Dr. Dr. Rainer Zitelmann: Warum Arnold Schwarzenegger, Warren Buffett und Co. nicht zurückblicken
Im September 2022 reiste ich nach Vietnam, um meine Bücher vorzustellen und Vorträge in vier Universitäten zu halten. Bei Vietnam denken in Europa und den USA die meisten Menschen zuerst an den Vietnamkrieg. 1946 bis 1954 fand der erste Indochinakrieg statt, in dem die vietnamesische Befreiungsbewegung Việt Ming gegen die französische Kolonialmacht kämpfte; nur kurz nach dem Ende dieses Krieges begann der zweite Indochina- krieg, in dem China und die Sowjetunion das kommunistische Nordvietnam sowie die Befreiungsfront in Südvietnam unter- stützten und die USA die Regierung von Südvietnam. Man spricht auch vom Zweiten Indochinakrieg.
1965 befahl der US-Präsident Lyndon B. Johnson eine Verstärkung der Luftangriffe. Die USA setzten das Entlaubungsmittel »Agent Orange« ein, ein Pflanzenvernichtungsmittel, das die Reisfelder zerstörte und Wasserreservoirs vergiftete. Die chemischen Massenvernichtungswaffen trafen nicht nur die kommunistische Befreiungsarmee, sondern hauptsächlich die Zivilbevölkerung. Auch Napalmbomben der Amerikaner richteten große Verluste unter der zivilen Bevölkerung an. Alleine die Südvietnamesen hatten Verluste von 1,5 Millionen Menschen zu beklagen, dar- unter auch 300.000 tote Zivilisten. Die Amerikaner verloren 58.200 Soldaten und weitere 300.000 wurden verwundet. Die zivilen Verluste Nordvietnams fielen im Vergleich zum Süden weit geringer aus, dafür verloren sie weit mehr Soldaten.
Im Norden wurden die Hauptindustriezentren und fundamentalen Infrastrukturen zerstört. Sämtliche Industriebetriebe wurden vernichtet. Drei der sechs größten Städte, zwölf von 29 Provinzhauptstädten. Zwei Drittel der Dörfer waren zerstört. Total zerstört waren auch sämtliche Elektrizitätswerke, Bahnhöfe, Häfen, Brücken, Straßen und das gesamte Bahn- netz. Im Süden waren ebenfalls zwei Drittel der Dörfer zerstört, fünf Millionen Hektar Wald wurden vernichtet und 20 Millionen Bauern verloren ihre Häuser.
Vietnamesen mögen die USA – trotz des Krieges
Angesichts dieser Zerstörungen und all des Leides, das die Menschen erlitten, wäre es nicht verwunderlich, wenn es gerade in Vietnam einen starken Antiamerikanismus gäbe. Doch der Antiamerikanismus ist in weiten Teilen der Welt größer als in Vietnam. Nicht nur in arabischen Ländern oder in Russland, auch in vielen europäischen Ländern wird man mehr Antiamerikanismus finden als in Vietnam. Ich habe weder bei meiner Exfreundin und ihrer Familie (die aus Vietnam kam) noch bei anderen Vietnamesen, die ich traf, Antiamerikanismus angetroffen. Dinh Tuan Minh, ein Wissenschaftler von einem liberalen Thinktank, den ich in Hanoi traf, meinte: »Wir Vietnamesen schauen nicht zurück in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Wir haben, anders als mit China, mit den USA keine territorialen Differenzen. Viele Vietnamesen schätzen es auch, dass die Arbeitsbedingungen in amerikanischen Firmen, die bei uns investieren, oftmals besser sind als in asiatischen Firmen, die in Vietnam investieren. Außerdem wissen die Menschen in Vietnam, dass die USA für uns heute das wichtigste Exportland sind.« In der Tat exportierte Vietnam 2020 so viel in die USA wie China und Japan, die an zweiter und dritter Stelle stehen, zusammen.
Auch mit Xuân Nguyễn sprach ich über das Thema. Sie ist Gründerin der Audiobook-Firma Fonos und ich traf sie auf ungewöhnliche Art: Sie klopfte an meiner Tür, weil sie in Hanoi im gleichen Hotel wie ich übernachtete. Sie wohnt eigentlich in Saigon. »Ich bin 1987 geboren, als der Krieg schon zwölf Jahre zu Ende war«, erzählte sie mir. »Meine Eltern und Großeltern haben zwar davon erzählt, wie schrecklich der Krieg war, aber sie haben nie ein negatives Wort über die USA und die Amerikaner gesagt. Im Gegenteil: Sie haben mir gesagt: Du musst Englisch sprechen lernen, ziehe dich an wie Amerikaner, iss, was die Amerikaner essen und, vor allem, lerne zu denken, wie die Amerikaner denken. Dann wirst du erfolgreich sein.« In einer 2014 von dem Pew Research Center durchgeführten Umfrage erklärten 76 Prozent der Vietnamesen, dass sie eine positive Sicht auf die USA haben, bei den besser gebildeten Vietnamesen waren es sogar 89 Prozent und auch bei den Befragten von 18 bis 29 Jahren sahen 89 Prozent die USA positiv. Sogar bei den Personen über 50 Jahren, die den Krieg noch miterlebt hatten, bewerteten über 60 Prozent die USA positiv.
Viele afrikanische Länder klagen heute über die Folgen des Kolonialismus und nehmen das als Erklärung für all ihre heutigen Probleme. Die Vietnamesen könnten das ebenso gut, sie tun es aber nicht – und richten ihren Blick in die Zukunft.
Das Hoa-Lò-Gefängnis in Hanoi
Das heißt natürlich nicht, dass sie dabei die Geschichte ignorieren. Ich besuchte eine beeindruckende Erinnerungsstätte, ein ehemaliges Gefängnis, in dem zuerst die französische Kolonialmacht Vietnamesen einsperrten und später dann die Nordvietnamesen amerikanische Sol- daten. Heute ist das Hỏa-Lò-Gefängnis ein Museum. Damals wurde das Gefängnis von amerikanischen Kriegsgefangenen ironisch »Hanoi Hilton« genannt und unter dem gleichnamigen Titel entstand 1987 ein Film über die Erlebnisse der dort inhaftierten amerikanischen Kriegsgefangenen. Unter anderem war auch der spätere Präsidentschaftskandidat John McCain Insasse in diesem Gefängnis. Die Ausstellung zeigt Fotos, wie er aus der abgeschossenen Maschine im Meer geborgen wurde und wie er im Jahr 2000 das Gefängnis-Museum besuchte.
Aber sogar die Geschichte dieses Gefängnisses zeigt, dass den Vietnamesen im Zweifel die Gegenwart und die Zukunft wichtiger sind als die Vergangenheit. Denn inzwischen sind weite Teile des Hỏa-Lò-Komplexes einem gigantischen Einkaufscenter, den Hanoi Towers, gewichen. Ironischerweise bemühte sich die amerikanische Hilton-Gruppe in den 90er Jahren um das freie Grundstück, das durch den teilweisen Abriss des ursprünglichen Hỏa-Lò-Komplexes entstanden war, um das erste Hilton-Hotel in Vietnam zu errichten. Von der amerikanischen Presse wurde dieses Unterfangen aufgrund des bedeutungsschweren Zusammenhangs mit der amerikanisch-vietnamesischen Geschichte als äußerst makaber kritisiert. Im Jahr 1999 eröffnete dann mit dem Hilton Hanoi Opera Hotel tatsächlich ein Hotel der Hilton-Gruppe in der vietnamesischen Hauptstadt.
Ich bewundere immer Menschen, denen es gelingt, den Blick stärker in die Zukunft zu richten als in die Vergangenheit. Solche Menschen sind meist sehr viel erfolgreicher im Leben als jene, die sich ständig vorwiegend mit ihrer Vergangenheit befassen. Und das gilt nicht nur für Individuen, sondern auch für Nationen.
Warren Buffett: »Es ist egal. Wir leben für die Zukunft.«
Erfolgreiche Menschen leben nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. Die Menschen wunderten sich oft, warum der Oracle-Gründer Larry Ellison (mit einem Vermögen von fast 100 Milliarden Dollar einer der reichsten Menschen der Welt) Zahlen nannte und Dinge behauptete, die in dieser Form offenbar nicht zutreffend waren. Seine Mitarbeiter kamen schließlich zu der Überzeugung, dass Ellison in der Zukunft lebte – nicht in der Gegenwart und schon gar nicht in der Vergangenheit. »Er hatte ein Problem mit den Zeitformen«, so ein Mitarbeiter. »Wenn es zum Beispiel hieß, dass wir fünfzig Mitarbeiter haben werden, konnte man genauso gut sagen, dass wir sie jetzt schon haben.« Seine lang- jährige Assistentin berichtete: »Er lebt nicht im Heute, weil es im Heute Probleme gibt und im Morgen Lösungen.«
Erfolgreiche Menschen sind konsequent zukunftsorientiert. Sie verschwenden keine Zeit damit, Dinge zu bereuen, die sie in der Vergangenheit getan haben. Sie lernen aus ihren Fehlern und vergessen dann die Vergangenheit. »Es gibt so viel, was man voraussehen muss, dass es keinen Sinn hat, lange darüber nachzudenken, was man hätte tun können«, so Warren Buffett. »Es ist egal. Wir leben für die Zukunft.« Buffett macht sich nie lange Gedanken über unangenehme Sachen. Er verglich sein Gedächtnis mit einer Badewanne. Seine Biografin Alice Schroeder schrieb: »Die Wanne füllte sich mit Ideen und Erfahrungen und mit Angelegenheiten, die ihn interessierten. Wenn er für die Informationen keine Verwendung mehr hatte, zog er den Stöpsel und seine Erinnerungen flossen den Abfluss hin- unter. Bestimmte Geschehnisse, Fakten, Erinnerungen und selbst Menschen schienen so zu verschwinden.«
Auch Arnold Schwarzenegger, so schreibt sein Biograf Leamer, verschwendet niemals Zeit damit, sich Gedanken über vergangene Dinge zu machen, die ohnehin nicht mehr zu ändern sind. »Schon als Teenager beschloss er, unangenehme Dinge hinter sich zu lassen und nicht zurückzuschauen, egal, ob es sich um bestimmte Ereignisse seiner Vergangenheit oder um die psychischen Gegebenheiten seines eigenen Lebens handelte.« Statt sich mit der Vergangenheit zu befassen, visualisierte er seine Zukunftsziele. So begann er beispielsweise, sich seinen Bizeps als Berglandschaft vorzustellen, nicht als Fleisch und Blut. »Indem ich meinen Bizeps als Berglandschaft sah, wuchs er schneller und größer, als er das getan hätte, wenn ich ihn nur als Muskel gesehen hätte.« Auch bei seinen finanziellen Zielen ging er ähnlich vor. »Vor meinem inneren Auge sehe ich mich bereits als erfolgreichen Millionär. Jetzt geht es nur noch darum, die entsprechenden äußeren Schritte zu unternehmen«, so Schwarzenegger.
Weine nicht über vergossene Milch
»Bereuen« Sie manchmal Entscheidungen, die Sie getroffen haben? Ärgern Sie sich über Ihre Fehler? Wozu? Ein altes Sprichwort sagt: »Weine nicht über vergossene Milch.« Es hat keinen Sinn. Sie können nicht ändern, was geschehen ist. Lernen Sie aus Ihren Fehlern und schauen Sie, dass Sie in Zukunft nicht mehr den gleichen Fehler machen. Und dann haken Sie die Sache sofort ab. Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie heute beeinflussen können – und das ist die Zukunft und nicht die Vergangenheit. Solange noch keine Zeitmaschine erfunden ist, wie wir sie aus Science-Fiction-Romanen kennen, können Sie sich nicht in die Vergangenheit zurückkatapultieren, um die Ereignisse zu korrigieren.
Der Autor: Dr. Dr. Rainer Zitelmann veröffentlichte als weltweit erfolgreicher Autor zuletzt sein 25. Buch: »ICH WILL. Was wir von erfolgreichen Menschen mit Behinderung lernen können«.
Aus: ERFOLG Magazin 01/2023
Bild: IMAGO / STAR-MEDIA