Hermann Scherer ist der wohl gefragteste Business-Speaker in Deutschland. Er berät Tausende Unternehmen, darunter fast alle Dax-Unternehmen, hat damals als erster Bill Clinton für einen Vortrag nach Deutschland geholt, schrieb zahlreiche Bücher und ist Lehrbeauftragter mehrer Universitäten und Business Schools. Scherer gilt als Querdenker. Sein neues Buch heißt Fokus.
Ihr neuestes Buch heißt „Fokus“. Können Sie die Botschaft in einem Satz zentrieren?
Hermann Scherer: Die kürzeste Zusammenfassung lautet für mich: „Fokussieren Sie sich auf Ihr Leben!“ Klingt für viele vielleicht banal, aber tatsächlich konzentrieren sich die meisten auf alles Mögliche und immer wieder auf etwas anderes, nur eben nicht darauf, das Leben zu ihrem, zu ihrem eigenen Leben zu machen.
Sie meinen, wir leben oft ein fremdes Leben?
Hermann Scherer: Genau betrachtet kein fremdes, aber ein fremdbestimmtes Leben. Und das passiert auf vielfältige Weise. Wir lassen uns von anderen vorschreiben, was wir tun und was wir gut finden sollen. Gibt es formulierbare Ziele, werden auch die häufig nicht im eigenen Kopf geboren. Andere machen sich über all das überhaupt keine Gedanken und leben einfach so in den Tag hinein. Sie schauen quasi zu, wie ihre Zeit verrinnt. Viele wissen weder wo sie stehen, noch wo sie hinwollen. Es ist fast wie ein Warten auf den Tod. Aber es gibt ein Leben vor dem Tod. Ergebnis: Unzufriedenheit und das Gefühl der Orientierungslosigkeit.
Woran liegt es, wenn jemand derart planlos dahinlebt?
Hermann Scherer: Das hat viele Ursachen. Zum Beispiel sind wir offenbar drauf geeicht, Quick Wins den Long Wins vorzuziehen. Dafür ein simples Beispiel: Wenn jemand einen unerwünschten Newsletter bekommt, dann löscht er diesen in der Regel mit einem Mausklick, statt sich abzumelden. Aber der Newsletter kommt wieder, und das tut er jede Woche und manchmal über Monate hinweg oder noch länger. Man scheut den Zeitaufwand, der mit dem finalen Austragen seiner Adresse aus dem Verteiler des Absenders verbunden ist – und nimmt stattdessen in Kauf, sich jede Woche über diesen Newsletter zu ärgern. Und jede Woche klicken zu müssen.
Was ist hier der Quick Win und was wäre der Long Win?
Hermann Scherer: Der schnelle Gewinn ist die Zeitersparnis des Löschens gegenüber der endgültigen Abmeldung. Für Letztere müsste man einmalig mehr Zeit investieren, hätte aber dann den größeren Erfolg – nämlich niemals mehr diesen Newsletter zu bekommen. Das Dumme ist nur: Wir denken zu kurzfristig und verschenken so wahre Qualität und Stabilität. Aber so ist das mit allem, wir wählen unseren Beruf oft zu schnell und wenig nachhaltig, Unternehmensberater sorgen für schnelle Kosteneinsparungen, statt für nachhaltige Strategie. Und sogar Sex im Auto kann ein Quick Win sein, wenn man damit auf den bewegungsaffinieren Sex im Bett verzichtet.
Was sind Strategien, um sich auf mehr Lebensqualität zu fokussieren?
Hermann Scherer: Nun, beim erwähnten Beispiel Newsletter reicht es, einfach ein wenig über den Augenblick hinauszudenken – und die paar Sekunden Mehraufwand für den Long Win aufzuwenden. Oft aber müssen wir für den größeren Langfrist-Erfolg auf durchaus relevante Quick Wins verzichten. Und dafür ist Willensstärke erforderlich.
Sie nennen als Gegenpole zur Fremdbestimmung und Unzufriedenheit das Leben in Freiheit und Glück. Allein mit der Abkehr von Quick Wins wird man da nicht hinkommen?
Hermann Scherer: Nein, wie schon gesagt, hat mangelnde Fokussierung auf das eigene Leben viele Ursachen. Eine weitere Strategie für mehr Glück ist daher die Entscheidung, viele Dinge nicht zu tun. Und damit meine ich nicht nur die, die man am besten ganz lassen, sondern auch alles, was sinnvollerweise delegiert werden sollte. Ich zum Beispiel leiste mir einen Fahrer, weil ich so im Auto arbeiten kann – und damit mehr verdiene, als mich der Fahrer kostet. Allgemein formuliert geht es darum, das eigene Potenzial möglichst umfassend auszuschöpfen – und deshalb andere das erledigen zu lassen, was mit diesem Potenzial nichts zu tun hat. Das muss kein Fahrer sein, aber es fängt mit dem Bügeln an. Denn: Leistung ist Potenzial minus Störfaktoren.
Potenzial ist das eine, aber man braucht auch Gelegenheiten, um es einzusetzen. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Chancenintelligenz.
Hermann Scherer: Ja, die gehört selbstverständlich auch zur nötigen Fokussierung. Chancen gibt es immer mehr als genug, nur lohnen nicht alle den Einsatz. Sowohl beruflich als auch privat müssen wir die Zukunft antizipieren, um uns darüber klar zu werden, auf was wir uns fokussieren sollten. Bei einem Unternehmen ist das ziemlich einleuchtend. Es muss wissen, wie sich der Markt entwickelt, was künftig gefragt sein wird – und dann die entsprechenden Innovationen vorantreiben. Doch im Privatleben ist es letztlich genauso. Auch hier dürfen wir uns nicht auf jede Chance stürzen. Die auszuwählen, die uns weiterbringen, das ist die Kunst.
Neben den Chancen lenken Sie den Blick auch auf die Probleme.
Hermann Scherer: Ja, weil Probleme im Grunde nicht gegründete Unternehmen oder noch nicht erfundene Dienstleistungen sind. Wenn wir an die Wirtschaft denken, gilt das ganz wörtlich. Wer erkennt, welche Probleme die Menschen gelöst haben möchten, der hat damit die Basis für erfolgreiche Geschäftsmodelle. Und es gibt so viele Probleme da draußen. Auch bei diesem Punkt sieht es privat ähnlich aus. Die Aufgabe heißt, zur Lösung von Problemen beizutragen und nicht Teil des Problems zu werden. Und wir wachsen nirgends besser als im Garten unserer Probleme.
Sind wirklich alle Probleme lösbar?
Hermann Scherer: Das ist eine Frage der Definition und der Einstellung. Ich sehe nicht lösbare Probleme als zu akzeptierende Tatsachen. Beispielsweise muss ich es akzeptieren, älter zu werden. Wenn ich aber so etwas als Tatsache einordne, ändert sich meine Einstellung. Tatsachen hake ich ab und richte mein Augenmerk wieder auf das, was ich lösen kann.
Wir haben jetzt eine Menge über die Fokussierung gesprochen, zu der natürlich Ziele gehören. Aber wie konkret kommt man diesen Zielen näher?
Hermann Scherer: Dazu braucht es zweierlei. Zum einen die Kombination aus Können, Wollen und Dürfen, die ich Empowerment nenne und die bestimmt, wohin die Reise geht. Viele denken nun, das reicht bereits aus, aber weit gefehlt. Dazu muss das Commitment kommen, um wirklich zu tun, was man tun will, kann und darf. Commitment bewirkt ein konsequentes Eintreten für das, was man erreichen möchte.
Ist es egal, wie weit das Ziel entfernt ist?
Hermann Scherer: Ein Ziel rückt umso näher, je mehr man bereit ist, den Weg dorthin auf sich zu nehmen. Oder anders ausgedrückt: Was wir können, ist weniger das Resultat unserer Möglichkeiten als vielmehr das unserer Gedanken. Erfolgreich ist, für wen der folgende Dreischritt gilt: Wenn ich einen Weg habe, werde ich ihn einschlagen. Habe ich keinen, finde ich einen. Finde ich keinen, mache ich einen.
Wer sich auf diesen Dreischritt fokussiert, der schließt quasi einen Vertrag mit sich selbst?
Hermann Scherer: Ja, den nämlich, seine Ziele und damit letztlich sein Leben wirklich ernst zu nehmen. Und diesen Vertrag sollte man nicht brechen, weil das zum Verlust der Selbstachtung führt. Positiv gewendet: Erfolgreiche Menschen machen sich zu ihrem eigenen Idol und holen so das Beste aus sich heraus. Letztlich sind wir ja immer das, wofür wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Und wer mehr sein will als Mittelmaß?
Hermann Scherer: Der muss über die Grenzen der Normalität hinausdenken, den Rahmen sprengen, in den wir uns oft eingezwängt glauben. Um das zu schaffen, braucht es den Mut, das einem durchaus bewusste Risiko einzugehen, enttäuscht oder verletzt zu werden – auch von sich selbst. Zu zögern und zu zweifeln, wäre dagegen ein Verrat an den eigenen Fähigkeiten.
Viele fragen sich dennoch: Was passiert, wenn ich falle?
Hermann Scherer: Denen antworte ich: „Was ist, wenn Sie fliegen?“ Sich das positive Extrem vorstellen zu können, bewirkt schon viel. Ebenso mehr Träume zu haben, als die Realität zerstören kann, und sich selbst Konfetti in sein Leben streuen. Das erfordert allerdings die Fähigkeit zur Begeisterung und Leidenschaft – und auch die, sich immer wieder neu zu erfinden. Wer das nicht kann, der ist wie jemand, der einen Bungee-Sprung ohne Seil macht und hofft, ihm würden bis zum Aufprall Flügel wachsen.
Das heißt, Sie propagieren keineswegs den totalen Leichtsinn?
Hermann Scherer: Natürlich nicht. Auch Optimisten sehen das Negative, aber sie unterwerfen sich ihm nicht. Was ich propagiere, ist Hingabe. Man muss tanzen, als würde einem niemand zuschauen. Und wer das toppen will, der tanzt, als würde ihm niemand zuschauen, auch wenn er weiß, dass ihn alle beobachten. Das ist die totale Fokussierung auf sich und sein Leben.
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Bild: Hermann Scherer Screenshot Videointerview