Ein Expertenbeitrag von Uwe Rembor
In einer Restrukturierung gleicht das Management oft einem Hochseilakt. Das Unternehmen ist wirtschaftlich angeschlagen, Entscheidungen müssen schnell getroffen werden, und gleichzeitig wollen verschiedenste Anspruchsgruppen – die Stakeholder – eingebunden werden. Jeder von ihnen hat eigene Interessen, eigene Prioritäten und einen individuellen Blick auf die Krise. Erfolgreiche Restrukturierung bedeutet deshalb nicht nur, ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, sondern dieses Konzept so zu vermitteln, dass alle relevanten Stakeholder es mittragen.
Wer sind die relevanten Stakeholder?
Im Umfeld einer Restrukturierung sind typischerweise folgende Gruppen entscheidend:
- Mitarbeiter: Sie sind für die Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts unverzichtbar und zugleich die ersten, die von Ängsten und Unsicherheit betroffen sind.
- Betriebsrat und Gewerkschaften: Ihre Zustimmung ist in vielen Fällen Voraussetzung für sozialverträgliche Maßnahmen.
- Banken und Finanzierer: Sie entscheiden über die Liquidität und damit über die Überlebensfähigkeit des Unternehmens.
- Lieferanten: Sie sichern die Versorgung mit Rohstoffen und Komponenten.
- Kunden: Sie wollen Gewissheit über Lieferfähigkeit und Qualität.
- Eigentümer und Investoren: Sie erwarten eine Lösung, die ihren Kapitaleinsatz schützt oder den Wert des Unternehmens langfristig sichert.
- Öffentlichkeit und Medien: Sie beeinflussen das Bild, das in Politik, Markt und Gesellschaft entsteht.
Jede dieser Gruppen verfolgt eigene Interessen – und nicht selten widersprechen diese einander.
Ziel: Interessenausgleich und Vertrauensaufbau
Ein zentrales Ziel im Stakeholder-Management ist es, die verschiedenen Interessen zu identifizieren, transparent zu machen und – wo möglich – in Einklang zu bringen. Gleichzeitig gilt es, Vertrauen aufzubauen und zu halten. Denn Vertrauen ist die Währung, mit der Restrukturierer arbeiten.
Ein Beispiel: Mitarbeiter wollen Sicherheit, Banken wollen harte Einsparungen. Wird nur auf die Banken gehört, droht ein Exodus der Belegschaft. Wird nur auf die Mitarbeiter gehört, fehlt die notwendige Kostenbasis für die Finanzierung. Der Erfolg liegt darin, beide Seiten mitzunehmen – auch wenn dies Kompromisse erfordert.
Kommunikation als Schlüssel
Stakeholder-Management ist in erster Linie Kommunikationsmanagement. Jede Gruppe braucht eine eigene, abgestimmte Ansprache:
- Mitarbeiter wollen wissen: »Habe ich noch meinen Arbeitsplatz?«
- Banken wollen wissen: »Stimmt der Cashflow und gibt es ein belastbares Konzept?«
- Kunden wollen wissen: »Kann ich mich weiterhin auf euch verlassen?«
- Lieferanten wollen wissen: »Wann bekomme ich mein Geld?«
Die Kunst liegt darin, diese Fragen ehrlich und gleichzeitig motivierend zu beantworten – ohne Widersprüche zwischen den Botschaften entstehen zu lassen. Ein konsistentes Narrativ ist dabei entscheidend.
Frühzeitige Einbindung
Viele Restrukturierungen scheitern, weil Stakeholder zu spät eingebunden werden. Wer Gläubiger erst informiert, wenn die Liquidität bereits versiegt ist, hat kaum noch Handlungsspielraum. Wer Mitarbeiter erst bei der Verkündung von Entlassungen einbezieht, riskiert Vertrauensverlust und Widerstand.
Frühzeitige Einbindung bedeutet nicht, jede Zahl oder jede Unsicherheit offenzulegen. Es bedeutet vielmehr, die Stakeholder rechtzeitig in den Prozess einzubeziehen, um sie als Partner und nicht als Gegner zu gewinnen.
Der Umgang mit Konflikten
In jeder Restrukturierung gibt es Zielkonflikte. Der Betriebsrat will Abfindungen, die Banken wollen Liquidität schonen. Kunden verlangen Stabilität, während Lieferanten Vorkasse fordern.
Hier braucht es einen neutralen Vermittler, der die unterschiedlichen Interessen moderiert. Oft übernimmt ein externer CRO (Chief Restructuring Officer) diese Rolle. Seine Unabhängigkeit von bestehenden Loyalitäten ermöglicht es, Konflikte sachlich zu verhandeln und tragfähige Kompromisse zu finden.
Stakeholder-Mapping als Werkzeug
Ein bewährtes Instrument ist das sogenannte Stakeholder-Mapping. Dabei werden alle relevanten Anspruchsgruppen systematisch erfasst und in zwei Dimensionen bewertet:
- Einfluss (hoch/niedrig): Wie stark können sie den Prozess beeinflussen?
- Betroffenheit (hoch/niedrig): Wie sehr sind sie selbst von den Maßnahmen betroffen?
Stakeholder mit hohem Einfluss und hoher Betroffenheit – etwa Banken, Betriebsrat oder Großkunden – müssen besonders intensiv betreut werden. Stakeholder mit geringerem Einfluss benötigen zwar weniger Ressourcen, dürfen aber ebenfalls nicht vernachlässigt werden.
Best Practices im Stakeholder-Management
Aus der Praxis lassen sich einige Erfolgsfaktoren ableiten:
- Klarheit und Konsistenz: Unterschiedliche Botschaften an verschiedene Gruppen sind gefährlich.
- Regelmäßigkeit: Ein einmaliges Informationsgespräch reicht nicht – Kommunikation muss kontinuierlich erfolgen.
- Transparenz mit Maß: Ehrlich über Fakten sprechen, ohne unnötig Angst zu schüren.
- Partnerschaftlicher Ansatz: Stakeholder nicht als Gegner sehen, sondern als Mitgestalter.
- Schnelle Erfolge kommunizieren: Kleine Fortschritte sichtbar machen, um Vertrauen zu stärken.
Fazit
Stakeholder-Management ist einer der kritischsten Erfolgsfaktoren jeder Restrukturierung. Es geht nicht nur um harte Zahlen, sondern darum, ein Netzwerk von Interessen zu steuern und Vertrauen aufzubauen. Wer seine Stakeholder ignoriert, riskiert Widerstand, Verzögerungen oder gar das Scheitern des gesamten Prozesses.
Umgekehrt gilt: Ein kluges Stakeholder-Management kann selbst schwierige Maßnahmen tragfähig machen. Es verwandelt Gegner in Partner und Skeptiker in Unterstützer. In Zeiten der Krise ist das nicht nur hilfreich, sondern oft die Voraussetzung für den Neuanfang.
Der Autor:
Uwe Rembor ist Interim Manager und auf Restrukturierung, Vertriebsoptimierung und Unternehmensfinanzierung spezialisiert.
Er kann auf über 35 Jahren internationale Führungserfahrung und einem Track Record von mehr als 20 Restrukturierungen zurückblicken.
Zudem wurde er 2023, 2024 und 2025 als Exzellenzberater der Deutschen Wirtschaft ausgezeichnet und ist TOP3 Führungskraft Vertrieb DACH.
Beitragsbild: privat, Depositphotos / Kzenon