Widerstand – Vom Mut und Risiko, etwas verändern zu wollen

Widerstand – Vom Mut und Risiko, etwas verändern zu wollen

Ein Essay von Verleger Julien Backhaus

Seit es Erfolgsliteratur gibt, ist auch von Widerstand die Rede. Theoretisch könnte man schon die Bibel, die Thora und alte ägyptische Aufzeichnungen dazuzählen. Sie alle berichten davon, dass man Widerstand leisten muss, um sich gegen Unrecht durchzusetzen, oder auch dann, wenn man Erfolge jeglicher Art erreichen will. In den letzten zwei Jahren hat Widerstand eine neue Bedeutung erhalten. Viele Menschen weltweit demonstrieren gegen scheinbar willkürliche Corona-Regeln und seit Neuestem gegen Impfpflichten. Wenn ich aber von »vielen« spreche, meine ich eigentlich die Minderheit. Denn die Mehrheit ist weder auf der Straße noch gegen die Regeln. Darum wurde es Politikern – die die Regeln erlassen – schnell zu bunt und man verunglimpfte den immer lauter werdenden Widerstand bzw. deren Aktivisten. Die Masse solle sich von einer Minderheit nichts sagen lassen. Wie legitim sind also die Verweigerung des Gehorsams und sogar das aktive oppositionelle Handeln einer Minderheit?

Masse vs. Elite

Dazu müssen wir erst mal »die Masse« erklären. Menschen sind eine konformistische Spezies. Man fühlt sich wohl und akzeptiert, wenn man der Masse ähnlich ist und von ihr als Mitglied angenommen wird. Man spricht auch vom Menschen als Herdentier. Dieser soziale Status geht dem Menschen beinahe über alles. Sogar wenn offenbare Ungerechtigkeiten auftreten, schwimmen die meisten lieber weiter mit dem Strom. Das ist die im wahrsten Sinne des Wortes Trägheit der Masse. Denn zu kämpfen würde nicht nur eine enorme Anstrengung bedeuten, sondern auch die Gefahr bergen, den sozialen Status zu verlieren. Dagegen ist Gehorsam die einfachste Form des Lebens. Wir müssen weder Kraft aufwenden noch Verantwortung tragen, wenn wir einfach mit der Masse schwimmen. Es bedarf nämlich Mut und Tapferkeit, sich als Einzelner oder Teil einer Minderheit gegen etwas aufzulehnen. Die meisten Menschen sind nicht mutig, sondern ängstlich. Diesen Umstand machen sich auch Eliten gerne zunutze, weil Angst ein starker Beweggrund ist, entweder nichts zu tun oder das zu tun, was einem gesagt wird von vermeintlich kundigeren Leuten.

Black Lives Matter
Bildquelle: Depositphotos / HayDmitriy

Die Sklaverei

Aber: Veränderungen werden fast immer von Minderheiten, also von kleinen und zahlenmäßig unterlegenen Gruppen eingeleitet. Beispiele gibt es dafür viele: Die Sklaverei in den USA. Ja, die Sklaverei war gesetzlich erlaubt und geregelt – zum Beispiel wann Sklaven ausgepeitscht und getötet werden durften. Immer wieder lehnten sich Sklaven auf und wurden mit dem Tode bestraft. Es dauerte über 150 Jahre, bis Widerstände Erfolg hatten und langsam eine Abschaffung der Sklavenhaltung eintrat. Erst weitere 100 Jahre später wurde die Sklaverei bundesweit gesetzlich verboten. Und noch heute macht uns Black Lives Matter bewusst, wie benachteiligt Schwarze noch immer sind.

 

Dalai Lama
Bildquelle: IMAGO / Eastnews

Chinesische Macht

Tibet sieht sich mit seinen sechs Millionen Einwohnern als autonomes Land an. China mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern sieht das anders. Seit über 60 Jahren kämpft die Exilregierung unter dem Dalai Lama darum, als eigenständiges Land anerkannt zu werden. Und man kämpft auch international für die Anerkennung. Kaum ein Land hat es bis heute akzeptiert – auch Deutschland nicht. Lohnt sich also der Kampf dieser Minderheit nicht? Aus Sicht der Chinesen nicht. Aus Sicht der Tibeter schon. Nicht anders geht es den paar Millionen Uiguren in China, die als Randgruppe ausgeschlossen werden. Lohnt ihr Kampf nicht, weil sie eine Minderheit sind?

Ungerechte Kirche

Die römisch-katholische Kirche war und ist die größte Kirche des Christentums. Vor fast 500 Jahren bildete sich eine Gruppe bzw. eigentlich mehrere Gruppen, die den Weg der Kirche nicht mehr akzeptieren konnten. Damals war der Herrschaftsanspruch des Papstes und seines Klerus sehr viel ausgeprägter als heute. Martin Luther war eines der Gesichter der »Protestanten«, die sich gegen die katholische Kirche stellten und für eine eigene Glaubensgemeinschaft kämpften, die wir heute als evangelische Kirche kennen. Der Kirche in Rom waren diese Querdenker ein Dorn im Auge, und auch den Fürsten war die Sache nicht geheuer, weil sie Unruhen bei den Untertanen befürchteten. Dennoch setzten sich die wenigen gegenüber der Mehrheit durch.

Regenbogenflagge vor Kirche
Bildquelle: IMAGO / Ralph Peters

Bis heute ist die katholische Kirche kaum modernisiert. Neben den fehlenden Frauenrechten geht es dabei auch um die sexuelle Orientierung. Im Januar 2022 outeten sich 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche als queer. Darunter Priester und Pastoralreferenten. Die Kirche untersagt es, sich z. B. als schwul zu outen, wenn man für sie arbeitet. Dies kann zur Entlassung führen. Dennoch wollten die 125 Menschen mit ihrer Aktion »Out in Church« Widerstand aufbauen und die Kirchenführung zum Umdenken bewegen. Nicht zuletzt wollten sie sich aber nicht mehr verstellen und verstecken.

 

Greta Thunberg
Bildquelle: IMAGO / TT

Gretas Klimastreik

Eine Schülerin aus Schweden namens Greta Thunberg war überzeugt, dass der Welt nicht mehr viel Zeit bleibe, ökologisch einen anderen Weg einzuschlagen, um den Planeten weiter bewohnbar zu halten. Sie begann dafür freitags die Schule zu schwänzen und vor dem Parlament in Stockholm zu protestieren. Sie nannte es natürlich Streik, weil sie mit dem Fernbleiben von der Schule Gesetze brach und neben ihren Eltern damit vielen Schwierigkeiten bereitete. Wie sollte man mit der jungen Dame umgehen, die vermehrt andere Kinder mit der Idee ansteckte? Die Situation wurde zunehmend unbequem für »die Erwachsenen«. Tausende Kinder blieben der Schule fern und skandierten für mehr Klimaschutz. Das war illegal – zumindest während der Schulzeit. Noch heute ist Fridays for Future eine Minderheit. Aber es gelang ihr, sich Gehör auf höchster Ebene zu verschaffen und Konzerne dazu zu bewegen, Klimaschutzprogramme einzuführen. Sogar in die Parteiprogramme haben es ihre Forderungen geschafft.

Unbequemer Widerstand

Widerstand ist unbequem. Sowohl für die, die für ihr Recht kämpfen, als auch für die, die alles beim Alten belassen oder es auf ihre Weise machen wollen. Autoritäre Regime bekämpfen Widerstand am härtesten. Denn Herrscher wissen, es bedarf gar nicht der Masse für Umsturz oder Veränderung, sondern nur einer ausreichend starken Minderheit. Aber auch bekennende Demokratien fremdeln mit dem Widerstand. Wenn wenige etwas einfordern, wirkt das nicht legitim und zudem unbequem. Im für Demokratien üblichen Parlament steht eine Regierung (die gewählte, manchmal knappe Mehrheit) einer Opposition (gewählte Minderheit) gegenüber. Für die Regierung kann diese Situation äußerst unfreundlich sein, ist aber ein Sicherheitsmechanismus, damit nicht nur die Interessen der Mehrheit gewahrt bleiben.

Fridays for Future
Bildquelle: IMAGO / ZUMA Wire

Überzeugung und Risiko

Für seine Überzeugungen einzustehen, kostet Kraft. Nicht selten stehen wir vor der Entscheidung, diese Kraft zu sparen und mit der Masse zu schwimmen, oder unsere letzten Reserven zu mobilisieren, um etwas zu erreichen. Immer mit dem Risiko, dass das Vorhaben scheitert. Oder, wie im Falle der Sklaven, dass es Jahrhunderte dauert, bis Gerechtigkeit herrscht. Wobei diese Aussage mit Vorsicht zu genießen ist, denn auch heute gibt es weltweit noch einen blühenden Sklavenhandel. Widerstand ist der schwierigste aller Wege und oft genug gewinnt nicht die Seite mit den besten Argumenten, sondern mit dem längeren Durchhaltevermögen und Mut.

 

Diese Titelstory und weitere spannende Artikel finden Sie in der brandneuen ERFOLG Magazin Ausgabe 02/2022 -> LINK

Erfolg Magazin 02/22 Cover

 

Titelbild: IMAGO / ZUMA Wire