Storytelling: Mit 1.000 Liedern in der Tasche holte Steve Jobs alle ab

Storytelling: Mit 1.000 Liedern in der Tasche holte Steve Jobs alle ab

Die Menschen erzählen sich von Anbeginn Geschichten. Bis heute spiegelt sich das in allen Bereichen wider – nur im Business nicht. Unternehmensberater Alexander Christiani erzählt in unserem Interview, warum das Verschwendung einer erprobten Erfolgsstory ist und wieso es wichtig ist, bei den Kunden Emotionen zu wecken. Zudem nennt unser Gesprächspartner erfolgreiche Beispiele.

Herr Christiani, warum löst Storytelling im Marketing den guten alten Slogan ab? Warum müssen es jetzt Geschichten sein? 

Also zunächst mal: Es müssen keine Geschichten sein. Aber es ist schon merkwürdig, dass Menschen seit 100.000 Jahren an  Lagerfeuern Geschichten erzählen, dass Journalisten und Medien schon vor mehr als 100 Jahren die Story entdeckt haben, dass das Fernsehen uns jeden Abend im Nachtprogramm Storys bringt und wir alle den ganzen Tag Geschichten erzählen und von ihnen fasziniert sind.

Und nur die Businesswelt glaubt noch, auf die drei Wirkungsvorteile von Geschichten verzichten zu können: Geschichten wecken vom ersten Satz an dramatisch viel Aufmerksamkeit, schießen den Zuhörer in einen emotionalen Film, im Marketing also in einen Nutzenfilm, und enden mit einer »Moral von der Geschicht‘« – im Marketing also einem impliziten Kaufappell beziehungsweise einer Kaufeinladung. Insofern ist die Frage ehrlich gesagt eher: Warum ist Storytelling im Business und im Marketing erst jetzt und nicht schon vor 100 Jahren entdeckt worden, wie in so ziemlich allen anderen Kommunikationsbereichen unseres Lebens eben auch?

Kunden und Käufer haben ja nicht viel Zeit und sie sind es gewohnt, kurze Inhalte zu konsumieren. Wie kann man seine Botschaft mit einer Erzählstruktur versehen, die dem gerecht wird?

Menschen sind es gewohnt, klare Inhalte zu konsumieren und wollen klare Inhalte konsumieren. Die Beschreibung »Mp3 Player mit 6 GB auf der Festplatte« ist sicher ein kurzer Inhalt, aber salopp gesagt, sie fasziniert uns nicht sonderlich. Der Nutzenfilm, den Steve Jobs beim iPod daraus gemacht hat –»1000 Lieder in deiner Hosentasche« – das ist nicht nur ein kurzer Inhalt, sondern es ist ein sehr verständlicher Inhalt und ein Inhalt, bei dem man den Nutzen emotional spürt.

Und die Botschaft hat dann eine Erzählstruktur, wenn der Zuhörer den Inhalt vor seinem geistigen Auge sehen kann. Das lässt sich gut illustrieren mit der alten Metapher des Werbetexters, der an einem wunderschönen Maimorgen in New York zur Arbeit geht und auf dem Weg dorthin im Central Park einem Bettler begegnet, der einen Hut vor sich aufgestellt hat. Der Texter greift in seine Tasche, stellt aber fest: Er hat kein Münzgeld dabei, will dem Bettler aber trotzdem helfen und fragt ihn: »Sagen Sie mal, soll ich was Vernünftiges auf ihr Schild schreiben?« Und der Bettler sagt: »Ja, wenn Sie meinen, dass das funktioniert, herzlich gern.« Er bekommt einen anderen Text auf das Schild und kann kaum glauben was dann anschließend passiert. In den nächsten Stunden sammelt er mehr Geld ein, als gestern den ganzen Tag und das geht so weiter bis zum Feierabend. Abends kommt der Texter dann zurück und spricht den Bettler an und sagt: »Und wie war Ihr Tag?« Und der sagt: »Ja gigantisch, ich habe mehr eingenommen, als in der ganzen letzten Woche. Sagen Sie mir nur, was haben Sie auf das Schild geschrieben?« Und der Texter antwortet: »Sie hatten geschrieben: Helft dem Blinden. Ich habe geschrieben: Es ist Mai, die Blumen blühen und ich kann nichts sehen.« Das ist die Erzählstruktur einer Botschaft.

Funktioniert Storytelling für jede Branche und jedes Produkt?

Storytelling funktioniert für jede Branche und jedes Produkt, bei dem Menschen entscheiden. Das ist heute, von manchen Börsenprogrammen abgesehen, ja noch weitestgehend der Fall und ein besonders wichtiger Punkt, den ich für das Storytelling hervorheben möchte, ist Folgender: Der Letztentscheider über ein Atomkraftwerk, der Letztentscheider über eine große Infrastruktur, ist oft der Finanzentscheider, also jemand, der nicht ganz tief im Thema steckt und sich das Thema eher aus einer Laienperspektive vorstellen muss. Und dort helfen gute Metaphern, gute Bilder, und gute Best-Practice-Beispiele in Storyform, solchen Entscheidern auch sehr komplexe Sachverhalte sehr gut verständlich zu machen und ihren Nutzen herauszuarbeiten.

Kann man bereits im Vorfeld misslungene Kampagnen mit einer authentisch erzählten Storytelling-Kampagne wiedergutmachen?

Ich denke, es hängt davon ab, wie man »wiedergutmachen« definiert. Typischerweise ist es ja bei misslungenen Kampagnen so, dass der Zuhörer sie entweder gar nicht beachtet hat oder vielleicht nur kurz, aber dann gedanklich und inhaltlich wieder zur Seite geschoben hat, weil sie ihn emotional nicht angesprochen haben. Mit anderen Worten: Die meisten misslungenen Kampagnen hinterlassen ja in der Erinnerung und im Langzeitgedächtnis der Kunden, gottseidank kann man in dem Fall sagen, keine Spuren. Das bietet die Möglichkeit, ein neues starkes Bild aufzubauen, wo vorher keines war. Von daher sind die Chancen aus meiner Sicht sehr gut.

Welche Best Practices für wirksames Storytelling im Marketing gibt es und was macht diese Beispiele so gut?

Es gibt sicher hunderte, wenn nicht tausende Beispiele für exzellentes Storytelling. Lassen Sie mich hier nur drei Beispiele aus der Konzernwelt nennen, die fast jeder auf diesem Planeten kennt: Redbull, Nike und Harley Davidson.

Bei Redbull ist das Faszinierende, dass sie sich als Mentor für etwas Adrenalin in einem ansonsten überzivilisierten und vielleicht auch etwas langweiligem Leben positioniert haben. Sie erzählen eine Adrenalin-Abenteuerstory nach der anderen – vor allem mit Sporthelden in ungewöhnlichen, teilweise gefährlichen Sportdisziplinen. Sie verbinden das mit ihrem Produkt Redbull und geben uns allen das Gefühl, wenn wir auf dem Sofa liegen und Redbull trinken, dass wir doch ein ganz kleinwenig an dem Heldentum der Protagonisten in den Redbull Werbefilmen teilnehmen.

Nike ist für mich deswegen ein interessantes Beispiel, weil sie etwas über Storytelling verstanden haben, was Adidas nicht verstanden hat. Und das ist die Antwort auf die Frage des Helden und Mentors bei der Heldenreise, der stärksten Storystruktur der Welt. Adidas hat immer noch das Marketing »Wir sind die coolsten, wir bauen den Fußballweltmeisterschaftsschuh«. Nike geht in diesem Bereich aus meiner Sicht deutlich smarter vor. Nike positioniert sich dagegen als Mentor des Sports. In ihren Anzeigen wird das deutlich: Zum Beispiel sieht man schwarze Athletenbeine mit einem weißen Laufschuh und darunter steht: »Das Wesentliche war schon da, dein Talent, deine Begeisterung, dein Durchhaltevermögen, jetzt bekommst du von uns den Schuh, der das Meiste daraus macht.«

Ähnlich clever geht Harley Davidson vor: Sie lenken den Fokus im Marketing nicht auf sich. Sie haben nämlich noch nie behauptet, Harley Davidson baue technisch die besten Motorräder der Welt. Stattdessen erzählen sie seit Beginn ihrer Unternehmensgeschichte, dass ihre Kunden die coolsten freiheits- und abenteuerliebenden Typen auf diesem Planeten sind. Und die Harley-Davidson-Kunden honorieren das mit einem extremen Fantum für ihre Marke und ganz vielen Harley-Tattoos auf den Oberarmen.

Eine schlecht erzählte Geschichte kann mehr schaden als Erfolg bringen. Worauf kommt es beim Storytelling an, damit es nicht inszeniert wirkt?

Also zunächst einmal die gute Nachricht: Ich glaube, dass schlecht erzählte Geschichten im Marketing, ähnlich wie schlecht erzählte Geschichten abends am Stammtisch, uns relativ selten schaden, weil sie einfach nicht wirklich zur Kenntnis genommen werden und deswegen auch nicht lang in Erinnerung bleiben.

Wir alle haben am Stammtisch schon mal eine Geschichte erzählt, die aus irgendwelchen Gründen nicht gut angekommen ist und unsere Freunde haben uns danach nicht weniger gemocht. Sie haben die Geschichte nicht gespeichert und dann wieder zugehört, wenn wir die nächste coole Geschichte erzählt haben. Ich glaube, der entscheidende Schlüssel ist, dass man den Sprecher dahinter, seine Werte, sein Herz, seine Authentizität spürt. Wer als Unternehmer auch in seinem Marketing über die Werte spricht, die ihm wirklich wichtig sind, der bringt das auch in seiner Kommunikation und in seiner Körpersprache gut und glaubhaft rüber.

MK

Bild: Nadia Christiani