Ohne den Vertrieb läuft in vielen Unternehmen gar nichts. Deshalb sei es umso wichtiger, diesem bereits beim Firmen-Aufbau ein starkes Fundament zu bieten, findet der Vertriebsmentor Oliver Bestier. Doch welche Schritte sind dafür notwendig? Und wie verliert man trotz der ganzen Arbeit nicht die Motivation? Diese und andere Fragen beantwortet der Experte im Interview.
Herr Bestier, welche ersten Schritte sind entscheidend, um einen erfolgreichen Vertrieb von Grund auf aufzubauen?
Der Aufbau eines erfolgreichen Vertriebs steht und fällt mit einer klaren Strategie und einem starken Fundament. Ein paar entscheidende Schritte sollten dabei unbedingt beachtet werden:
Erstens: Man muss genau wissen, wen man erreichen will. Ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse, Wünsche und Herausforderungen der Zielgruppe ist unverzichtbar. Ohne diese Klarheit ist es fast unmöglich, eine Botschaft zu formulieren, die wirklich ins Schwarze trifft.
Zweitens: Die passenden Prozesse und Tools sind ein Muss. Verkaufsphasen sollten klar definiert sein, vom ersten Kontakt bis zum Abschluss. Und moderne Technologien wie CRM-Systeme helfen einem dabei, den Überblick zu behalten, effizienter zu arbeiten und den gesamten Prozess transparent zu gestalten.
Und drittens, was für mich persönlich das Wichtigste ist: Vertrieb ist ein Geschäft zwischen Menschen. Ein starkes Team aus motivierten, empathischen und gut geschulten Mitarbeitenden ist der Schlüssel zu langfristigem Erfolg. Es beginnt mit der eigenen Einstellung und regelmäßigen Weiterbildungen, die dafür sorgen, dass das Team immer auf dem neuesten Stand bleibt. Letztendlich geht es im Vertrieb ja darum, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen. Vor allem geht es jedoch darum, echte Beziehungen zu Kunden aufzubauen. Genau diese Menschen kaufen Produkte und Dienstleistungen. Vor allem kaufen sie auch Vertrauen, Lösungen und das gute Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Das ist der wahre Kern eines erfolgreichen Vertriebs.
Im Anfangsstadium eines Unternehmens gibt es oft viele Unsicherheiten. Wie bleibt man motiviert und fokussiert, wenn der Vertrieb noch im Aufbau steckt und viele Herausforderungen überwunden werden müssen?
Die Startphase eines Unternehmens ist meistens kein Spaziergang, Unsicherheiten und Herausforderungen gehören da einfach dazu. Trotzdem gibt es Wege, motiviert und fokussiert zu bleiben, selbst wenn die großen Ziele noch in weiter Ferne liegen.
Das Wichtigste zuerst: Finde dein »Warum«. Warum machst du das Ganze? Was ist deine Vision? Dieses »Warum« gibt dir die Energie, auch schwierige Zeiten zu überstehen – sei es, weil du eine Branche verändern oder eine bestimmte Herausforderung für deine Kunden lösen möchtest.
Außerdem: Feiere die kleinen Erfolge! Egal, ob es der erste Kunde, ein gelungenes Meeting oder ein gutes Feedback ist – das gibt dir und deinem Team Motivation und zeigt, dass ihr auf dem richtigen Weg seid. Du musst auch nicht alles allein schaffen. Hol dir Unterstützung, sprich mit Mentoren, Experten oder anderen, die ähnliche Situationen gemeistert haben. Dieser Austausch kann dir neue Perspektiven und Lösungen geben.
Ein weiterer Punkt: Setze klare Prioritäten. Gerade am Anfang läuft man Gefahr, alles gleichzeitig machen zu wollen. Frag dich immer: Welche Maßnahme bringt uns heute am nächsten zu unserem Ziel? Das hilft, den Fokus zu behalten und nicht in der Unsicherheit zu versinken.
Zuletzt: Bleib offen für persönliches Wachstum. Investiere in Bücher, Trainings oder Coachings. Gerade in schwierigen Zeiten gibt dir neues Wissen und das richtige Mindset das Selbstvertrauen, um weiterzumachen. Rückschläge gehören dazu, das ist ganz normal. Der Trick ist, immer wieder aufzustehen, aus Fehlern zu lernen und mit Zuversicht weiterzumachen. Genau diese Resilienz ist der Schlüssel, um langfristig erfolgreich zu sein.
Gab es einen Moment während Ihres eigenen Vertriebsaufbaus, an dem Sie selbst gezweifelt haben und aufgeben wollten? Was konnten Sie daraus als Lektion für zukünftige Herausforderungen mitnehmen?
Natürlich hatte ich solche Momente. Die gehören einfach dazu, wenn man wächst und sich weiterentwickelt. Einer der prägendsten war ganz am Anfang meiner Karriere als Verkaufstrainer. Ich hatte mein erstes großes Projekt übernommen, und es lief nicht so wie geplant. Die Teilnehmer hatten ganz andere Erwartungen, als ich es gewohnt war. Nach dem ersten Trainingstag fühlte ich mich völlig unsicher. Ich fragte mich ehrlich, ob ich der Aufgabe überhaupt gewachsen war. In diesem Moment hätte ich fast aufgegeben. Allerdings entschied ich mich, die Situation zu reflektieren, anstatt mich in meinen Fehlern zu verlieren. Ich änderte meine Perspektive: Was lief denn gut? Wo kann ich noch etwas lernen? Mit diesem neuen Ansatz konnte ich die Woche stark beenden und aus diesem Projekt entwickelte sich später eine langfristige Partnerschaft.
Das war eine meiner größten Lektionen: Zweifel sind kein Zeichen dafür, dass man scheitert, sondern dass man gerade etwas Neues wagt. Sie sind Teil des Wachstumsprozesses und statt sie zu fürchten, sollte man sie als Chance betrachten, über sich hinauszuwachsen. Fehler, oder besser gesagt Erfahrungen, gehören dazu. Entscheidend ist was man daraus macht: Lernt man oder gibt man auf? Heute sehe ich Zweifel als positives Zeichen. Sie bedeuten halt einfach, dass ich meine Komfortzone verlasse, und genau dort passiert das echte Wachstum. Der Schlüssel ist, dranzubleiben, an sich selbst zu glauben und die Herausforderung anzunehmen, denn nur so entstehen langfristig Erfolg und Stärke.
Inwieweit hat sich der Vertrieb seit Ihrem Einstieg in diese Branche verändert?
Der Vertrieb hat sich seit meinem Einstieg in vielen Bereichen stark verändert, vor allem durch technologische Entwicklungen, verändertes Kundenverhalten und die zunehmende Globalisierung. Trotzdem sind manchmal die klassischen, persönlichen Ansätze immer noch das A und O. Früher war der Vertrieb der erste Anlaufpunkt, wenn Kunden Informationen über ein Produkt oder eine Dienstleistung suchten. Heute sieht das ganz anders aus: Kunden haben durch das Internet oft schon bis zu 70 Prozent ihrer Kaufentscheidung getroffen, bevor sie überhaupt mit einem Verkäufer sprechen. Das bedeutet, der Vertrieb muss heute viel mehr leisten. Es reicht nicht, nur zu informieren, man muss echten Mehrwert bieten und dem Kunden helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Digitale Tools spielen dabei eine zentrale Rolle: CRM-Systeme, Marketing-Automation oder Social Selling ermöglichen es heutzutage, mit wenigen Klicks Kundendaten auszuwerten und Prozesse zu optimieren, die früher unglaublich viel Zeit gekostet haben.
Gleichzeitig hat sich der Fokus stark verschoben: Es geht längst nicht mehr darum, einfach nur Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen. Kunden wollen Partner, die ihre Herausforderungen verstehen, Lösungen bieten und langfristig einen echten Mehrwert schaffen. Diese Veränderungen haben den Vertrieb komplexer, allerdings auch spannender gemacht. Vertriebsmitarbeiter müssen heute nicht nur verkaufen können, sondern auch hervorragende Zuhörer sein, gut präsentieren und mit moderner Technologie umgehen. Trotz all dieser Entwicklungen bleibt die menschliche Komponente entscheidend: Am Ende des Tages wollen Menschen immer noch mit Menschen Geschäfte machen und genau da liegt die große Chance sich abzuheben.
Welche modernen Vertriebsmethoden halten Sie für unverzichtbar, um heute und auch in Zukunft erfolgreich zu sein?
Der Vertrieb verändert sich rasant und um erfolgreich zu bleiben, sind moderne Methoden unverzichtbar. Social Media ist längst nicht mehr nur ein Marketing-Werkzeug, sondern auch für den Vertrieb enorm wichtig. Plattformen wie LinkedIn ermöglichen es, Beziehungen aufzubauen, sich als Experte zu positionieren und gezielt mit potenziellen Kunden in Kontakt zu treten. Social Selling geht dabei über das reine Verkaufen hinaus, denn es geht darum, Vertrauen zu schaffen, bevor der eigentliche Verkaufsprozess startet. Kunden erwarten heute personalisierte Erlebnisse und genau hier kommen Datenanalysen ins Spiel. Mit Tools wie CRM-Systemen, KI-gestützten Apps oder Analyseprogrammen können Vertriebsmitarbeiter genau verstehen, was ihre Kunden brauchen, wann sie bereit für den nächsten Schritt sind und wie sie angesprochen werden möchten. Das macht die Arbeit nicht nur effizienter, sondern auch relevanter. Ein weiterer Schlüssel ist der hybride Vertrieb, der persönliche Meetings mit digitalen Kanälen kombiniert. Während persönlicher Kontakt Vertrauen aufbaut, bieten digitale Tools die Reichweite und Effizienz, die heute erwartet wird. Kunden bevorzugen zwar immer mehr digitale Interaktionen, wollen dabei jedoch nicht auf die menschliche Komponente verzichten und hybride Ansätze liefern genau diese Balance. In einer Welt, in der viele Produkte und Dienstleistungen vergleichbar sind, macht es den Unterschied, wie klar der Mehrwert kommuniziert wird. Es geht vor allem mehr als nur um den Preis, sondern darum, wie das Angebot dem Kunden hilft, seine Ziele zu erreichen oder Herausforderungen zu lösen. Das schafft Vertrauen und langfristige Loyalität. Die Zukunft des Vertriebs wird noch stärker von Technologie geprägt sein. Trotzdem bleibt der Mensch im Mittelpunkt. Die richtige Balance aus moderner Technologie und authentischer Kommunikation ist der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg. Am Ende zählen immer noch Beziehungen, weil die Werkzeuge drumherum »nur« Mittel sind, um diese aufzubauen und zu pflegen.
Unser Gesprächspartner: Oliver Bestier ist Vertriebsmentor und Keynote Speaker. Mithilfe seiner langjährigen Berufserfahrung in führenden Vertriebspositionen unterstützt er Unternehmen beim Aufbau und der Weiterentwicklung eines leistungsstarken Vertriebsteams. Seit 2018 begleitet er Unternehmen verschiedener Branchen dabei, nachhaltige Vertriebsstrukturen zu etablieren und Prozesse zu optimieren.
Bilder: Dominik Pfau, Sarah Ley