich habe also angefangen, gegen den Ball zu treten und bin bis heute nie davon los gekommen.

Haben Sie das auch nie infrage gestellt?

Als ich für mein Tun auch Geld bekommen habe, habe ich das nicht mehr infrage gestellt. Ich habe am Anfang nie darüber nachgedacht; mir hat das Fußballspielen einfach Spaß gemacht. Ich habe keine Vorfahren, die sportlich ambitioniert waren. Meine Mutter war aus Ostpreußen vom Land und mein Vater war aus Puerto Rico und hat eher Gitarre gespielt als Sport getrieben. So war ich von Beginn an allein mit meiner Entwicklung. Mein Vater war amerikanischer Soldat und ging, als ich ein Jahr alt war, über Paris zurück nach Amerika. Und meine Mutter hat viel gearbeitet, um uns ernähren zu können. Und so war ich von Beginn meines Lebens an sehr viel auf mich alleine gestellt. Meine Kindheit war wunderbar, weil ich eigentlich immer machen konnte, was ich wollte. 

Sie haben also Ihr Hobby zum Beruf gemacht.

Ja, so ist es. Ich habe immer Fußball gespielt und weil ich es wohl ganz gut gemacht habe, habe ich auch Spaß gehabt. Und dann kam bei mir noch eine Eigenschaft dazu. Ein alter Freund aus Aschaffenburger Zeiten hat mir kürzlich gesagt, dass er mich immer dafür bewundert hat, dass ich mich beim Sport quälen konnte. Auf die Idee wäre ich nie gekommen, dass ich mich als Kind gequält hätte. Ich habe mich gerne bewegt und ich habe mich viel bewegt. 

Weil meine Mutter viel gearbeitet hat, musste ich nach der Schule in den Kinderhort, in dem ich bis nachmittags betreut wurde. Dahin musste ich ein paar Kilometer mit dem Bus fahren. Damals war ich ein kleiner Träumer und habe ab und zu den Bus verpasst und musste zu Fuß gehen. Das war mir zu langweilig; da bin ich gerannt. Während ich unterwegs war, war mir trotzdem noch langweilig, und da habe ich mir vorgestellt, ich laufe bei den Olympischen Spielen für Deutschland. 

Wir haben in einem Mietshaus mit vier Parteien gewohnt. Unsere Nachbarn hatten ein Lebensmittelgeschäft. Der Mann war ehemaliger tschechischer Nationalspieler und hatte zwei Söhne, die auch Fußball gespielt haben. Der eine, Ernst Kreuz, hat damals in der Oberliga gespielt. Wir haben Tür an Tür gewohnt, das war mein Glück. Er hat bei seinem Vater im Lebensmittelgeschäft gearbeitet und hatte die Möglichkeit, jeden Tag zu trainieren und da war ich dann immer dabei. Er hat auch Bälle am Tor vorbeigeschossen und ich habe sie immer geholt, so musste ich viel laufen. Ich habe jeden Tag mit dem Ball gespielt und das hat mich dann auch geprägt. Ernst Kreuz ging zu Eintracht Frankfurt und 1963 dann zum HSV. Und ich habe immer weitergespielt und immer noch geglaubt, ich lerne später etwas Anständiges. 

Als 1963 die Fußball-Bundesliga kam, war der große Fußball noch weit weg. Wir hatten keinen Fernseher und kein Auto und von Aschaffenburg nach Frankfurt war es fast eine Weltreise. Und so habe ich in meiner Oase Aschaffenburg weitergekickt und mit 15, 16 hatte ich dann ein Angebot vom 1. FC Nürnberg. Die hatten damals, glaube ich, sowas wie das erste Fußballinternat gegründet. Da war ich natürlich stolz und habe überlegt, es mir dann aber doch nicht zugetraut und bin lieber bei meinem kleinen Verein in Aschaffenburg geblieben. 

Erst, als ich nicht mehr wegsehen konnte und feststellen musste, dass meine schulischen Leistungen immer schlechter wurden, sah ich mich gezwungen, doch mal aus meiner gewohnten Umgebung herauszugehen, um erstens das Fachabitur zu machen und zweitens zu sehen, wie weit ich mich im Fußball entwickeln kann. 1972, mit 19 Jahren, habe ich dann das erste Mal Geld bekommen, 2.000 DM – im Jahr. Das war der Anfang. Von da an ging es bergauf und ich habe den Weg als Fußballprofi eingeschlagen; ganz bodenständig einen Schritt nach dem anderen gemacht. Ich habe zwei Jahre in der Amateur-Oberliga gespielt, das war damals die dritthöchste Klasse. 1974 wurde die zweite Bundesliga gegründet und ich bin dann nach Saarbrücken gekommen, habe zwei Jahre in der zweiten Bundesliga gespielt und bin mit Saarbrücken aufgestiegen. Danach hat mich der HSV in die erste Bundesliga geholt, dem ich dann zehn Jahre bis zu meinem Karriereende treu geblieben bin. Für diese Zeit bin ich sehr dankbar, denn es war für uns als Mannschaft und den Club die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte. 

Sie haben als Fußballer keine Angst vor Konfrontation gehabt. Muss man das als Fußballer/Trainer so haben, oder kann man auch als Diplomat erfolgreich sein?

Meine Persönlichkeit wurde auch auf der Straße geprägt, es hat mir kaum jemand reingeredet. Das hat nicht unbedingt nur Vorteile. Man wird auf der Straße vielleicht robuster. Aber was Sie ansprechen, ist etwas in meiner Persönlichkeit, das mir lange Zeit nicht bewusst war. Eine Frau, die ich vor Ewigkeiten kennengelernt hatte, sagte zu mir: »Du bist immer dagegen.« Ich habe mir gedacht, wie kommt sie darauf? Ich habe darüber nachgedacht und irgendwann festgestellt – komisch, sie hat recht. 

Ich habe auch nie ein Vorbild gehabt und kann auch gar nicht sagen warum. Ich habe mich über jeden Athleten gefreut, der Erfolg hatte. Gut, Franz Beckenbauer war 1966 fast ein Gott, aber ich hatte nie die Idee, wie Franz Beckenbauer zu werden. Ich habe ihn bewundert und als außergewöhnlichen Fußballspieler akzeptiert, wäre aber nie auf die Idee gekommen, ihm nachzueifern. Das hat sich dann auch gehalten, als wir später in einer Mannschaft zusammengespielt haben. Ich hatte Respekt vor seiner Leistung, ohne ihn anzuhimmeln. 

Für mich war das eher eine Belastung, hervorgehoben zu werden. Das war nie meine Welt, ich war in der Beziehung eher demütig, habe an mir gezweifelt, wollte immer mehr, war letztendlich nie zufrieden. Mir ging es immer darum etwas zu verbessern, bei mir oder bei anderen. Und das habe ich auch in meiner Arbeit als Trainer so gesehen. Und ich bin glücklich darüber, dass ich in meiner Zeit als Trainer so viele Spieler hatte, denen ich den Weg mit unserer gemeinsamen Arbeit in die Bundesliga eröffnet hatte. Sie hatten neben ihrem Ehrgeiz auch das Glück, zu mir zu kommen und sich in der Bundesliga etablieren zu können. Insofern schaue ich auf Jahre zurück, in denen ich sehr, sehr viele Menschen entwickelt und ihnen eine Freude gemacht habe. Damit bin ich schon zufrieden und glücklich. 

Stichwort junge Spieler, Sie waren ja als »Quälix« bekannt. War das manchmal ein Hindernis, junge Spieler für sich zu gewinnen, weil sie Ehrfurcht davor hatten? 

Nein, das glaube ich nicht. Aber ich habe immer klipp und klar gesagt: Ich will Titel, ich will Meister werden! Das heißt, wir tun mehr als andere. Ich wollte Spieler, die leistungswillig waren und die sich mit ihrer Mannschaft identifizieren. Man hat als Bundesligatrainer nicht so viel Zeit, da man zum sofortigen Erfolg verdammt ist. Das habe nicht ich erfunden. So hat sich die Branche entwickelt und so habe ich diese Eigenart der Branche akzeptiert. Deswegen braucht man als Trainer leistungsbereite Spieler und kann sich nicht so lange auf einzelne Spieler einlassen, die nicht wissen, was sie wollen. Vor allem wenn Sie in »kleineren« Vereinen tätig sind, brauchen Sie die Leistung der Spieler im selben Moment und nicht erst Monate später. 

Sie sind ein sehr ehrgeiziger Typ. Warum?

Mich hat meine Jugendzeit sehr geprägt; auch diese Läufe, die ich absolviert habe, weil ich den Bus verpasst hatte. Ich bin gegen Amerikaner gelaufen, gegen Russen, Franzosen, Italiener. Es waren ungefähr fünf Kilometer und ich bin immer vorweg gelaufen und habe die Gruppe angeführt, habe alle Angriffe abgewehrt. Und jedes Mal habe ich gewonnen. Ich kann Ihnen nicht sagen, woher das kam, ich war immer der Erste im Ziel. Ich will auch immer gewinnen, und habe auch – verraten Sie es nicht weiter – wirklich Schwierigkeiten, wenn ich nicht gewinne. Auch wenn wir in der Familie spielen, gewinne ich meistens, weil der Rest der Familie froh ist, wenn ich gewinne (lacht).

Sie haben auch außerhalb des Fußballs immer Kontakt zur Wirtschaft gesucht. Wäre es für Sie auch infrage gekommen, Manager zu werden?

Nein. Ich bin an der Gesellschaft interessiert und dadurch natürlich auch an der Wirtschaft. Ich bin auch ein Fan der sozialen Marktwirtschaft, so wie sie in Deutschland vor 50 Jahren mal gelebt wurde. Und ich halte diese soziale Marktwirtschaft für das wirklich sinnvollste Modell für eine Gesellschaft. Wir sind leider ein Stück von diesem Weg abgekommen. Abgesehen davon ist mein Leben der Fußball, da kenne ich mich am besten aus, da habe ich meine Erfahrungen gesammelt. Es wäre Blödsinn gewesen, irgendwas anderes zu machen. Deswegen habe ich meine Erfahrung, die ich als Spieler und Trainer im Profi-Fußball gesammelt habe, an andere weitergegeben. Und ich glaube, dass Entwicklungen im Fußball schneller zu erkennen sind, als in der Gesellschaft. 

Als Sie beim HSV waren, haben Sie laut Wikipedia bei einem börsennotierten Unternehmen gearbeitet.

Da hat Wikipedia nicht ganz unrecht. Es ist fast richtig: Ich war nicht in einem großen Unternehmen, ich war bei einem Börsianer in Hamburg, den ich kennengelernt hatte. Das hat mich interessiert. Ich wäre wahrscheinlich nicht so ein guter Fußballspieler geworden, wenn ich nicht auch Spiel-Talent gehabt hätte und eine Spieler-Natur wäre. Und diese Spieler-Natur beeinflusst letztendlich auch mein Verhalten. Und so habe ich mir, nachdem ich meine Trainer-Lizenz gemacht hatte, diese Branche aus der Nähe angeguckt und das hat mich angesteckt. Ich bin auch nach wie vor an dem wirtschaftlichen Leben interessiert und ich verfolge natürlich das Wirtschaftsgeschehen, weil ich eben mein Geld auf dem Aktienmarkt anlege und manchmal auch einiges riskiere. 

Sie sind aktiver Investor?

Ja. Ich bin wie gesagt eine Spieler-Natur, aber trotzdem mit gesundem Menschenverstand, insofern habe ich nie das ganze Geld, das ich verdient habe, in das Börsengeschehen gesteckt. Ich habe einen Teil meines Geldes vernünftigerweise jemandem anvertraut, der über Jahrzehnte bewiesen hat, dass er, was den Kapitalmarkt angeht, Erfolge vorweisen kann.

Haben Sie in den letzten Jahren mal eine interessante Aktie entdeckt?

Ein blindes Huhn findet natürlich auch mal ein Korn (lacht). Insofern hatte ich doch ein bisschen Glück. Ich bin als Spieler risikoreicher als andere und habe mich immer mal wieder umgesehen, nach Unternehmen, die auf dem Sprung nach vorne sind. 2018 oder 2019 habe ich Aktien der Firma »va-Q-tec« gekauft, eine kleine Firma in Würzburg. Ich habe mich über die Firma erkundigt und mir Aktien zu einem günstigen Einstiegspunkt im einstelligen Bereich gekauft. Durch Corona ist die Aktie hochgeschossen, im Hoch stand sie bei rund 45 Euro. Es hat nicht lange gedauert, bis sie wieder zurückgefallen ist – fast bis zum Einstiegskurs.

Sie haben sie gehalten?

Ja. Ich habe Aktien dieses Unternehmens gekauft, das am Anfang seiner Entwicklung war. Die Firma hat eine Lösung gehabt, wie man Temperaturen über drei, vier Tage halten kann, zum Beispiel bei Arzneimitteltransporten – ohne Energie zuzuführen. Das war natürlich gerade für Impfstoffe richtig gut, davon hat die Firma sehr profitiert. Letztes Jahr gab es dann ein Übernahmeangebot von einer Private Equity Gesellschaft aus Schweden. Ich habe dann schweren Herzens die Aktien für 26 Euro abgegeben. Ich bin sicher, dass die Firma sich weiterentwickeln wird, weil sie eine Lösung hat, die zukünftig gebraucht wird. 

Sind Sie Einzelgänger oder ein Team-Typ? Es klingt so, als ob Sie der Wolf sind, der fürs Team kämpft. 

Das haben Sie jetzt schön ausgedrückt, das hätte ich nicht besser ausdrücken können. Als Kind war ich viel alleine und habe im Grunde genommen immer alles alleine gemacht. Ich hatte immer einen gewissen Stolz und nie gerne nach Hilfe gefragt. Dadurch habe ich mich entwickelt – so wie ich bin. Das hat wie immer alles Vor- und Nachteile. Ich bin, wie gesagt, auf der Straße groß geworden. So wurde ich auch geprägt. Ich habe mich fast mein ganzes Leben in der Kabine umgezogen, immer unter Männern, da hat man natürlich auch anders geredet. Ich war nicht immer so ganz kompatibel mit der Umgebung. Insofern haben Sie natürlich recht: Ich bin einerseits mehr oder weniger Einzelgänger, mache auf der anderen Seite aber alles, was in meiner Macht steht, für meine Mannschaft. 

Ich helfe gerne, aber ich frage ungern nach Hilfe. Wenn ich etwas bekomme, möchte ich dafür auch gerne etwas tun. Deswegen war die Fußballmannschaft der ideale Ort für mich, weil ich meine Leistungsfähigkeit für die Mannschaft einsetzen konnte. Deswegen habe ich mich immer wieder gewundert, wenn verbreitet wurde: »Der Magath ist kein Teamplayer«. Wenn jemand ein Teamplayer war oder ist, dann ich. Sonst hätte ich ja auch meine Erfolge als Spieler nicht haben können. In der B-Klasse wurde ich Meister, in der Oberliga bin ich Meister geworden, ich bin Deutscher Meister geworden, in sämtlichen Mannschaften habe ich Erfolg gehabt. Wenn man einmal Erfolg hat, kann das natürlich auch Glück sein, aber wenn man immer wieder Erfolg hat, dann hat man etwas dazu beigetragen. Insofern bin ich natürlich ein Teamplayer, ohne dass ich übersehe, dass auch die Einzelleistung wichtig ist für ein Team. 

Sie haben sechs Kinder. Gibt es auch den Familienmenschen Magath? Haben Sie versucht, sich in die Erziehung einzubringen?

Auch das habe ich in einer Fußballmannschaft gelernt: Sie müssen, wenn Sie mit anderen zusammenarbeiten, den anderen Vertrauen schenken, und Sie müssen sich Vertrauen selbst erarbeiten. Das ist ganz wichtig für das Zusammenleben, das Zusammenwirken und das Zusammenspielen. Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich wollte immer Familie, ich wollte immer mindestens drei Kinder, weil ich ein Einzelkind war und allein gelebt habe. Das hat mich insoweit geprägt, dass ich ein sehr freiheitlich denkender Mensch bin und möchte, dass jeder entscheiden kann, was er will, solange er anderen damit nicht schadet. 

Als Trainer musste ich den Arbeitsplatz öfter wechseln, ohne es zu wollen. Das konnte ich meiner Familie natürlich nicht zumuten, also haben wir uns 2004 dann entschlossen, dass die Kinder in München aufwachsen und ich alleine nach Wolfsburg, Gelsenkirchen oder London gehe. Und meine Frau ist dabei in erster Linie für die Kinder und den Zusammenhalt der Familie zuständig. Wir haben uns, wann immer es ging, gesehen, aber ich war zu oft nicht vor Ort und halte es dann auch nicht für zielführend, wenn man versucht, aus der Entfernung ständig gute Ratschläge zu geben. Insofern habe ich die Erziehung vor allem meiner Frau überlassen. Das gilt genauso für Fußball-Trainer. Ein Trainer ist verantwortlich für die Mannschaft. Das kann mir kein Konditionstrainer abnehmen, das kann mir kein Torwart-Trainer abnehmen, das kann mir auch kein Manager abnehmen oder auch kein Zeugwart. Als Fußballtrainer habe ich die Verantwortung für den Auftritt der Mannschaft und deswegen muss ich entscheiden, was zu tun ist. Daher ist meine Einstellung zu Führungsaufgaben und zur Übernahme von Verantwortung heute nicht mehr überall en Vogue. Denn heute soll vor allem im Kollektiv entschieden werden. Flache Hierarchien und Entscheidungen im Kollektiv sollen dabei der einzige Schlüssel zum Erfolg sein, ich frage mich in vielen Bereichen nur, wo ist denn der Erfolg?

Sie sind mit dem Status quo nie zufrieden gewesen, Sie sind jemand, der es immer besser machen will. Haben Sie Kopfschmerzen, wenn Sie sich die Entwicklung Deutschlands ansehen?

Ich habe immer gesagt, ich bin kein Politiker, ich bin nur Bürger. Insofern kann ich Ihnen da nur Recht geben. Ich bin auf der einen Seite völlig überrascht und irritiert, und mir geht es wie fast allen Menschen, ich bin ein bisschen orientierungslos. Ich weiß nicht, wie ich das alles einordnen soll. 

Könnten Sie sich vorstellen, dass es gewollt ist?

Das wäre eine krasse Vorstellung. Wenn das so sein sollte, dann hat es allerdings den Anschein, dass einige von denen die das wollen, zu wenig Ahnung haben von dem, was sie da tun. Fußball ist eine kleine Welt, geprägt von der Gesellschaft. Insofern gehört es auch zusammen. Vor fünf Jahren standen zwei Vereine, der 1. FC Nürnberg und Hannover 96, kurz vor Weihnachten weit unten in der Tabelle. Mein Reflex ist dann: Wenn jemand in Abstiegsgefahr geraten ist, dann wehrt er sich irgendwie dagegen abzusteigen. Ich habe mir von außen gedacht, wie kann es sein, dass in diesen Vereinen kein Ansatz da ist, etwas zu verändern? Man muss was verändern, damit es besser wird. Es muss ja nicht gleich ein Trainerwechsel sein. Aber nichts ist passiert und beide Vereine haben es geschafft, am Ende der Saison abzusteigen. 

Oder das Aus bei der Weltmeisterschaft 2022 nach der Vorrunde: Ich lese nicht alles und kriege nicht alles mit, aber ein Verantwortlicher soll nachher gesagt haben: »Die WM hat Spaß gemacht, ich wüsste nicht, warum ich zurücktreten soll.« Da kann ich dann sagen: Glückwunsch! Die Verantwortlichen waren zufrieden, es hat wenigstens Spaß gemacht. Man muss wohl nicht immer gewinnen. Insofern bin ich dann vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Das Dumme ist: Ich werde 70 und ich will immer noch gewinnen. 

 

 

Felix Magath ist Fußballtrainer- und manager und ehemaliger Fußballspieler. Als Fußballer wurde er Europameister, zweimal Vizeweltmeister, mehrfacher deutscher Meister und holte zwei Europapokale. Als Trainer gewann er mit dem FC Bayern zweimal in Folge das Double und mit dem VfL Wolfsburg die deutsche Meisterschaft. Den VfB Stuttgart führte Magath 2003 zur deutschen Vize-Meisterschaft und damit zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte in die Champions League. Zuletzt rettete er als Trainer den Hertha BSC vor dem Abstieg.

Aus: Erfolg Magazin 03/2023

Felix Magath im Interview: »Ich bin eine Spieler-Natur«
Bild: Jens Hartmann / M8 Media House