Führen ohne Präsenz

Führen ohne Präsenz

Ein Gastbeitrag von Christian Fuchs

Der Betrieb läuft. Teams funktionieren. Die Zahlen stimmen, zumindest oberflächlich. Und doch bleibt etwas zurück, ein unterschwelliges Gefühl von Distanz, Leere, Entkopplung. In vielen Organisationen fehlt es nicht an Führung im organisatorischen Sinn, sondern an präsenter Führung. Führung, die spürbar ist. Die erreichbar ist. Die wirklich da ist.

Was dabei verloren geht, lässt sich nicht auf Kennzahlen oder Performance-Kurven ablesen, aber es hat Wirkung. Vertrauen sinkt, Engagement verdunstet, Verantwortung wird abgeschoben. Das Team liefert, aber es lebt nicht. Menschen folgen Prozessen, aber nicht der Person. Führung ohne Präsenz wirkt nur formal, aber nicht verbindlich.

Viele Führungskräfte sind heute hochgradig ausgelastet, aber kaum noch greifbar. Sie arbeiten in strategischen Projekten, jonglieren mit Zahlen, sitzen in Meetings. Sie führen, aber tun es aus der Distanz. Was dabei verloren geht, ist kein operatives Detail, sondern ein zentraler Wirkfaktor, nämlich die Beziehung.

Führung ist keine abstrakte Funktion, sondern eine menschliche Beziehungsgestaltung. Menschen folgen nicht Aufgabenplänen oder Organigrammen, sie folgen Haltungen. Und Haltungen werden nicht per Mail kommuniziert, sondern verkörpert. 

Präsenz heißt nicht »ständig verfügbar«, sondern innerlich anwesend

Ein häufiger Irrtum ist, Präsenz mit operativer Verfügbarkeit zu verwechseln. Doch präsent sein bedeutet nicht, jede Frage selbst zu beantworten oder permanent sichtbar zu sein. Es bedeutet, spürbar zu sein in der Haltung, zuverlässig zu sein in der Kommunikation, greifbar zu sein als Führungspersönlichkeit. Präsenz ist kein Zeitfaktor, sondern ein Energieprinzip. Sie zeigt sich in der Art, wie Gespräche geführt werden, wie Konflikte aufgenommen werden, wie Entscheidungen begründet werden. Und sie entscheidet maßgeblich darüber, wie sehr sich Menschen wirklich anvertrauen oder nur mitlaufen.

Die stille Entkopplung: Wenn Teams sich selbst überlassen werden

In vielen Unternehmen hat sich eine Form von Selbstorganisation etabliert, die nicht auf Vertrauen basiert, sondern auf Rückzug der Führung. Teams arbeiten scheinbar autonom, treffen Entscheidungen, organisieren sich. Doch wenn man genauer hinsieht, ist Selbstorganisation oft nur ein Deckmantel für Führungsabwesenheit. Die Folgen sind nicht sofort sichtbar, aber langfristig spürbar. Verantwortung wird nicht wirklich übernommen, sondern weitergereicht. Konflikte bleiben unbearbeitet, weil niemand den Raum hält. Entscheidungen ziehen sich, weil niemand die Richtung markiert. Was fehlt, ist nicht Struktur, sondern Präsenz. Nicht Kontrolle, sondern Verbindlichkeit.

Führung ist Beziehung, keine Managementfunktion

Präsenz in der Führung bedeutet, in Beziehung zu treten, nicht nur zu verwalten. Das verlangt keine Perfektion, sondern Klarheit. Keine Dauerverfügbarkeit, sondern eine authentische Haltung. Führungskräfte, die präsent sind, geben Menschen das Gefühl, gesehen, gehört und gemeint zu sein. Und genau das ist die Grundlage für Vertrauen und damit für Leistung, Kreativität und Bindung.

Denn in der Tiefe gilt: Menschen arbeiten nicht nur für Ergebnisse. Sie arbeiten für Resonanz. Und Resonanz entsteht nur, wo jemand wirklich da ist.

Der Verlust von Präsenz ist ein kulturelles Warnsignal

Wenn Mitarbeiter sich nicht mehr einbringen, sondern nur noch funktionieren, liegt das selten am Team. Es liegt an der Qualität der Führung. Wenn niemand mehr »aufschaut«, sondern nur noch »abarbeitet«, ist das ein Zeichen dafür, dass Führung unsichtbar geworden ist. In solchen Kulturen wird Loyalität zur Formalie. Mitarbeiter machen ihren Job, aber nicht mehr als das. Initiative versiegt, Energie verflacht. Und aus Verantwortung wird Pflichterfüllung.

Was Präsenz im Alltag bedeutet

Präsente Führung ist kein Extra, sie ist die Basis. Und sie zeigt sich in kleinen, aber kraftvollen Details. In regelmäßigen, echten Gesprächen, jenseits von Statusberichten. In klarer Haltung, auch wenn Entscheidungen unpopulär sind. In der Fähigkeit, Spannung auszuhalten, statt sie zu umgehen. In echtem Interesse, nicht an Ergebnissen, sondern an Menschen.

Präsenz bedeutet nicht, alles zu regeln. Sondern Raum zu halten, Orientierung zu geben und greifbar zu bleiben, auch wenn man nicht physisch anwesend ist.

Fazit – Präsenz ist Führungskraft

In einer Welt, die zunehmend digital, schnell und komplex ist, wird Führung ohne Präsenz zur Leerstelle. Menschen suchen heute keine perfekten Führungskräfte, sondern verlässliche Menschen in Verantwortung. Präsenz ist dabei kein Add-on, sondern eine Voraussetzung. Wer führt, muss sich zeigen. Nicht nur in Zahlen und Konzepten, sondern in Haltung, Resonanz und Beziehung. Denn am Ende gilt, was Sie als Führungskraft nicht ausstrahlen, kann Ihr Team nicht empfangen. Und was Sie nicht sind, kann niemand im System für Sie sein.

 

Der Autor: Christian Fuchs ist Leadership Mentor, Erfinder des Mentex Code und Gründer der Christian Fuchs Academy. Der Top-Experte unterstützt Führungskräfte mit seinen Methoden und seiner LEADERSHIP.Inventur® dabei, Unternehmenskulturen nachhaltig zu stärken.

 

Bilder: Christian Fuchs, Depositphotos / konstantynov