Ein Ziel zu haben und sich Wissen anzueignen, um es auch zu erreichen, reichen manchmal nicht aus, um erfolgreich zu sein. Der Mensch besteht aus einem komplexen, physiologischen und neurologischen System und erst, wenn man dies versteht, kann man es als Werkzeug benutzen. Dann verstehen wir zum Beispiel, warum wir prokrastinieren. Und erst dann können wir etwas dagegen tun. Dr. Frederik Hümmeke ist Unternehmercoach und Experte für Leistungssteigerung. In unserem Interview erklärt er, warum Wissen allein nicht erfolgreich macht, und er verrät, wie lange der Mensch schlafen sollte.
Herr Dr. Hümmeke, wer erfolgreich sein möchte, eignet sich entsprechendes Wissen an. Doch trotz guter Ausbildung kann der Erfolg ausbleiben. Woran liegt das?
In der heutigen Bildungslandschaft liegt der Schwerpunkt sehr darauf, ein breites Wissen anzuhäufen. Reines Wissen reicht nicht aus; es bedarf der Fähigkeit, dieses Wissen auch anwenden zu können. Andererseits besitzen Menschen Fähigkeiten, die sie nicht nutzen. Es besteht eine signifikante Lücke zwischen dem, was wir könnten, und dem, was wir tatsächlich tun. Wenn wir verstehen, was das Gehirn benötigt, um zur Handlung angeregt zu werden, bewegen wir uns bereits im Bereich der Neuroscience. Viele wissen um Dinge, die sie tun könnten und die auch sinnvoll wären, doch oft unterbleiben diese Handlungen. Diese Tendenz zur Prokrastination ist unser Standard-Default, das heißt, sie ist neurobiologisch in unserem Gehirn verankert und dient als eine Art Schutzmechanismus, der uns davor bewahrt, unnötig Energie zu verschwenden.
Entscheidend ist, dass wir, nachdem wir etwas verstanden (Wissen) und gelernt haben, es anzuwenden (Können), auch tatsächlich zur Tat schreiten. Es geht darum, unser Verhalten so weit zu kontrollieren, dass wir diese Handlungen auch wirklich ausführen. Dabei ist das Feedback aus unserer Umwelt wichtig. Nehmen wir das Beispiel einer Präsentation: Vielleicht sind wir in der Lage, diese zu halten und führen sie auch durch, aber der erhoffte Erfolg, beispielsweise dass der Kunde kauft, bleibt aus. In solchen Fällen müssen wir Verhalten und Strategie anpassen. Dies ist ein evolutionärer Prozess, in dem wir fortwährend dazulernen, was funktioniert und was nicht, und unser Verhalten entsprechend an die Realität anpassen. Erst dann kann von einem erfolgreichen Ansatz gesprochen werden.
Wie kommt es, dass wir angelerntes Wissen offenbar höher bewerten, als die eigene mentale Kraft?
Wir leben in einer Welt, in der zunächst ein umfangreiches Wissen aufgebaut werden muss. Es ist durchaus sinnvoll, dass Kinder zunächst lernen, was die Dinge um sie herum sind. Allein dieser Wissensaufbau ist als erste Stufe bereits sehr wichtig. Dabei entwickeln wir in manchen Bereichen auch die damit verbundenen Fähigkeiten weiter, wie beispielsweise die Sprachanwendung, sodass die Kinder letztendlich sprechen lernen.
»Früher galt es als selbstverständlich, dass nur diejenigen mit hoher Intelligenz studieren konnten. Das Studium wurde somit zu einem gesellschaftlichen Symbol.«
Wir stoßen im Bildungssystem jedoch auf Qualitätsprobleme. Die Analphabetenquote zeigt beispielsweise, dass das Lesen und Schreiben bei vielen weiterhin eine Herausforderung ist. Hier offenbart sich ein didaktisches Problem bezüglich der Frage, wie wir Wissen vermitteln und sicherstellen können, dass es im Können bei allen ankommt. In dem Bestreben, Wissen aufzubauen, verstricken wir uns oft und geben insbesondere Personen wie Professoren und Intellektuellen viel Status und Autorität. Die akademische Ausbildung hat in der Vergangenheit auch viel an Bedeutung gewonnen. Noch vor ein oder zwei Generationen galt eine Lehre im Handwerk als akzeptable Ausbildungsform. Es gibt viele Menschen, die praktische Fähigkeiten, wie sie im Handwerk benötigt werden, durchaus erlernen könnten, da die Einstiegshürden verhältnismäßig niedrig sind. Das Erlernen durch Beobachten, Nachahmen und Wiederholen ist grundsätzlich für die meisten Menschen machbar. Eine akademische Bildung ist hingegen nicht für jeden geeignet, da sie eine gewisse intellektuelle Kapazität voraussetzt.
Früher galt es als selbstverständlich, dass nur diejenigen mit hoher Intelligenz studieren konnten. Das Studium wurde somit zu einem gesellschaftlichen Symbol. Unsere Kultur hat sich auf das Sammeln solcher Statussymbole fixiert. Allerdings hat in manchen Fällen das Studium seine Verbindung zu praktischer Kompetenz und beruflicher Verwendung verloren – es geht nicht mehr primär um den Erwerb relevanter Inhalte. Viele Studiengänge vermitteln Inhalte, die in der Berufspraxis kaum Anwendung finden. Die Studenten lernen Sachen, die sie nicht brauchen. Und am Ende kommen akademische Taxifahrer dabei heraus. Hier haben wir wieder das grundlegende Problem, dass eine Entkopplung stattfindet von dem, was in der Realität wirklich gebraucht wird. Uns würde es guttun, wenn wir viel mehr Fokus auf echte Handlungskompetenz legen würden.
Es gibt viele Tools, die helfen sollen, sein Potenzial auszuschöpfen. Wie kann man sich möglichst selbst zum Werkzeug machen?
Die Welt und vor allem die sozialen Medien sind oft überladen mit naiven Ratschlägen und unzulänglich entwickelten Tools, die zwar möglicherweise in einigen Fällen noch ihre Berechtigung finden, jedoch bei der Mehrheit der Nutzer keine Wirkung zeigen. Denn wenn ich mein Potenzial ausschöpfen möchte, muss ich ein paar Dinge beachten. Und ich brauche vor allen Dingen ein Wirksamkeitssystem, das zu mir persönlich passt. Es ist nämlich gerade nicht »Follow The Flow« mit irgendeinem Werkzeug, sondern es ist »Follow Your Flow«.
Wenn ich Erfolge erzielen möchte, ist der erste und wichtigste Schritt sicherzustellen, dass ich genügend Handlungsenergie besitze. Unter Handlungsenergie verstehe ich jene Tage, an denen du voller Tatendrang aufwachst, motiviert bist, Großes zu bewirken, sofort mit einer Aufgabe beginnst und am Ende des Tages mit dem Erreichten zufrieden bist. Solche Tage sind kein Zufall. Sie können systematisch erzeugt werden, wenn wir verstehen, was neurobiologisch in unserem Kopf und Körper vor sich geht. Für diese Energie die biologischen Grundlagen zu schaffen, ist jedoch nur der erste Schritt. Anschließend ist es essenziell zu verstehen, wie unser Gehirn funktioniert und es in einen Zustand zu versetzen, in dem wir aktiv und intelligent unser Potenzial nutzbar machen können. Weiterhin ist es wichtig, unsere Aufgaben bewusst anzugehen, indem wir unsere Ziele klar definieren und regelmäßig überprüfen, ob unsere Methoden wirksam sind oder nicht, und diese gegebenenfalls anpassen.
Wenn Experten uns zum Beispiel raten, acht Stunden zu schlafen, um leistungsfähig zu sein, werden wir in eines von vielen starren Schemata gepresst, die oft sogar schaden. Wie können wir herausfinden, was uns persönlich wirklich hilft?
Grundsätzlich sind alle pauschalen Tipps mit Vorsicht zu genießen. Natürlich existiert eine wissenschaftliche Datenbasis, die uns Hinweise auf optimale Verhaltensweisen geben kann. So ist der allgemeine Rat, acht Stunden zu schlafen, im Prinzip sinnvoll. In meinem Buch »Follow Your Flow« empfehle ich jedoch eine individuelle Schlafdauer, die entweder 7,5 Stunden oder 9 Stunden beträgt, abhängig von der persönlichen Konstitution und dem jeweiligen Organismus. Aber nicht nur die Dauer ist von Bedeutung, sondern auch der Zeitpunkt. Wir Menschen folgen einem Chronotypen – eine Art innere Uhr mit vielen kleinen Uhren im Körper, die unterschiedliche biologische Prozesse zu verschiedenen Tageszeiten steuern. Diese Uhren bestimmen die idealen Zeiten, um zu schlafen oder produktiv zu sein. Aus meiner Sicht ist es essentiell, von verallgemeinernden Ratschlägen wegzukommen und eine individuelle Betrachtung anzustreben. Forschungen deuten darauf hin, dass durch individuell angepasste Methoden die persönliche Effektivität um das 500-fache oder sogar mehr gesteigert werden könnte.
Der Körper, besonders das Gehirn, ist ein faszinierendes Kunstwerk. Warum benötigen wir dafür eine Anleitung?
Einfach ausgedrückt scheint das Gehirn sein eigenes Leben zu führen. Sowohl das Gehirn als auch der Körper sind komplexe biologische Systeme mit einer eigenen Funktionslogik. Vereinfacht gesagt existiert ein Bewusstsein, durch das wir unseren Körper und unser Gehirn beobachten und oft erstaunt sind über deren Verhalten. Ein klassisches Beispiel ist das Hinauszögern von Aufgaben, die wir zwar als notwendig erachten, aber dennoch nicht angehen. Das Ergebnis ist Frustration. Das führt zu Stress, der es dann noch unwahrscheinlicher macht, dass wir die Aufgaben bewältigen. Aus diesem Teufelskreis finden wir oft nicht heraus.
Gerade, weil das Gehirn und der Körper ein faszinierend komplexes System bilden, ist es für uns als Besitzer wesentlich zu verstehen, was wir von ihnen erwarten können. Überfordern wir uns, führt dies möglicherweise zu Unzufriedenheit oder sogar Krankheit. Es ist entscheidend, ein Gleichgewicht zu finden, was machbar ist und was nicht, und wie wir mit unserem Körper, Geist und Gehirn umgehen. Das ist der Schlüssel, um gesund und glücklich zu leben. Insofern brauchen wir schon eine Anleitung.
MK
Unser Gesprächspartner: Dr. Frederik Hümmeke studierte Wirtschaftswissenschaften, Angewandte Neurowissenschaften und Verhaltens- und Kulturphilosophie. Er ist Unternehmer, Coach und Autor. Er gilt als einer der gefragtesten Business-Coaches Europas.
Bild: Greator