Digitalisierung, Krisen, KI-Revolution – die Arbeitswelt verändert sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Berufsbilder verschwinden, Aufgaben wandeln sich, Karrieren verlaufen kaum noch geradlinig. Für Elisabeth Henschel, Business Coach mit langjähriger Erfahrung in Veränderungsprozessen, ist klar: In Zeiten massiver Transformation oder sogar Disruption zählt weniger, was wir gelernt haben – sondern mehr denn je, wer wir sind, vor allem auf Führungsebene. In unserem Interview spricht sie darüber, welche Fähigkeiten in Zukunft entscheidend für den Erfolg im Beruf und in der Karriere sein werden und warum Angst ein schlechter Ratgeber ist.
Frau Henschel, die Arbeitswelt ist in Bewegung. Welches Szenario können oder müssen wir erwarten?
Ich gehe davon aus, dass in absehbarer Zukunft geradlinige Karriereverläufe eher die Ausnahme als die Regel sein werden, dass man sogar öfter den Beruf wechseln oder gar mehrere Tätigkeiten nebeneinander ausüben wird. Die Haupttreiber sind dabei nicht nur der drohende Wirtschaftskrieg und die Krisen bestimmter Industrien, sondern vor allem die Übernahme von Aufgaben durch Künstliche Intelligenz. Schon jetzt verschwinden viele Jobs oder ganze Berufszweige, etwa im kreativen Bereich, in Medien und Marketing, bei Übersetzern und Programmierern und in Zukunft massenhaft in der Verwaltung. Auch in vermeintlich sicheren Jobs wird es viele Aufgaben geben, die die KI übernehmen kann, man spricht derzeit von rund 25 Prozent, und solche Prognosen werden derzeit schnell nach oben angepasst.
Welche Anforderungen werden Ihrer Meinung nach künftig an Mitarbeiter und Führungskräfte gestellt?
Wenn Berufsbilder genauso im Wandel sind wie die Märkte, wird die Persönlichkeit wichtiger werden als die fachliche Kompetenz. Es braucht die Fähigkeit, gelassen mit Unsicherheit umgehen zu können und sich flexibel auf Veränderungen einstellen zu können. Verwöhnt durch die letzten Jahrzehnte in Frieden und Wohlstand haben Coronakrise, »Zeitenwende«, Kriegsangst und eine Wirtschaft auf Talfahrt in Richtung Rezession aber im Gegenteil dazu geführt, dass eine kollektive Angst entstanden ist. Es entwickelt sich eine ängstliche Gesellschaft – in der Sozialpsychologie spricht man von »Anxiety Society« –, die zudem jetzt schon unter einem relativ hohen Stress-Empfinden und sinkenden Gefühl der Verbundenheit miteinander leidet. Angst ist aber die denkbar schlechteste Voraussetzung, um mit massiver Transformation oder sogar Disruption umzugehen. Was es in Zukunft brauchen wird, ist Mut und eine Haltung der Hoffnung.
Warum ist diese Angst so hinderlich und wie kann man diesen Prozess stoppen?
Das hat neurobiologische Gründe. Angst setzt Neurotransmitter wie Cortisol und Adrenalin frei, die einen Flucht- oder Kampf-Impuls, Erstarrung und gefühlte Ohnmacht erzeugen. Angst ist doppelt gefährlich, denn sie ist sozial ansteckend. Ängstliche Menschen verhalten sich entweder defensiv, entscheidungsschwach oder sie neigen zu unüberlegtem Handeln. Man könnte das der Einfachheit halber als »Weg-von-Bewegung« bezeichnen. Wenn man jedoch gestalten und handlungsfähig bleiben will, braucht man eine »Hin-zu-Orientierung«. Letztere wird vom Neurotransmitter Dopamin in Gang gesetzt. Das ist die biochemische Formel für Motivation. Dopamin wird aber nur erzeugt, wenn man mit positiver Energie auf Herausforderungen zugeht. In einer Haltung, die von der Lösbarkeit von Aufgaben ausgeht und nicht von der Unlösbarkeit eines Problems. Es ist also eine Frage der Ausrichtung auf positive Ziele.
Welche Persönlichkeitsmerkmale werden aus Ihrer Sicht künftig wichtig sein?
Anpassungsfähigkeit. Das ist die Fähigkeit, sich sowohl an neue aufgabenspezifische Situationen anpassen zu können, als auch die Bereitschaft, persönliche Pläne anzupassen. Und es bedeutet auch, beständig aus Erfahrungen zu lernen und sich ständig weiterzuentwickeln und fortzubilden. Dazu gehört sicher auch Durchhaltevermögen, Geduld und Beharrlichkeit, Ausgeglichenheit und die Flexibilität, Druck abzufedern.
Urteilsfähigkeit. Da die Qualität der Ergebnisse von KI häufig mangelhaft ist, wird die Verantwortung des Menschen und die Anforderung an seine Qualifikation umso größer werden, denn er muss nun richtig von falsch unterscheiden und Entscheidungen unter erhöhter Unsicherheit treffen können. Es wird also ein breiteres und vernetzteres Wissen gebraucht werden, als unser Bildungssystem uns in den letzten Jahren vermittelt hat, das sich in den letzten Jahren ja immer mehr in Richtung Spezialisierung entwickelt hat.
Soziale Kompetenz. Schon jetzt ziehen sich Menschen immer mehr zurück, ins Homeoffice, hinter ihren digitalen Geräten, in ihre Meinungsblase. Der Mensch bleibt aber ein soziales Wesen. Zufriedenheit hängt aber in hohem Maße davon ab, ob man einen sinnstiftenden Beitrag innerhalb einer Gemeinschaft leisten kann. Also muss man Mitarbeiter ins Boot holen und motivieren können. Agile Unternehmen brauchen Teams, in denen vertrauensvoll und vernetzt dezentral gearbeitet werden kann, um erfolgreich zu sein.
Wie stellt man sich auf diesen Wandel ein?
Diese Fähigkeiten werden nicht leicht zu erwerben sein, es ist von einem längeren, evolutionären Prozess auszugehen. Dieser wird nicht nur vom Einzelnen abhängen, sondern auch davon, wie schnell unser Bildungssystem auf Veränderungen reagieren wird und natürlich von den Bedingungen, die in den Unternehmen herrschen werden.
Ein Vorteil: Menschen wollen sich entwickeln und entfalten. Das tun sie aber meist nicht freiwillig, sondern erst, wenn es einen äußeren Anlass oder Zwang gibt. Insofern ist die Veränderung, die vielen bevorstehen wird, eine Steilvorlage, um sich persönlich darauf vorzubereiten und weiterzuentwickeln.
Vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich zu fragen: Wie kann ich ein offeneres, angstfreies Mindset entwickeln, wie mich vor sozialer Ansteckung durch Angst und Pessimismus um mich herum schützen? Wie kann ich meine Motivation aufrechterhalten, obwohl ich nicht mehr in der gewohnten Weise langfristig planen kann? Wie kann ich finden, was mich im Inneren trägt? Denn je unsicherer es im Außen ist, umso mehr innere Sicherheit braucht man.
Führungskräfte sollten sich zudem damit beschäftigen, wie sie ihren Mitarbeitern die dringend benötigte psychologische Sicherheit geben können, indem sie Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit, eine konstruktive Fehlerkultur und geteilte Verantwortung ermöglichen. Neben Agilität und Resilienz lässt sich vielleicht sogar etwas wie »Antifragilität« erreichen. Antifragile Systeme sind in der Lage, aus Problemen zu lernen und sich weiterzuentwickeln, um gestärkt und erfolgreich daraus hervorzugehen.
MK
Unsere Gesprächspartnerin: Elisabeth Henschel, Business Coach und Expertin für Persönlichkeitsentwicklung und Potenzialentfaltung, hat jahrzehntelange Erfahrung als Unternehmerin und selbst schon so manche Veränderung und Krise erlebt.
Bilder: Frank Limbacher, limstyle webdesign