Ein Gastbeitrag von Ulrike Knauer
Verhandlungen gehören zum Alltag – beruflich wie privat. Doch warum erreichen so viele Gespräche bestenfalls faule Kompromisse – oder scheitern ganz? Die Antwort liegt in einem Denkfehler, der unser Kommunikationsverhalten seit Jahren prägt.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit mehreren Menschen am Tisch. Es wird diskutiert, argumentiert, vielleicht sogar gestritten. Jeder versucht, seinen Standpunkt durchzusetzen. Jeder will Recht behalten – aber keiner fühlt sich verstanden.
Was hier passiert, ist kein Streit um Inhalte, sondern ein Kampf der Egos. Genau dieser Mechanismus findet sich in vielen geschäftlichen Verhandlungen wieder – mit fatalen Folgen. Denn: Wer nur Positionen austauscht, gewinnt nichts. Im besten Fall entsteht ein halbherziger Kompromiss – im schlimmsten Fall ein stiller Rückzug oder ein zerstörtes Vertrauensverhältnis.
Warum die klassische Verhandlung scheitert
Traditionelle Verhandlungsmuster basieren auf dem »Fixed-Pie-Denken« – also dem Glauben, es gäbe nur ein begrenztes Stück vom Kuchen, das es zu verteidigen gilt. Dieses Denken führt dazu, dass Verhandlungen als Nullsummenspiel wahrgenommen werden: Wenn der andere gewinnt, verliere ich.
Doch dieses Mindset verhindert kreative Lösungen. Es macht aus Verhandlungen emotionale Kraftproben – statt produktive Gespräche.
Der Perspektivwechsel: Interessen statt Positionen
Erfolgreiche Verhandler – etwa aus der internationalen Diplomatie oder dem Harvard-Konzept – nutzen eine andere Herangehensweise. Sie konzentrieren sich nicht auf Forderungen, sondern auf dahinterliegende Interessen. Statt zu fragen: »Was willst du?«, fragen sie: »Was brauchst du – und warum?«
Dieser Perspektivwechsel ermöglicht es, gemeinsame Schnittmengen zu entdecken – und Lösungen zu entwickeln, die beide Seiten weiterbringen
Vom Gegeneinander zum Miteinander
Verhandeln muss kein Kampf sein. Es kann ein kreativer, wertschätzender Prozess sein, bei dem Vertrauen aufgebaut, Beziehungen gestärkt und neue Chancen geschaffen werden. Voraussetzung: der Mut zur Offenheit, die Fähigkeit zum Zuhören – und ein echtes Interesse am Gegenüber.
Wer besser verhandeln will, muss besser zuhören
Ob im Verkauf, in der Führung oder im Alltag: Verhandeln beginnt mit Verstehen. Wer dem anderen Raum gibt, gewinnt nicht nur neue Perspektiven – sondern oft auch die Lösung, die beide Seiten weiterbringt.
Denn gute Verhandler überzeugen nicht durch Lautstärke – sondern durch Haltung.
Die Autorin:
Seit mehr als 30 Jahren ist Ulrike Knauer als Expertin für den Bereich »internationaler Marktaufbau und Vertrieb« gefragt.
Ihr Fokus liegt auf der Vertriebspsychologie; sie weiß, dass Verkauf – ganz gleich, ob analog oder digital – vor allem bedeutet, Vertrauen und Kompetenz aufzubauen.
Beitragsbild: Peter Schützenhofer, Depositphotos / racorn