„Erst dann zu leben, wenn man es geschafft hat, ist ein großer Irrtum: Man kann nicht mir vierzig, fünfzig oder gar nach der Pensionierung auf einmal ein ganz anderer Mensch sein. Also muss man sein Leben so organisieren, dass man seine Träume konkret lebt.“
Kurt Bendlin, Zehnkämpfer und Weltrekordler
Erfolg stellt sich nicht von alleine ein, er verlangt nach einem aktiven Zutun. Im Berufsleben geht das allzu oft einher mit der Devise „besser, schneller, mehr“. Besser sein als alle anderen, schneller die gewünschten Ergebnisse liefern, mehr anbieten als die Konkurrenz. Es steht außer Frage, dass ein solcher Weg tatsächlich zum Erfolg führen kann. Was jedoch hinterfragt werden muss: Wie hoch ist der Preis für diesen Erfolg? Und fast noch wichtiger: Ist das überhaupt noch mein persönlicher Erfolg?
Die äußeren Bedingungen als Erfolgshemmnis
Schon vor dem morgendlichen Klingeln des Weckers wird im Kopf die Tagesagenda durchgespielt: Meeting mit den Kollegen, Erledigung der E-Mail-Korrespondenz, zwischendurch einige wichtige Telefonate führen und im Vorbeigehen gerade einen Happen essen, danach die Präsentation halten, nochmal ans E-Mail-Fach und wahrscheinlich klingelt das Telefon in der Zwischenzeit ohnehin mehr als einmal. Das mag als strategisch kluge Vorbereitung auf einen arbeitsreichen Tag erscheinen, kann im Gegenteil aber schon ein Zeichen von anwachsendem Stress sein.
Natürlich ist es häufig genug immer noch so, dass nur derjenige beruflich vorankommt, der seinen Kollegen mindestens einen Schritt voraus ist. Unter diesen Vorzeichen ist es also tatsächlich sinnvoll, die Aufgaben und Ziele immer vor Augen zu haben und auf diese hin zu planen. Schwierig wird es allerdings, wenn dem Kopf dabei keine Pause gegönnt wird und die Arbeit nach Feierabend mit nach Hause kommt.
Angesichts geforderter Höchstleistungen und teils unsicherer beruflicher Perspektiven scheint das vielen Menschen allerdings eine unerlässliche Bedingung – die Jagd nach dem Erfolg wird auf diese Weise allerdings schnell zu einer Belastung bis hin zur Überforderung. Nicht nur in Managerkreisen übrigens, wo jeder Zehnte frühzeitig aufgrund des ständigen Erfolgsdrucks aus seiner Führungsposition ausscheidet.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, sich im eigenen Streben nach beruflicher Verwirklichung durch die vorgegebenen Ziele fremdsteuern zu lassen. Dann geht es nicht mehr darum, ein bestimmtes Arbeitspensum für sich zu schaffen, sondern um dem Chef zu gefallen. Eigene Wünsche treten so hinter die gestellten Anforderungen zurück – was darunter leidet, ist in erster Linie die Zufriedenheit und gleich danach die Gesundheit. Die „überforderte Generation“ sei durch die Strukturen des Berufslebens (befristete Arbeitsverhältnisse, Forderung nach Mobilität und Flexibilität) und das gänzlich andere familiäre Zusammenleben als noch vor wenigen Jahrzehnten sei deswegen mehr als die Generationen zu vor von den Auswirkungen des damit verbundenen Stresses betroffen.
Ein offenkundiges Generationenproblem, wie der frühere Soziologieprofessor Hans Bertram befindet.
Oder zumindest eines von einer gewissen gesellschaftlichen Tragweite, das zumindest deuten die Entwicklungen in der Arbeitswelt an: Wie ernst etwa die Zusammenhänge zwischen beruflichem Erfolg (aus Arbeitgebersicht im Sinne von Produktivität), Zufriedenheit am Arbeitsplatz und einem allgemein guten Gesundheitszustand genommen werden, zeigt sich schon an der immer größeren Bedeutung, die dem betrieblichen Gesundheitsmanagement zukommt. Es liegt aber umgekehrt in der Hand jedes Einzelnen, persönliches Wohlbefinden und Erfolg (wieder) selbst in die Hand zu nehmen.
Selbstgeführt durch den (Arbeits-)Alltag
Der Weg zu einem selbstgeführten Leben erfordert in der Tat eine bewusstere Wahrnehmung des eigenen Handelns, der eigenen Person. Im Alltag oftmals keine leichte Aufgabe, denn der wird häufig bestimmt von automatisierten Impulsen, von inneren Antreibern, die uns ganz unbewusst durch den Tag manövrieren. Natürlich haben auch unsere persönlichen Motive Auswirkungen auf unser Handeln, aber das bedeutet noch lange nicht, dass damit das alte Muster von Reiz und Reaktion durchbrochen wird.
Im Gegenteil ergeben sich so gerade die Verhaltensmuster, die ein selbstgesteuertes Leben verhindern. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Selbststeuerung stellt nicht zwingend in Frage, ob eine bestimmte Verhaltensweise richtig oder falsch ist. Es geht vielmehr darum herauszufinden, ob dieses Verhalten auf einer bewussten Entscheidung fußt oder lediglich einem automatischen Impuls folgt.
Das Resultat mag am Ende dasselbe sein, allerdings macht eine bewusste Entscheidung doch den Unterschied – sie beinhaltet eine Reflexion der eigenen Werte und der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Das bedeutet, uns fällt eine aktive Rolle bei der Übernahme bestimmter Aufgaben und Verpflichtungen zu und die Ziele sind nicht länger von außen oktroyiert. Die Einstellung zur eigenen Person überträgt sich dadurch auch positiv auf die zu erfüllenden Aufgaben. Durch eine bewusste Entscheidung fällt es uns wesentlich leichter, die eigenen Wünsche mit den äußeren Anforderungen in Balance zu bringen.
Achtsamkeit im Quadrat
Eine achtsame Lebensführung bewegt sich innerhalb von vier wichtigen Punkten, nämlich
- der inneren Einstellung,
- der Intention unseres Verhaltens,
- der gewünschten Aufmerksamkeit und
- potenziellen Ablenkungen.
Letztere treten im Übrigen nicht allein im beruflichen Umfeld auf, genauso wenig wie Achtsamkeit als Konzept darauf beschränkt sein sollte. Was unter anderem bedeutet, dass wir recht vielen Faktoren ausgesetzt sind, die bewusste und selbstbestimmte Entscheidungen beeinflussen können. Darunter befinden sich etwa all die Sorgen, die der Alltag so mit sich bringt. Die sind bisweilen ganz profaner Natur, wenn sie sich beispielsweise um das liebe Geld drehen. Das, zugegeben, für sich genommen nur bedingt als Säule des persönlichen Glücks geeignet ist.
Andererseits erlaubt es durchaus im Maße seines Vorhandenseins ein selbstbestimmtes Leben, auch weil es etwa vor der Sorge um das Leben nach der Berufstätigkeit, vor den Unbilden des Alters oder etwaigen Schicksalsschlägen befreit, indem es Möglichkeiten der rechtzeitigen Vorsorge einräumt. Ganz zu schweigen von den Freiheiten, die es schon unmittelbar im Hier und Jetzt gewährt. Selbstverständlich kann Geld aber nicht die Antwort auf alle Sorgen sein, umso wichtiger ist dann eine (Rück-)Besinnung auf die persönliche Haltung, die innere Einstellung, die persönlichen Werte – oder einfach ausgedrückt: auf die Gegenwart, denn Sorgen drehen sich immer um etwas, das noch gar nicht passiert ist. Das ist kraftraubend, lähmt uns vielleicht sogar in unserem Handeln und sollte vermieden werden, wobei schon einfache Mittel und Fragestellungen helfen können.
Das ermöglicht zugleich eine Re-Fokussierung auf die Intention unseres Handelns. Im Zuge einer Lebensführung unter der Maxime der Achtsamkeit gehören zum Beispiel ein Weniger an Stress und zugleich ein Mehr an Wohlbefinden dazu. Wer sich dieser Zielsetzungen wiederum bewusst ist, kann generell zu einem bewussteren Handeln, einem bewussteren Leben gelangen – und damit die Aufmerksamkeit und Konzentration erreichen, die für die Erfüllung eigener Ziele notwendig ist.
Die Wege zur Achtsamkeit
Das ist in der Tat leichter gesagt als getan und wie der berufliche Erfolg stellt sich auch Achtsamkeit nicht von alleine ein. Sie will erlernt und dauerhaft gepflegt werden, denn nur so kann sie ihre Wirkung entfalten. Ein probates Mittel, um in Alltagssituationen achtsamer reagieren zu können, ist die Meditation als Verbindung von Konzentrations- und Bewegungsübungen. Die hilft dabei, sich einerseits von schlechten Gedanken und Sorgen zu befreien und andererseits wieder ganz auf die Gegenwart fokussiert zu sein. Nicht zu vergessen, dass mittels der Mindfulness-Based Stress-Reduction (MBSR, achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) sogar Krankheitsbilder aus dem psychiatrischen, psychosomatischen und stressbedingten Bereich positiv beeinflusst werden können.
In erster Linie soll es jedoch darum gehen, das Entstehen solcher Erkrankungen durch ein frühzeitiges Gegenwirken von vorneherein zu verhindern. Neben der Meditation und einer bewussteren Haltung gegenüber alltäglichen Handlungen (und dazu zählen eben auch Tätigkeiten im Haushalt, das Essen, die Körperpflege etc.) gibt es eine Reihe weiterer Strategien, die ein achtsames Leben ermöglichen:
- Entschleunigung: Der Alltag ist meist vollständig durchstrukturiert, Termin folgt auf Termin, Aufgabe auf Aufgabe. Das Resultat ist ein permanentes Gefühl des Gehetzt-Seins, ohne Pause. Bewusste Prioritäten, das Trennen von Notwendigem und Überflüssigen, entschleunigen den Tagesablauf.
- Nichtstun: Zudem schafft dieses Vorgehen die notwendigen Freiräume für bewusstes Nichtstun, bei dem alle Anforderungen und Sorgen einfach losgelassen werden, um sich etwas Erfreulicherem hinzugeben.
- Alltagsrituale: Rituale sind oft der Fels in der Brandung der Alltagshektik, sie sorgen für Ruhe und Abstand – und das prinzipiell in allen Alltagssituationen. Sie bergen allerdings auch die Gefahr, in Automatismen zu münden, die es bei einer achtsamen Lebensweise aber eben zu durchbrechen gilt.
- Weniger Reize: Eine Besinnung auf die inneren Werte und Wünsche, das Erreichen von Ruhe und Konzentration kann auch durch den bewussten Verzicht auf äußere Reize gelingen. In einer multimedialen Umwelt liegt die Reizüberflutung nah, die noch dazu in die inaktive Konsumentenrolle zwingt. Ein Grund mehr für Verzicht und eine aktivere Gestaltung der äußeren Umstände.
- Nicht erreichbar: Für andere da zu sein, ist zwar eine noble Charaktereigenschaft, sie kann jedoch auch zur Belastung werden – die eigenen Bedürfnisse sollten über die Hilfsbereitschaft anderen gegenüber nicht vergessen werden.
- Stressprofil: Zur richtigen Selbstwahrnehmung gehört auch die Kenntnis all der Ursachen für persönlichen Stress. Selbstreflexion hilft dabei, diese Auslöser zu finden und zukünftig zu vermeiden.
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