David Epstein über Talent, Übung und die Wahrheit über außergewöhnlichen Erfolg.
Die Ergebnisse der Hochleistungsforschung von de Groot bis Abernethy können in einem Satz zusammengefasst werden, der bei meinen Gesprächen mit Psychologen, die Spitzenleistungen untersuchen, immer wieder erklang wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat: »Es liegt an der Software, nicht an der Hardware.« Die sportspezifische Beobachtungsgabe, die den Könner vom Dilettanten trennt, wird durch Übung erlernt oder »heruntergeladen« (wie Software). Sie gehört nicht ab Werk zur menschlichen Maschine. Dieser Sachverhalt hat zur Entstehung der bekanntesten modernen Theorie der sportlichen Leistung beigetragen, einer Theorie, in der Gene nicht vorkommen.
Es begann mit Musikern. Für eine Studie aus dem Jahr 1993 wandten sich drei Psychologen an die Westberliner Musikhochschule, die weithin den Ruf genoss, Weltklasse-Geiger hervorzubringen. Die Professoren halfen den Psychologen, die zehn »besten« Geigenstudenten zu identifizieren, die womöglich internationale Solisten werden würden; zehn Studenten, die »gut« waren und ihren Lebensunterhalt in einem Sinfonieorchester würden verdienen können; und zehn schwächere Schüler, die sie als »Musiklehrer« kategorisierten, weil dies ihre wahrscheinlichste Laufbahn sein würde.
Die Psychologen führten detaillierte Interviews mit allen dreißig Musikstudenten und es zeigten sich gewisse Ähnlichkeiten. Alle Musiker hatten mit etwa acht Jahren begonnen, systematischen Unterricht zu nehmen, und alle hatten ungefähr mit fünfzehn beschlossen, Musiker zu werden. Und trotz ihrer unterschiedlichen Spielstärke investierten die Geiger aller drei Gruppen satte 50,6 Wochenstunden in ihr musikalisches Fortkommen, wozu musiktheoretischer Unterricht ebenso gehörte wie Musik hören, üben und spielen. Dann aber kam ein großer Unterschied ans Licht. Die Zeit, die die Geiger aus den beiden höheren Klassen alleine übten, betrug 24,3 Stunden pro Woche, verglichen mit 9,3 Stunden in der schwachen Gruppe.
Es verwundert kaum, dass die Musiker das einsame Üben als den wichtigsten Aspekt ihrer Ausbildung sahen, obwohl es viel anstrengender war als Ensembleproben oder das Musizieren zum Vergnügen. Im Leben der Geiger aus den beiden oberen Gruppen schien sich alles um das Üben und die Erholung vom Üben zu drehen. Sie schliefen 60 Stunden pro Woche, anders als die Musiklehrergruppe mit ihren 54,6 Stunden Nachtruhe. Allerdings unterschieden sich die beiden oberen Gruppen nicht in der Übezeit.
Den gesamten Buchauszug aus „Die Sieger Gene“ von David Epstein, finden Sie in der aktuellen Ausgabe vom ERFOLG Magazin 06/2020 -> LINK
Bild: imago images / Martin Müller