Kira Geiss: »Wichtiger als Schönheit ist Akzeptanz«

Kira Geiss: »Wichtiger als Schönheit ist Akzeptanz«

Der Wunsch nach Schönheit beschäftigt die Menschen schon seit Jahrtausenden. Doch wie Schönheit genau definiert wird – das ändert sich fast schon täglich. Trotzdem wird Social Media vor allem von Fotos von durchtrainierten, schlanken und oft auch bearbeiteten Körper überschwemmt. Auch Kira Geiss ließ sich von diesen Scheinwelten beeinflussen – so sehr, dass sie ihr eigenes Aussehen in Frage stellte und in eine Essstörung fiel. Als sie diese später überwunden hatte, gewann sie im Alter von 20 Jahren den Titel Miss Germany 2023. Dieser zeichnet heutzutage jedoch nicht mehr die schönste Frau Deutschlands aus, sondern bietet Frauen mit Inhalten und Engagement eine Bühne. Kira trat mit der Thematik »Förderung der jungen Generation und der richtige Umgang mit Social Media« an und arbeitet seit ihrem Sieg mit diesen Schwerpunkten in Politik, Wirtschaft, Kirche und Sozialbereich. In ihrem neu erschienenen Buch »Bittersüße Realität« berichtet sie von ihrer bewegenden Geschichte und dem Blick hinter die Kulissen der Glitzer- und Glamourwelt. Im Interview beschreibt sie außerdem, wie ihre Selbstwahrnehmung sich seit ihrem Gang in die Öffentlichkeit verändert hat.

Kira, du beschreibst in deinem Buch »Bittersüße Realität« unter anderem die Probleme, die du früher mit deinem Aussehen hattest. Was würdest du heutzutage Menschen raten, die mit ihrem Körper unzufrieden sind?

Mein erster Ratschlag wird immer sein: Vertrau dich jemandem an und hole dir Hilfe! Manchmal ist sogar mehr als nur das Gespräch mit einer guten Freundin angebracht. In meinem Buch erzähle ich im Kapitel »Körperturbulenzen«, wie ich Stück für Stück in die Essstörung gerutscht bin, wie sie meine sozialen Kontakte sowie die Sicht auf mich selbst verändert, beeinflusst und aufgefressen hat. Ich spreche auch darüber, wie sie mich manchmal noch heute in meinem Alltag begleitet und was mich in der Medienwelt, in der ich mittlerweile tätig bin, hin und wieder triggert. Sie ist nicht vollkommen verschwunden und das wird sie vermutlich auch nie, aber heute kontrolliert sie mich nicht mehr und das war ein wichtiger Schritt! Doch ohne, dass ich mein Problem akzeptiert und vor einer anderen Person laut ausgesprochen hätte, wäre ich vermutlich nie an diesen Punkt gekommen. Deswegen kann ich auch das »sich öffnen« von Herzen empfehlen! Wenn wir krank sind, gehen wir zum Arzt. Wir haben liebe Leute um uns, die uns gesund pflegen und in der Genesung unterstützen. Wir bitten um Hilfe. So dürfen wir das auch bei einer Krankheit handhaben, die man nicht auf den ersten Blick erkennen kann und die größtenteils im Kopf stattfindet. Wir müssen nicht alleine kämpfen. Und diese Erkenntnis war mein erster Schritt in die richtige Richtung. Denn wenn wir uns anderen anvertrauen, können diese Menschen auch in Zeiten, in denen wir uns eigentlich stark fühlen, wachsam sein, damit man nicht unwissend zurück in alte Muster rutscht.

Bist du mittlerweile zu 100 Prozent zufrieden mit deinem Aussehen oder kommt es trotzdem noch vor, dass du dich mit anderen Menschen vergleichst?

Ich liebe meinen Körper und kann ihn heute viel mehr wertschätzen als ich es früher getan habe. Er ist stark. Er ist gesund. Er ist wunderschön. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich jeden Tag so über mich denke. Natürlich gibt es Tage oder sogar längere Phasen, in denen ich mich unwohl fühle oder sogar richtig unzufrieden bin. Aber um ehrlich zu sein, ich will mich auch gar nicht immer schön fühlen müssen. In dem Kapitel »Der Blick hinter die Kulissen« habe ich unter anderem geschrieben: »›Jeder Körper ist schön‹ lautet der Claim der Body-Positivity-Bewegung. Ja, ich finde den Ansatz richtig, dass jeder Körper schön ist. Doch was dabei mitschwingt, ist, dass jeder Körper immer schön ist. Dehnungsstreifen nennt man jetzt ›Tiger Stripes‹, Cellulite und Körperbehaarung werden gefeiert. Sicherlich Meilensteine im Prozess der Wertschätzung von echten Körpern. Doch was der Gedanke ›Ich bin immer schön‹ in mir verursacht ist Druck und Panik. Ich liebe meinen Körper und meine Dehnungsstreifen nicht jeden Tag. Ich will mich nicht immer schön finden müssen! Echte Annahme des eigenen Körpers beginnt für mich damit, sich einzugestehen, dass man sich auch mal nicht schön findet. Denn fast wichtiger als Schönheit ist Akzeptanz.«

Damit möchte ich betonen, dass ich mich eben nicht jeden Tag mit meinem Körper und Aussehen auseinandersetzen möchte. Aber darauf würde es hinauslaufen, wenn es mein Ziel wäre, mich jeden Tag schön zu finden. Denn mein Körper verändert sich ständig! Ich möchte ihn stattdessen lieber wertschätzen und akzeptieren und mich nicht krampfhaft dazu zwingen, immer alles an mir zu feiern.

Inwieweit beeinflusst die Unterhaltungsbranche unser Bild der Frau? 

Hier möchte ich am liebsten von eigenen Erfahrungen erzählen, die meinen Blick auf das Bild der Frau und auch auf mich etwas verändert haben. Nicht selten werden Bilder von mir im Nachhinein bearbeitet oder die Zähne geweißt und Hautunreinheiten entfernt. Und auch wenn ich zu Gast in Talkshows bin, werde ich im Voraus von einer Hairstylistin und Make-Up Artistin hergerichtet. Man könnte fast schon sagen, ich werde perfektioniert. All das führt dazu, dass mit der Zeit ein makelloses Bild von mir in der digitalen Welt entsteht. Aber jenes ist natürlich ein Trugschluss! Und das erkennen auch verschiedenste Personen, die mich bei einem Live-Event treffen und bemerken, dass ich ohne Styling viel jünger oder auch müder aussehe. Für mich war wichtig zu verstehen, dass es zwecklos ist, sich mit Persönlichkeiten, die im TV, bei Social Media oder in der Werbung gezeigt werden, zu vergleichen. Denn wie bei mir werden all jene im Voraus oder Nachhinein optimiert. Man könnte also sagen: Ja, die Unterhaltungsbranche beeinflusst das Bild der Frau, wenn wir uns nicht immer wieder vor Augen führen, dass die Version, die wir hier sehen, die »perfekteste« ihrer selbst ist.

Und wenn wir uns dies nicht vor Augen führen, können schnell ungesunde Vorbilder und unrealistische Schönheitsideale entstehen, die früher mich und auch heute noch viele andere Frauen negativ prägen.

Welche weiblichen Role-Models hast du selbst?

Die Influencerin »kikidoyouloveme« inspiriert mich in ihrem Umgang mit ihrem Körper und ihrer offenen und authentischen Art. Die Gründerin Mona Ghazi inspiriert mich durch ihr Durchhaltevermögen und ihr Engagement in jungen Jahren. Sie zeigt, dass jung sein keine Ausrede ist und man auch mit 16 sein erstes Unternehmen gründen kann. Meine Mutter inspiriert mich mit ihrem großen Herz und in ihrer hingebungsvollen Art für die Menschen in ihrem Umfeld. Sie verliert kein schlechtes Wort über andere. Phia Quantius inspiriert mich durch ihren öffentlichen Umgang mit ihrer Krankheit. Sie zeigt, dass man sich für eine Krankheit nicht schämen oder verstecken muss. Alle haben Facetten, die mich bewegen und positiv beeinflussen.

Inwieweit unterscheidet sich deine heutige Definition von Erfolg von der von früher?

Wer definiert denn ein erfolgreiches Leben? Für manche bedeutet erfolgreich sein, viel Geld zu verdienen oder in einer Führungsposition zu arbeiten. Für andere heißt es, eine Familie zu gründen oder sich mit einem großen Herz sozial zu engagieren. Mit 13 dachte ich, richtig erfolgreich bin ich dann, wenn ich in Fünf-Sterne-Hotels schlafe, Designerkleidung trage und im Fernsehen auftrete. Heute habe ich all das in meinem Leben und weiß, dass dies ein Trugschluss und eine einseitige Sicht auf Erfolg gewesen ist!

Auch wenn ich diese Aussage von einem durchaus privilegierten Standpunkt treffe, bin ich der Meinung, dass Luxusgüter oder soziale Anerkennung für einen Titel jeglicher Art weder gänzlich glücklich machen noch Erfolg definieren. Erfolg sollte kein krankhafter Wettkampf sein. Es geht nicht darum, sich an anderen zu messen. Es geht vielmehr um das eigene Wachstum. Ich will nicht besser sein als mein Gegenüber, ich will besser sein als mein altes Ich! Ich will in der Arbeit, in der ich tätig bin, richtig gut werden!

Den Erfolg meiner Arbeit möchte ich nicht an Statussymbolen messen, sondern daran, ob ich selbst mit dem zufrieden bin, was ich leiste. Und ich selbst würde mich als erfolgreich beschreiben, denn ich darf gesunde Beziehungen pflegen und täglich eine tiefe Erfüllung in meinem Beruf erfahren. Das ist kostbarer als jede Handtasche oder jeder Luxushotelaufenthalt.

Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du etwas anders machen? Würdest du trotzdem an der Miss-Germany-Wahl teilnehmen oder viel lieber ein »normales« Leben führen?

Ich führe ein normales Leben! Durch den Sieg bei Miss Germany bin ich kein anderer Mensch geworden. Lediglich meine Arbeit und die Größe meines Netzwerkes haben sich verändert! Aber im Herzen bin ich die gleiche wie vor dem Wettbewerb. Mir ging es bei Miss Germany nie darum, dass Menschen meinen Namen kennen oder ich einen Titel überreicht bekomme! Ich wollte diese Plattform für die Thematik, für die mein Herz brennt. Ich wollte diese Plattform für junge Menschen, um sie zu ermutigen und zu fördern und um zu zeigen, dass man auch in jungen Jahren Verantwortung übernehmen kann. Mein ganzes Leben ist von Jugendarbeit geprägt und Miss Germany hat mir dabei geholfen, meine Arbeit und mein Wirken noch umfangreicher gestalten zu können.Und dennoch hatte ich Respekt davor, mich durch den Schritt in die Öffentlichkeit zu verändern, ohne dass ich es selbst merke. Deshalb gibt es verschiedene Menschen, die mich in meiner Arbeit begleiten, als Ratgeber fungieren und mir Feedback geben. Einen Mentor oder eine Mentorin zu haben, würde ich jedem raten! Egal wie alt er oder sie ist. Zudem habe ich auch manche Themen wie meine Familie oder Beziehungen bewusst aus der Öffentlichkeit gehalten, um diese genauso führen zu können wie vor dem Sieg. Ich würde mich immer wieder bei Miss Germany bewerben und bereue diesen Lebensweg keineswegs, denn ich habe für mein Herzensthema eine so große Bühne bekommen, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Mein Herz ist hierfür voller Dankbarkeit.

Kira Geiss: »Wichtiger als Schönheit ist Akzeptanz«

Unsere Gesprächspartnerin: Kira Geiss ist Autorin, Gestalterin für visuelles Marketing, Gründerin einer Jugendgemeinde, Jugendbeauftragte des Gnadauer Verbands und Mitglied im Bündnis der jungen Generation. Zudem ist sie Speakerin, angehende Journalistin und Miss Germany 2023.

»Bittersüße Realität«

von Kira Geiss

272 Seiten

Erschienen: August 2024

adeo Verlag

ISBN: 978-3-86334-397-2

Bittersüße Realität

Bilder: Paul Meckes, adeo Verlag